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20.09.19 / Mehr Text als Exponate / IMMH-Sonderausstellung »Flucht übers Meer« behandelt auch die Massenevakuierung über die Ostsee 1945

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-19 vom 20. September 2019

Mehr Text als Exponate
IMMH-Sonderausstellung »Flucht übers Meer« behandelt auch die Massenevakuierung über die Ostsee 1945
Manuel Ruoff

Noch bis zum 2. Februar zeigt das Internationale Maritime Museum Hamburg (IMMH) die Sonderausstellung „Flucht übers Meer“; im Untertitel benannt als „Von Troja bis Lampedusa“. Da Politik und Leitmedien die gegenwärtige Migration über das Mittelmeer als Flucht übers Meer zu verkaufen suchen, scheint das Thema aktuell.

Wirklich eine Flucht übers Meer war die Evakuierung von Ostpreußen und anderen Ostdeutschen über die Ostsee am Ende des Zweiten Weltkrieges. Tatsächlich wird die „Flucht vor den Sowjets. Ostsee 1945“ auch in dieser Ausstellung thematisiert. Sie bildet den sechsten von insgesamt elf Beispielkomplexen, die weitgehend der Chronologie folgend vorgestellt werden. Es beginnt mit „Aeneas. Die legendäre Irrfahrt von Troja nach Italien“, gefolgt von „Glaubensflüchtlinge. Pilgrim Fathers in Amerika 1620“, „Hungerflüchtlinge. Exodus der Iren 1845–1850“ und „Rettung ins Exil. Flucht vor dem NS-Regime 1933–1945“.

Direkt vor „Flucht vor den Sowjets. Ostsee 1945“ kommt „Flucht vor den Deutschen. Dünkirchen 1940“. Soll mit der Ähnlichkeit im Überschriftenaufbau eine Analogie suggeriert werden oder gar ein kausaler Zusammenhang? Das wäre Geschichtsklitterung, handelt es sich bei der „Flucht vor den Deutschen“ doch um einen überstürzten militärischen Rückzug, dessen Ursache im Gegensatz zu der „Flucht vor den Sowjets“ nicht in Gräueltaten und Verbrechen des Gegners lag, sondern in dessen militärischen Erfolgen.

„Sehnsuchtsort Gelobtes Land. Jüdischer Exodus 1947“, „Boat People. Flucht aus Vietnam 1975–1996“, „Republikflucht. Über die Ostsee: DDR 1961–1989“, „Sehnsuchtsort Florida. Kubanischer Exodus 1959–2017“ und „Übers Meer nach Europa. Fluchtweg der Millionen 1990–2019“ sind die Beispiele aus den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg.

Den Kern der Ausstellung bilden passend zu den elf Fluchtkomplexen elf größere Texte, die auch im illustrierten Begleitbuch zur Ausstellung nachzulesen sind. Diese Textlastigkeit ist heute modern. Ist sie notwendig, weil die in den Schulen vermittelte Allgemeinbildung für die eigene Interpretation von Exponaten nicht mehr ansatzweise ausreicht? Oder lässt sich mit Texten der Besucher leichter manipulieren als mit Exponaten? Wie dem auch sei, es wird eine große Chance vertan. Texte kann man sitzend vor einem Computer im Internet oder gar liegend mit einer Broschüre im Bett bequemer aufnehmen, dafür braucht man nicht ein Museum aufzusuchen und sich dann vor eine Stelltafel zu stellen. Exponate sind doch das Alleinstellungsmerkmal des Museums, wo kein Internet und keine Broschüre mitkommt. 

Die Zahl der gezeigten Exponate ist überschaubar. Zu „Aeneas“ ist eine antik anmutende Amphore zu sehen, den „Glaubensflüchtlingen“ zugeordnet ist ein Bild der „Mayflower“ und ein Exemplar der Geneva Bible, eine englische Bibelübersetzung. Bei den „Hunger-Flüchtlingen“ steht ein Korb mit Kartoffeln in der Vitrine, da die anhaltende Missernte durch die Kartoffelfäule zu der Hungersnot führte, welche die Iren in die Flucht trieb. Bei „Flucht vor dem NS-Regime 1933–1945“ wird in der Vitrine neben anderen Dokumenten – etwas unstimmig – auch eine Postkarte mit Datum vom 22. April 1921 ausgestellt. Zur „Flucht vor den Deutschen“ gibt es eine etwas größere Vitrine, die eine Vorstellung der von den Briten auf ihrem Rückzug vom europäischen Kontinent auf ihre Insel am Strand von Dünkirchen zurückgelassenen Ausrüstungsgegenstände vermitteln soll. Zur „Flucht vor den Sowjets“ ist ein Rettungsring der „Wilhelm Gustloff“ aufgehängt, eine Filmrequisite. Der Schlitten mit einem Fluchtkoffer (und seinem sich dem Betrachter nicht ganz erschließenden Inhalt) sind Leihgaben des Ostpreußischen Landesmuseums in Lüneburg. Zum „Sehnsuchtsort Gelobtes Land“ gibt es ein Modell der „Exodus from Europe 1947“ (vormals „President Warfield“), mit der sich Juden 1947 auf den Weg nach Palästina machten. Ein Steuerrad des Flüchtlingsschiffes „Skyluck“ ist den „Boat People“ zugeordnet. Verschiedene Fluchtgeräte veranschaulichen Fluchtversuche (gelungene wie tragisch missglückte) aus der DDR. Darunter befindet sich auch ein Aqua-Scooter der ILO-Motorenwerke Pinneberg. Dieses in Serie hergestellte, mit einem Zweitaktmotor betriebene Freizeitgerät für Wassersportler geht auf eine selbstgebaute Schwimmhilfe, einen Wasserschlitten, zurück, mit dem Bernd Böttger 1968 über die Ostsee in die Freiheit floh. 

Zum „Sehnsuchtsort Florida“ gibt es Floßmaterial und zu „Übers Meer nach Europa“ zwei Schwimmwesten. Schließlich werden einem an Stelen noch historische Filmaufnahmen und Zeitzeugenaussagen zu den Themenkomplexen „Flucht aus der DDR und Vietnam“, „Flucht nach USA und nach Europa“ sowie „Flucht vor Krieg und Hass“ geboten. Wer das in seinem Sammlungsbestand überwältigende Internationale Maritime Museum Hamburg besucht, kann diese Sonderausstellung sozusagen als Beifang mitnehmen. Allein wegen ihr anzureisen und eine nicht gerade günstige Eintrittskarte zu erwerben, lohnt nicht.


Nähere Informationen erteilt das Internationale Maritime Museum Hamburg, Kaispeicher B, Koreastraße 1, 20457 Hamburg, Telefon (040) 3009230–0, Fax (040) 3009230–45, E-Mail: info@imm-hamburg.de