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29.11.19 / Widersprüche im Leben Friedrichs II. aufgedeckt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-19 vom 29. November 2019

Widersprüche im Leben Friedrichs II. aufgedeckt
D. Jestrzemski

Eine 1988 veröffentlichte Biografie allein mit der deutschen Literatur über Fried-rich den Großen kam bereits auf 500 Seiten. Was kann man also heute von einer weiteren Biografie über den Preußenkönig erwarten? Der 2009 in Cambridge emeritierte britische Geschichtsprofessor Tim Blanning hat eine solche in englischer Sprache geschrieben, für die er 2016 mit der British Academy Medal ausgezeichnet wurde. Im Verlag C.H. Beck erschien das Buch mit einiger Verspätung in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Friedrich der Große, König von Preußen“. 

Damit ist den vier 2012, aus Anlass des 300. Geburtstags des Preußenkönigs, erschienenen Biografien nach nur wenigen Jahren eine weitere, und zwar mehr als doppelt so umfangreiche wie die nach Seiten umfangreichste von Tillmann Bendikowski gefolgt. Von den 718 Seiten entfallen allein 120 Seiten auf die Anmerkungen im Anhang. Blanning hat ein sehr ausführliches, detailreiches und, nicht unwichtig, übersichtliches Gesamtbild entworfen, dessen Konturen sich durch die schillernde, komplexe Persönlichkeit Friedrichs im Zusammenhang mit seinen Taten ergeben, wovon die Kriegführung den entscheidenden Anteil hatte. Inhaltlich ist die mit einer Fülle von Selbstaussagen und Fremdzuschreibungen unterlegte, brillant geschriebene Darstellung in die drei Teile oder Sparten „Friedrichs Leiden und Größe“, „Krieg und Frieden“ und „An der Heimatfront“ untergliedert.

Durch das unwahrscheinliche Bestehen Preußens im Siebenjährigen Krieg gegen halb Europa erwies sich aus Sicht seiner Zeitgenossen und der frühen Historienschreiber wie Leopold von Ranke, dass König Friedrich II. „eines großen Volkes Erdensendung“ erfüllt habe. Man bewunderte den Kriegshelden, Staatsmann, Musiker, Bauherrn, Historiografen und Philosophen der Aufklärung – auch Blanning spricht dem Preußenkönig nicht das Prädikat der Große ab, stellt ihn aber auch als Ungeheuer dar. Dazu fand er viele Belege, die ihn schlussfolgern lassen, „dass Friedrichs Beziehungen zu anderen Menschen bis zu einem Grade autoritär waren, den man diktatorisch nennen muss“. 

Entsorgt ist längst der bis in die Nachkriegszeit unausrottbare, durch zahllose Anekdoten manifestierte Mythos vom edlen, gerechten, weisen und selbstgenügsamen „Alten Fritz“. Blanning hebt dagegen hervor, dass dieser feinsinnige Kunstliebhaber überaus verschwenderisch und auf allen Gebieten, auf denen er sich hervortat, maßlos ehrgeizig und auf seinen Ruhm und Nachruhm bedacht war, dass er das gemeine Volk, dem er diente, gleichzeitig verachtete, ebenso wie die deutsche Sprache und Literatur. Für dieses Missverhältnis zwischen Rezeption und Wirklichkeit bietet er einige Erklärungsansätze. 

Als unumstößlich gilt in der Forschung die Interpretation, dass die harte Erziehung und die Erniedrigungen durch den Vater König Friedrich Wilhelm I. wesentlich zur Ausformung der widersprüchlichen Charakterzüge des hoch talentierten Thronfolgers beigetragen haben. 

Diesem Interpretationsfeld hat der Autor noch eine persönliche Note hinzugefügt, indem er Fried-richs homosozial und homoerotisch geprägten cercle intime bis ins Detail nachzeichnet. Als Beleg für seine, wie er glaubt, ausgelebte Homosexualität dienen unter anderem einige Abbildungen vollendet schöner Jünglingsstatuen, mit denen Friedrich seine Schlösser und Parks ausstatten ließ, so den Antinous in Sanssouci, dem Fenster seines Arbeitszimmers zugewandt. „Dieser Aspekt seines Lebens sollte nicht als etwas Nebensächliches angesehen werden“, meint er. „Wie er selbst klarstellte, war diese kulturelle Selbstinszenierung für seine Identität, seinen Anspruch und seine Leistung von zentraler Bedeutung.“ Blanning erweist sich mit seinem Buch nicht nur als idealer Biograf Friedrichs II., sondern hat auch einen Maßstab für das Genre der Biografik gesetzt.

Tim Blanning: „Friedrich der Große, König von Preußen“, C.H. Beck Verlag, München 2018, gebunden, 718 Seiten, 34 Euro