18.05.2024

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10.01.20 / Vor dem Reichstag / Deutschlands blutigste Demonstration

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02 vom 10. Januar 2020

Vor dem Reichstag
Deutschlands blutigste Demonstration
Wolfgang Kaufmann

Die unter den Novemberrevolutionären umstrittene Frage parlamentarische oder Rätedemokratie war auch nach der Vorentscheidung durch die im August 1919 verabschiedete Weimarer Verfassung umstritten. Dabei entzündete sich der Streit vor allem am geplanten Betriebsrätegesetz (BRG). Während einige Politiker der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) das volle Kontrollrecht über die Betriebsführung durch die Arbeiterräte verlangten, sah der Entwurf des BRG zahlreiche Kompromisse zugunsten der Unternehmer vor. 

Allerdings hatte die USPD in der Nationalversammlung nur 22 von 423 Sitzen inne und die KPD überhaupt keine. Wollte die radikale Linke ihre Vorstellungen nicht zumindest vorerst aufgeben, blieb ihr nur, auf revolutionärem Wege von der Straße aus Druck zu machen. Also riefen die Parteizeitungen „Freiheit“ und „Rote Fahne“ für den 13. Januar 1920 zu einer großen Protestdemonstration „gegen das Betriebsrätegesetz, für das revolutionäre Rätesystem“ vor dem Berliner Reichstagsgebäude auf, in dem die Nationalversammlung an jenem Tage den zweiten Entwurf des BRG beraten wollte.

Der Schutz des Gebäudes, um das es damals noch keine Bannmeile gab, gegen eventuelle Übergriffe der rund 100 000 Demonstranten oblag der preußischen Sicherheitspolizei. Die Sipo konnte jedoch nicht verhindern, dass es zu tätlichen Angriffen auf einige Abgeordnete kam, die auf dem Wege zu der Sitzung waren. Teilweise wurden die Sipo-Angehörigen selbst angegriffen und ihrer Waffen beraubt. 

Kurz vor 16 Uhr fielen plötzlich einzelne Schüsse aus der Menge vor dem Portal des Reichstages, durch die ein Polizist starb. Anschließend sollen Demonstranten versucht haben, das Gebäude zu stürmen. Nun begannen die Sicherheitspolizisten, mit Maschinengewehren in die Menge zu feuern und Handgranaten zu werfen. Daraufhin zerstreuten sich die Protestler in Panik.

Die Zahl der Opfer des Zwischenfalls ist bis heute ungeklärt. Möglicherweise gab es 42 Tote und 105 Verletzte. Auf jeden Fall gilt die Demonstration als die blutigste in der neueren deutschen Geschichte.

Das BRG wurde ungeachtet der Krawalle am 18. Januar 1920 von der Nationalversammlung verabschiedet und hatte bis über die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten hinaus bis 1934 Bestand. Damit erlitt die radikale Linke eine weitere empfindliche Niederlage. Außerdem führte der umgehend verkündete Ausnahmezustand zur Verhaftung zahlreicher ihrer Führungspersönlichkeiten. Das beides bewirkte eine weitere Spaltung innerhalb der Arbeiterbewegung. Andererseits solidarisierten sich viele Berliner mit der Sipo, die offenbar einen zweiten Spartakusaufstand verhindert hatte.