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07.06.19 / Deutschfreundlich und nicht antirussisch / Der neue litauische Präsident Gitanas Nauseda könnte die Koordinaten der Wilnaer Außenpolitik verschieben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-19 vom 07. Juni 2019

Deutschfreundlich und nicht antirussisch
Der neue litauische Präsident Gitanas Nauseda könnte die Koordinaten der Wilnaer Außenpolitik verschieben
Thomas W. Wyrwoll

Litauens zukünftiger Präsident Gi-tanas Nauseda ist nicht nur durch seinen Geburtsort und seine Studienaufenthalte eng mit Deutschland verbunden, sondern gilt auch als ausgesprochener Freund der deutschen Kultur, Sprache und Geschichte – auch und gerade im Memelgebiet. 

Im zweiten Wahlgang ist der parteilose Ökonom Gitanas Nauseda zum sechsten Präsidenten des Landes in Folge seit der Wiederherstellung der Unabhängigkeit gewählt worden. Auf ihn entfielen mit 66,6 Prozent exakt zwei Drittel aller Stimmen, auf seine von den Christdemokraten der „Heimat-Union“ gestützte rechts-konservative Konkurrentin Ingrida Šimonyte knapp ein Drittel. Nauseda tritt die Nachfolge von Dalia Grybauskaite an, die nach zwei aufeinanderfolgenden Amtsperioden nicht mehr wiedergewählt werden konnte. An der Wahl teilgenommen hatten gut die Hälfte der knapp zweieinhalb Millionen Wahlberechtigten. Im 

ersten Wahlgang lagen beide Kandidaten mit jeweils gut 31 Prozent der Stimmen fast gleichauf – der amtierende Premierminister Saulius Skvernelis erreichte mit knapp 20 Prozent nur den dritten Platz, woraufhin er ob dieses augenscheinlichen Misstrauensvotums seinen Rücktritt als Regierungschef ankündigte.

Der neue Präsident wurde 1964 in Memel geboren, wobei seine Vorfahren aus der benachbarten, stark deutsch beeinflussten Grenzregion Alt-Litauens stammen. Nach einem Wirtschaftsstudium im noch sowjetischen Wilna promovierte er im gleichen Fach 1993 an der Wilenser Universität und verbrachte derweil größere Studienanteile mit Stipendien des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und der deutschen DELTA-Stiftung in der Bundesrepublik. Neben seinen folgenden Tätigkeiten für die litauische Regierung, darunter zuletzt als Vorstandsmitglied der litauischen Zentralbank, absolvierte er Praktika beim Deutschen Bundestag und bei der Weltbank. Im Jahre 2000 wechselte er zur größten Privatbank des Landes, der jetzt zur schwedischen SEB-Gruppe gehörenden Wilenser Bank, bei der er zunächst den Vorstandsvorsitzenden und später bis 2018 den Präsidenten beriet. Im September 2018 erklärte der abgesehen von Wirtschaftsbeiträgen für die größte Zeitung des Landes, „Lietuvos rytas“ (Litauens Morgen), und seiner Tätigkeit als ökonomischer Berater der Präsidenten Arturas Paulauskas und Valdas Adamkus politisch an sich wenig aufgefallene Vater zweier Töchter überraschend seine Kandidatur für das Präsidentenamt.

Bereits vor sechs Jahren wurde der Liebhaber alter Schriften einem größeren Kreis von Deutschen als Herausgeber eines deutschsprachigen Bandes zur Geschichte der Schule von Nidden bekannt, der drei Jahre später auch auf Litauisch erschien und seinem Urheber eine anerkennende Ehrenmedaille der litauischen Verbandsgemeinde Nehrung eintrug. 

Anders als Grybauskaite, die noch durch und durch ein Kind der Sowjetunion war und nach dem Ende der UdSSR schlichtweg ins US-amerikanische Lager überlief, aber auch anders als seine Gegenkandidatin, die wegen ihrer Gry-bauskaite ähnelnden politischen Verortung, notorischen Bärbeißigkeit sowie Ehe- und Kinderlosigkeit scherzhaft als „Grybauskaite 2.0“ tituliert wurde, zeichnete sich Nauseda nicht durch notorische antirussische Tiraden aus. Seine versöhnliche Art und politische Offenheit kamen bei den Wählern ebenso gut an wie seine erklärten Ziele, die sozialen Strukturen des Landes wiederherzustellen und das durch die bisherige Politik ruinierte Verhältnis zu Russland zu normalisieren. Letzteres fällt umso mehr ins Gewicht, als der Präsident in Litauen viele für die Außenpolitik maßgebliche Entscheidungen trifft. Die aggressive Rhetorik des gesamten Šimonyte-Lagers hingegen hatte zuletzt sogar das fast einmalige Kunststück vollbracht, dass die Kandidatin in der zweiten Wahlrunde deutlich weniger Stimmen erhielt als in der ersten. Anders als Grybauskaite und Šimonyte, die beide neben Litauisch von Haus aus auch Polnisch sprechen, hat Nauseda zudem keine persönlich-verwandtschaftlichen Beziehungen nach Polen und verfolgt daher keine „jagiellonische“ Sonderallianz mit Warschau, was einer für Litauen wie für Europa zuträglicheren Außenpolitik entgegenkommen dürfte. Der kluge Kopf hat jedenfalls allemal das Zeug dazu, sein Land von manch fataler Fehlentwicklung wegzuführen und die ohnehin seit Langem ausgezeichneten Beziehungen zwischen Deutschland und Litauen weiter zu verbessern, wenn er turnusgemäß am 12. Juli sein neues Amt antritt.