Dresden soll das deutsche Barockjuwel schlechthin sein – Kritiker sehen im heutigen „Elbflorenz“ allerdings eher ein „Barock-Disneyland“. Dabei geht der Trend mittlerweile tatsächlich in Richtung Kitsch.
„1719 reloaded – Party non stop“. Mit diesem Sprachgepansche wirbt die Dresden Marketing GmbH für ein „barockes Großereignis“, nämlich die Abfolge von Feierlichkeiten anlässlich des
300. Jahrestages der prunkvollsten Hochzeitsfeier der gesamten europäischen Barockzeit. Das Ereignis währte ursprünglich geschlagene 40 Tage und führte mehr als 1000 Fürsten, Grafen, Barone und sonstige Edelleute sowie deren Gefolge nach Dresden.
Der Grund für all die Pracht war die Vermählung des sächsischen Kurprinzen Friedrich August, Sohn des legendären August des Starken, mit der habsburgischen Kaisertochter und Erzherzogin Prinzessin Maria Josepha von Österreich.
Die eigentliche Trauung fand dabei am 20. August 1719 in Wien statt und verlief in recht bescheidenem Rahmen. Danach reiste das Paar über Prag und Pirna in die sächsische Residenzstadt, wo August der Starke, seit 1697 nicht nur Kurfürst und Herzog von Sachsen, sondern auch König von Polen-Litauen, eine bisher noch nie dagewesene Marathon-Festivität ausrichtete. Dahinter steckte sein Bestreben, Sachsen als europäische Großmacht zu präsentieren und die Fähigkeit des Hauses Wettin zu demonstrieren, auch die Kaiserwürde zu übernehmen. Darüber hinaus wollte August natürlich die antipreußische Allianz mit Österreich auf möglichst spektakuläre Weise besiegeln.
Und aufsehenerregend wurde es tatsächlich, sobald die Verheirateten am 31. August 1719 sächsischen Boden betraten. August der Starke ließ alles auffahren, was damals irgendwie an Prunk in Mode war: Bankette, Maskenbälle, Feuerwerke, Konzerte, Opernaufführungen in einem eigens noch schnell zu diesem Zweck fertiggestellten Haus, Ritterturniere, Reiterparaden, nachgestellte Seeschlachten auf den Gewässern rund um Dresden sowie phantasievoll-allegorische Planetenfeste, über die an sämtlichen Höfen Europas gesprochen wurde.
Augusts Zeremonienmeister Johann von Besser schrieb hierzu in einer katzbuckelnden „Lob-Schrift An Ihre Königliche Majestät von Pohlen“, dass bei der Prinzenhochzeit „fast alle Lustbarkeiten des gantzen menschlichen Lebens vereinbaret gewesen“ seien.
Einige davon sollen nun bis zum 6. September in möglichst historisch exakter Form nachgespielt werden. Dadurch hofft man, noch mehr Touristen nach Dresden zu locken, als die ohnehin schon 2,25 Millionen Gäste, die im Jahre 2018 kamen. Dazu ließ der Freistaat Sachsen unter anderem den Zwinger, also den Hauptschauplatz der Feierlichkeiten von damals, für 176 Millionen Euro sanieren – und zwar oft genauso hastig, wie es 1719 zugegangen sein muss: Statt solider gemeißelter Sandsteinfiguren zieren das Areal jetzt teilweise mit billig aussehendem Steinersatz ausgeflickte Skulpturen.
Im Zentrum der Barockanlage des Zwingers ist seit dem 28. Juni die audiovisuelle 270-Grad-Projektion „Zwinger Xperience – Die Jahrhunderthochzeit 1719“ zu sehen: Auf der vier mal 30 Meter großen Leinwand in einem weißen igluartigen Zelt, kann man das Reiterballett bewundern, das damals die Gäste Augusts des Starken so sehr faszinierte (die PAZ berichtete).
Erster Besucher der Animations-Show war der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der offenbar versucht, vor den Schicksalswahlen im September, die ihn sein Amt kosten könnten, noch schnell ein wenig vom Glanz der Wettiner zu profitieren. Das haben vor ihm auch schon diverse andere CDU-Politiker in dem Freistaat versucht. Deshalb unterstützten sie ab 1990 Projekte zur Erhaltung und Wiederherstellung der barocken Denkmäler in der Landeshauptstadt, von denen es unzählige gibt – beginnend mit der Annenkirche und endend mit dem Zwinger.
Das ging allerdings nicht selten zulasten der Erhaltung bedeutsamer historischer Zeugnisse aus anderen Epochen: Das Elbtal im Raum Dresden wurde immerhin schon um 5500 v. Chr. besiedelt, und die 1206 erstmals urkundlich erwähnte Stadt lässt sich auch schwerlich auf die Zeit des Barock reduzieren. Aber das ist den Verantwortlichen offenbar egal: So liegen selbst die faszinierenden, rund 7000 Jahre alten und bis zu 140 Meter großen vier Kreisgrabenanlagen von Dresden-Nickern im tiefsten Dornröschenschlaf. Sofern sie nicht beim Bau der Zubringerstraße zur Autobahn nach Prag weggebaggert wurden. Was in Dresden ausschließlich zu zählen scheint, ist die Barockzeit, in der es so herrlich weltoffen, tolerant und multikulturell zugegangen sei, wie es neuerdings immer öfter heißt.
Am Neumarkt rund um die wiederaufgebaute Frauenkirche kann der Besucher der Stadt das Barock-Fieber ganz besonders intensiv spüren. Das Ensemble im Umfeld des von 1726 bis 1743 errichteten und nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg bis 2005 wiederhergestellten Gotteshauses ist vollkommen auf Barock getrimmt. Dabei fanden sich hier viele Belege aus der älteren Geschichte Dresdens: Reste eines Fischerdorfes, das schon um 700 v. Chr. existierte, Grundmauern der Vorgängerbauten der heutigen Frauenkirche sowie weiterer mittelalterlicher Gebäude, uralte Grabstellen und die Stadtmauer im Bereich des ehemaligen Frauentores.
Die Letztere war besonders gut erhalten: Sie bestand aus dem schon im 13. Jahrhundert gebauten Festungswall mit Graben,
der nachträglich davorgesetzten Schutzmauer aus dem 14./15. Jahrhundert sowie einer im
16. Jahrhundert hinzugefügten Barbakane. Gerade diese beeindruckende halbkreisförmige Bastion von höchster baugeschichtlicher Seltenheit hätte das historische Ensemble des Neumarktes enorm aufwerten können.
Allerdings beschloss der Dresdner Stadtrat am 26. Juni 2003, die Befestigungsanlage schleifen zu lassen, um den Investoren entgegenzukommen, welche die Barockbauten rund um die Frauenkirche zu rekonstruieren versprachen.