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31.05.19 / Von der Sprach- zur Hochtechnologie-Insel / Brünn ist in den Augen mancher bereits jetzt das mährische Silicon Valley

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-19 vom 31. Mai 2019

Von der Sprach- zur Hochtechnologie-Insel
Brünn ist in den Augen mancher bereits jetzt das mährische Silicon Valley
Bodo Bost

Das Inseldasein ist Brünn, die ewige Zweite hinter Prag, gewöhnt. Einst war es eine deutsche Sprachinsel und schaute auf die umliegenden Tschechen-Gebiete herab, seit einigen Jahren ist die mährische Metropole dabei, eine Insel von High Tech für den ganzen ehemaligen Ostblock zu werden. Einige sprechen vom mährischen Silicon Valley.

Kaum eine Stadt im ehemaligen Ostblock hat den Kommunismus so schnell hinter sich gelassen wie Brünn, das einstige „Mährische Manchester“. In seinen alten Fa-brikarealen erstehen seit einigen Jahren im Eiltempo neue Dienstleistungszentren, vor allem im Bereich der Luft- und Raumfahrttechnik und im Hochtechnologiebereich. Technische Hochschulen und sogenannten Startups, sprich Unternehmensgründung mit einer innovativen Geschäftsidee und hohem Wachstumspotenzial, machen Brünn bereits heute zur digitalen Hauptstadt des Landes. Nicht Touristen bevölkern die Straßen wie anderswo in Böhmen und Mähren, sondern Studenten. Ein neuer Gründergeist befeuert die mährische Hauptstadt.

Den Durchbruch zum Silicon Valley in Mitteleuropa schaffte Brünn, als sich im Jahre 2003 das Südmährische Innovationszentrum (JIC) hier ansiedelte. Seit damals schufen die vom JIC unterstützten Firmen mehr als 1500 neue Arbeitsplätze. Das JIC gehört dem Enterprise Europe Network an, das von der EU-Kommission ins Leben gerufen wurde und bei Innovation und Expansion in Europa und weltweit weiterhilft. Es kann auf ein Netzwerk von gut 3000 Experten in 600 Mitgliedsorganisationen in über 60 Ländern zurückgreifen. Auch Honeywell Technology Solutions (HTS), die entwicklungstechnische Abteilung des Weltkonzerns Honeywell International Inc., hat sich 2003 in Brünn angesiedelt. Rund 70 Prozent der Beschäftigten sind Absolventen der Technischen Hochschule in Brünn. Die Firma Honeywell hat zwei Schlüsselbranchen – den Luftverkehr sowie den Sektor Automatisierung und Steuerung für die Autoindustrie. Die neuen Labore in Brünn arbeiten für zwei Produktionsstätten von Honeywell in Brünn und Olmütz. Insgesamt arbeiten in der Tschechischen Republik 4000 Beschäftigte für Honeywell, davon allein 1500 Ingenieure.

Ein anderes Beispiel ist die Computerfirma Flowmon, die sich seit zehn Jahren in Brünn befindet. Das Unternehmen hat im Bereich digitale Sicherheit und Virenschutz eine der interessantesten Innovationen der vergangenen Jahre entwi-ckelt. Die Firma ist das einzige westeuropäische Unternehmen unter den knapp 20 IT-Firmen im „Gartner Magic Quadranten“, dem weltweiten Ranking der US-Marktforschungsfirma Gartner. 80 Personen arbeiten hier an einem immer sichereren Virenschutz. 

Brünn, das erstmals 1091 urkundlich erwähnt wurde, gehörte ab 1526 zu Habsburg. 1641 löste es Olmütz als Hauptstadt von Mähren ab. Nachdem Schweden und Preußen es mehrmals erfolglos belagert hatten, gelang Napoleon 1805 in der Nähe von Brünn bei Austerlitz sein größter Sieg gegen die verbündeten österreichischen und russischen Armeen. In Brünn feierte Napoleon deshalb 1809 seinen 40. Geburtstag. Bereits 1839 wurde in Brünn eine Eisenbahnverbindung nach Wien eröffnet, eine der ersten im Kaisertum Österreich. 

Die Stadt Brünn blieb bis 1918 mit 63 Prozent überwiegend deutschsprachig, während die Vororte außerhalb des Stadtkerns überwiegend tschechischsprachig waren. Als deutsche Sprachinsel, die vom tschechischen Sprachgebiet umzingelt war, vermischten sich auch die Sprachen, das Ergebnis war „Brünnerisch“, eine Vermischung der beiden Sprachen mit deutscher Dominanz. Mit der Gründung der Tschechoslowakei 1918 kehrte sich die Lage um. 1930 bekannten sich nur noch etwa 52000 Bewohner zur deutschen, hingegen 200000 zur tschechischen Nationalität, der Anteil der Deutschsprachigen in der Stadt war auf unter ein Viertel gesunken, fast alle Deutschen in Brünn sprachen auch Tschechisch. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die verbliebenen Deutschen, soweit sie nicht in gemischten Ehen lebten, im „Brünner Todesmarsch“ vom Mai/Juni 1945 aus der Stadt getrieben. Von den 27000 Deutschen, die den Fußmarsch zur 60 Kilometer entfernten österreichischen Grenze antraten, überlebten zirka 5200 Personen die Strapazen nicht, „amtlich“ belegte Todesfälle gibt es jedoch nur 2000. Erst 2015 bedauerte die Brünner Stadtverwaltung die damalige Vertreibung und den Todesmarsch, man lud erstmals Vertreter von Vertriebenenvereinen zu einem gemeinsamen Gedenken ein.

Vor dem Zweiten Weltkrieg war Deutsch die Sprache des gehobenen Bürgertums, zu dem auch viele Brünner Juden gehörten. Mit der Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten sowie der Flucht und Vertreibung der Deutschen ist die deutsche Sprache in Brünn nahezu vollständig verschwunden. Allerdings erlebt in den letzten Jahren neben dem Tschechischen mährischer Ausprägung die Stadtmischsprache Hantec, ein tschechischer Dialekt mit einem großen Anteil deutscher Lehnwörter, eine Renais-sance. Ursprünglich war der Hantec eine Sprache der Unterschicht, als Deutsch die Sprache der Oberschicht war. Heute hat sich der Hantec zur traditionellen Brünner Umgangssprache weiterentwi-ckelt, die heute gerade im Zeitalter der sogenannten Hightech, dessen Sprache das Englische ist, unter den sogenannten Hipster-Studenten neue Urstände feiert.