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22.11.19 / Argumente für einen Fernsehboykott

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-19 vom 22. November 2019

Argumente für einen Fernsehboykott
Wolfgang Kaufmann

Vor dem Zusammenbruch der DDR habe ich viele Jahre meines Lebens im „Tal der Ahnungslosen“ rund um Dresden verbracht und all jene beneidet, denen es aufgrund der günstigeren geografischen Lage ihres Wohnortes vergönnt war, „Westfernsehen“ zu empfangen. Denn das Programm, das die beiden Staatssender DDR-F1 und DDR-F2 ausstrahlten, war eine Mischung aus politischer Indoktrination und realsozialistischem Biedermeier. Heute hingegen komme ich in den „Genuss“ sämtlicher Produktionen des öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehens der Bundesrepublik – ein Kabelanschluss und der monatliche Rundfunkbeitrag in Höhe von 17,50 Euro machen es möglich. Und trotzdem bleibt der Fernseher immer öfter ausgeschaltet, oder ich verfolge das Gebotene mit dem gleichen Überdruss, der mich damals befiel, als ich den dick bebrillten „Sudel-Ede“ von Karl-Eduard von Schnitzler in die Kamera zischeln sah oder die dümmlichen Parolen feister Staatskünstler von Erich Honeckers Gnaden hörte. Nur, dass ich jetzt schneller per Fernbedienung reagieren kann, wenn es gar zu arg wird. Allerdings bringt Umschalten inzwischen auch nichts mehr.

Die Öffentlich-Rechtlichen erfüllen weder ihren Informations- und Bildungsauftrag noch unterhalten sie mich. Auf sämtlichen Kanälen obsiegt die politische Indoktrination – mal ganz unverblümt in Nachrichtensendungen oder Diskussionen, die angeblich „hart, aber fair“ sein sollen, mal auf subtilere Weise in Dokumentationen und Vorabendserien. Oder ich werde mit stundenlangem Sport, ewig gleichen Schlagergesängen, banalem Gartentratsch beziehungsweise genauso seichtem Küchengeschwätz ins Wachkoma versetzt.

Und die Privaten sind in keiner Weise besser – ganz im Gegenteil. Wer bei den Öffentlich-Rechtlichen glaubt, es gehe nicht mehr schlimmer, dem sei der Umstieg auf Sendungen wie „Bauer sucht Frau“ oder „Bachelor in Paradise“ empfohlen. Die absoluten Belanglosigkeiten und hohlen Dialoge, die hier als Fernsehprogramm daherkommen, würden Menschenrechtsaktivisten auf den Plan rufen, wenn ein inhaftierter Schwerverbrecher sie zwangsweise in seiner Zelle konsumieren müsste.

Das Gleiche gilt für all die Formate, in denen gekocht, gebacken, gegrillt und dann mit dicken Backen verkostet wird – wobei sich unweigerlich Assoziationen im Hinblick auf Marco Ferreris Film „Das große Fressen“ einstellen. Nur dass dem Ganzen der philosophische Tiefgang des Klassikers von 1973 fehlt und der omnipräsente Dauer-Kauer Rainer Calmund in puncto origineller kulinarischer Dekadenz nicht so ganz mit Marcello Mastroianni mithalten kann.

Ansonsten wird neuerdings viel herumgerätselt oder irgendetwas gespielt – ganz besonders auf Prosieben, wo man offenbar meint, der Homo sapiens müsse nun mit aller Gewalt zum Homo ludens mutieren: „Crash Games – jeder Sturz zählt“, „Schlag den Star“ und „Alle gegen Einen“ heißen drei der unzähligen Produktionen. Als Anreiz dienen finanzielle Gewinne – sonst würde sich wahrscheinlich auch kaum ein Mensch an derlei Unfug beteiligen. Denn Geld ist reichlich vorhanden. Allein im Jahre 2018 beliefen sich die Nettowerbeeinnahmen von Sendern wie Prosieben, RTL und Sat.1 auf 4,54 Milliarden Euro. Da kann man schon mal eine Million an jemanden ausschütten, der sich bei Günther Jauch durch 15 an den Haaren herbeigezogene Fragen gequält hat. 

Fernsehwerbung ist übrigens auch ein Thema für sich: Einerseits versuchen die Sender beispielsweise, ihre Zuschauer dazu zu bringen, die wettbewerbsmäßige Zubereitung von Nahrung unterhaltsam zu finden, andererseits konterkarieren sie dieses Bemühen dann wieder durch das unablässige Ausstrahlen von Werbespots von Lieferando, dem Fertigessen-Lieferservice schlechthin, der die schicke neue Ikea-Küche zur bloßen Kulisse verkommen lässt. Ansonsten will man mit Werbung jetzt anscheinend weniger Produkte verkaufen als Ideologien: Viele der 4,7 Millionen Werbespots, die voriges Jahr gesendet wurden, beinhalten dumpfe antimaskuline Propaganda, blumige Multikulti-Lyrik, weltfremde Öko-Hirngespinste und ähnliche Ausgeburten der politischen Korrektheit.

Auf das Fernsehen zu schimpfen, gibt es also Gründe genug. Doch Schimpfen nützt gar nichts. Der Müll prasselt trotzdem weiter auf uns hernieder. Helfen könnte hier wohl nur ein flächendeckender Zuschauer-Boykott. Der träfe natürlich zuerst die Privaten: Die Wirtschaft würde keine Werbung mehr schalten, wenn die Sendungen, die alleine 2018 über 36855 Stunden durch Reklamespots unterbrochen wurden, nachweislich niemand mehr schaut. Dann flössen die viereinhalb Milliarden Euro definitiv in andere Kanäle.

Die Öffentlich-Rechtlichen hingegen könnten sich zunächst noch zurücklehnen: Selbst wenn sämtliche Deutsche ein Jahr lang den Fernsehkonsum verweigern würden, müssten sie weiterhin 7,8 Milliarden Euro Gebühren für ARD, ZDF und Co. berappen, damit dann beispielsweise die 2,2 Milliarden für die Gehälter von Leuten wie Claus Kleber, Frank Plasberg und Anja Reschke da sind. Allerdings wäre es für jeden Politiker, der irgendwann wiedergewählt werden will, auf Dauer selbstmörderisch, den Medienanstalten weiter Unsummen aus der Börse der Bürger zuzuschanzen, wenn das ausgestrahlte Programm von überhaupt keinem mehr gesehen wird.

Bei einem längeren Komplett-Boykott käme es also zum Kollaps des deutschen Fernsehens in seiner heutigen Form. Und es würde vielleicht etwas Besseres entstehen. Oder auch nicht. Siehe das Beispiel des DDR-Fernsehens, das gerade im Programm der Öffentlich-Rechtlichen fröhliche Urständ feiert. Aber einen Versuch wäre das Ganze trotzdem wert. Denn manche Boykotte haben es in der Vergangenheit ja tatsächlich schon vermocht, die Welt ein Stück weit zu verändern. Man denke da nur an den Busboykott von Montgomery: Aus Protest gegen die Diskriminierung der schwarzen Fahrgäste in den öffentlichen Verkehrsmitteln der Hauptstadt des US-Bundesstaates Alabama benutzten diese von Dezember 1955 bis Dezember 1956 keinen der dortigen Busse. Das war einer der wichtigsten Meilensteine auf dem Wege zur Abschaffung der Rassentrennung in den Vereinigten Staaten.