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06.03.20 / Moderne Agrarwirtschaft / Bauernhof auf dem Dach / Obst und Gemüse sollen in Zukunft mitten in Großstädten angebaut werden – In Paris entsteht bereits die größte Dachfarm der Welt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10 vom 06. März 2020

Moderne Agrarwirtschaft
Bauernhof auf dem Dach
Obst und Gemüse sollen in Zukunft mitten in Großstädten angebaut werden – In Paris entsteht bereits die größte Dachfarm der Welt
Dagmar Jestrzemski

Etwas mehr Natur in den Großstädten kann nicht schaden. Sie nützt der Stadtökologie und erfreut die Bewohner der Metropolen. Stadtplaner haben jetzt vielfältige Chancen erkannt, um den Problemen durch die wachsenden Städte mit einschlägigen Ideen zu begegnen. Berlin etwa fördert die Pläne von Bürgern, die sich ein urbanes Gartenreich erschaffen wollen. In Paris eröffnet in diesem Frühjahr der weltweit größte „vegetarische Bauernhof“ auf dem Dach eines neuen Gebäudes auf dem Messegelände Porte de Versailles im Südwesten der Stadt. 

Pflanzen kühlen ihre Umgebung ab, wenn sie Wasser verdunsten und dabei Wärme verbrauchen. So wirkt das Blattwerk der Pflanzen wie eine Klimaanlage. Mit seinen romantischen und botanischen Gärten hat Paris seit jeher viele reizvolle Grünflächen. Insgesamt aber fällt die „grüne“ Bilanz im Vergleich mit anderen Großstädten nicht so positiv aus. Im Rahmen eines ehrgeizigen Klimaschutzplans hat sich Frankreichs Hauptstadt daher zum Ziel gesetzt, bis 2024 tausende Bäume zu pflanzen und kleine Flächen wie Hinterhöfe, Dächer, Fassaden und ungenutzte Räume zwischen den Gebäuden zu begrünen. 

Erstmals waren die Bürger aufgerufen, sich mit eigenen Plänen und Ideen an dem Vorhaben zu beteiligen. Insgesamt sollen 100 Hektar neu bepflanzt werden. Ein Drittel ist für die urbane Landwirtschaft vorgesehen, wovon die neue vegetarische Dachfarm auf dem Messegelände mit 14 000 Quadratmetern fast 25 Prozent abdeckt. Das Dach des sechsstöckigen Gebäudes wurde an die Unternehmen Agripolis und Culture en Ville verpachtet, beide Spezialisten für platzsparende biologisch-organische Anbaumethoden. Sie überzeugten mit einem umfassenden Unterhaltungskonzept, das im Kern auf einer Versorgung der Geschäfte und Anwohner in der näheren Umgebung mit Lebensmitteln ohne lange Transportwege basiert.

Wenn der Plan aufgeht, könnte die urbane Farm zum beispielgebenden Modell für Städte in aller Welt werden, wie der Agripolis-Gründer Pascal Hardy gegenüber Pressevertretern erklärte. Dies käme den Vorstellungen von Frankreichs Agrarminister Didier Guillaume entgegen, der für die gesamte EU einen radikalen agrarökologischen Umbau der Landwirtschaft fordert. 

Problem der Feinstaubbelastung

Seit Mitte vergangenen Jahres wurden die Gärten, Plantagen und Wiesen in luftiger Höhe für den Anbau von Obst, Gemüse und Aromapflanzen vorbereitet. 

22 Gärtnerinnen und Gärtner wurden eingestellt. Im November begann die Aussaat, geerntet wird schon ab diesem Frühjahr. Mehr als 30 überwiegend alte Sorten werden ohne den Einsatz von Pestiziden und sonstigen Chemikalien angebaut. 

Großenteils erfolgt die Pflanzenproduktion vertikal unter Anwendung der aeroponischen Anbautechnik. Dies ist eine neuartige, substratlose Pflanzenzucht mit übereinander hängenden Obst- und Gemüsetöpfen, wobei die Wurzeln in geschlossenen Behältern mit Wasser und einer Nährlösung versorgt werden. 

An der Seite der Pflanzentürme ranken sich Kletterpflanzen. Bei sachgerechter Bewirtschaftung ist der Wasser- und Energiebedarf niedriger als in der herkömmlichen Landwirtschaft. Für die Hochsaison rechnet man mit einer täglichen Ernte von 1000 Kilogramm Obst und Gemüse. Vorrangig sollen Supermarktketten, Kantinen und Hotels in der näheren Umgebung beliefert werden sowie das Panoramarestaurant des Messegebäudes mit seinen 300 Plätzen und einer Bar.

Darüber hinaus können Anwohner direkt vor Ort einkaufen oder ein Beet mieten, um Erdbeeren und Möhren anzubauen. Dank eines ausgeklügelten Vermarktungskonzepts soll das Projekt gleich im ersten Jahr seines Bestehens rentabel werden. Dazu trägt ein breit gefächertes Angebot an Führungen und Arbeitskreisen bei. Der Besuch von Schulklassen ist ausdrücklich erwünscht. Die Betreiber rechnen mit 10 000 Besuchern im Jahr.

Längst wird das Urban Farming in Metropolen wie Vancouver, New York, Chicago, Detroit und Shanghai entweder zur Selbstversorgung oder professionell in großem Stil betrieben. Wenn der städtische „Feldbau“ jedoch in absehbarer Zeit einen wirklich signifikanten Beitrag zur Versorgung der städtischen Bevölkerung leisten soll, müssen überall viele, vor allem große Dächer, etwa von Industriebauten, auf ihre Eignung hin geprüft und nutzbar gemacht werden. Neubauprojekte müssten von vornherein entsprechend entwickelt und konstruiert werden. Bis dahin scheint es noch ein langer Weg zu sein. Doch manchmal treten Entwicklungen viel schneller ein als gedacht. 

Einen Dämpfer erhielt die gute Idee allerdings Ende 2018. Forscher des Instituts für Ökologie der TU Berlin untersuchten Obst und Gemüse aus Berliner Stadtgärten im Hinblick auf Schadstoffe. Es zeigte sich, dass die Belastung mit Schwermetallen und Feinstaub wesentlich höher ist als bei konventionell gezüchtetem Obst und Gemüse aus dem Supermarkt. Weniger Umweltgifte fanden sich in den Proben von Gemüse, das in einem gewissen Abstand zwischen der Plantage und einer befahrenen Straße wuchs. Dementsprechend ist die Anlage von Beeten auf Dächern von mehrgeschossigen Häusern oder sogar Wolkenkratzern zweifellos von Vorteil. 

Wie nötig trotz der wohl unvermeidlichen erhöhten Umweltbelastung eine mehr auf Eigenversorgung ausgerichtete Stadtplanung ist, verdeutlicht ein UNO-Bericht von 2018. Danach werden 2050 zwei von drei Menschen in Städten oder Ballungsräumen leben. Ihre Nahrungsversorgung muss sichergestellt werden.