18.05.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
29.05.20 / Leitartikel / Quo vadis, AfD?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22 vom 29. Mai 2020

Leitartikel
Quo vadis, AfD?
René Nehring

Die Hauptursache für alle Scheidungen liegt in der Eheschließung.“ Diese durchaus flapsige Weisheit aus dem Kreis der Standesbeamten passt gut zur derzeitigen Lage der Alternative für Deutschland (AfD). Seit dem Beschluss des AfD-Bundesvorstandes, den brandenburgischen Landesvorsitzenden Andreas Kalbitz aus der Partei auszuschließen (siehe PAZ 21/2020) wird immer mehr offenbar, dass in dieser Partei Strömungen vereint sind, die kaum zueinander passen. 

Doch der Reihe nach: Als 2013 die AfD gegründet wurde, war sie ein Zusammenschluss von Frauen und Männern aus der bürgerlichen Mitte, die zunehmend frustriert waren über die Entwicklung der Gesellschaft, insbesondere über die fundamentalen Kursänderungen der CDU in der Ära Merkel. Vor allem die Energiewende und die „Euro-Rettungspolitik“, die die ökonomischen Grundlagen des Landes und den Wohlstand seiner Bürger bedrohten, führten dazu, dass sich zahlreiche Anhänger und Wähler von den etablierten politischen Kräften abwandten. 

Als Energiewende und „Euro-Rettung“ an Bedeutung verloren, brauchte die AfD ein neues Mobilisierungsthema – und fand dieses in der Verunsicherung vieler Deutscher über die zunehmende Immigration und damit einhergehend Probleme wie Asylmissbrauch oder Clan-Kriminalität. Als im Spätsommer 2015 Kanzlerin Angela Merkel die Grenzen für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge öffnete und in den folgenden Monaten hunderttausende Immigranten ungehindert ins Land strömen konnten, zog die AfD nach und nach in alle Landtage ein und letztlich 2017 auch in den Deutschen Bundestag. 

Innerparteiliche Kräfteverschiebung

Doch bereits im Sommer 2015 hatten mit Bernd Lucke, Joachim Starbatty und Hans-Olaf Henkel wichtige Gründerfiguren die AfD verlassen, weil sie die Partei auf einem unguten Weg sahen. Zwar argumentierte manch Anhänger, dass jene als Wirtschaftsprofessoren und Verbandsfunktionäre nie so recht in die Niederungen der Parteipolitik gepasst hätten; doch verlor die AfD mit den Genannten eben auch bürgerliche Schwergewichte, die mit ihrer Reputation und ihren Netzwerken dafür gesorgt hatten, dass die neue politische Kraft bis in die Mitte hinein Unterstützung fand. Als politische Randpartei hätte es die AfD nie über fünf Prozent geschafft. 

Der Abgang eines Teils der bürgerlichen Gründergeneration führte schon bald zu einer Verschiebung der Kräfte in der Partei. Immer häufiger gaben nun Akteure den Ton an, die Wohlmeinende als „nationale Romantiker“, Kritiker jedoch als „Rechtspopulisten“, „Völkische“ oder „Nationalisten“ bezeichneten. Zur Stärkung ihrer innerparteilichen Schlagkraft schlossen sich die Anhänger jener Strömung im „Flügel“ zusammen; geführt vom thüringischen Landesvorsitzenden Björn Höcke und Andreas Kalbitz. Beide verfolgen eine gänzlich andere Agenda als die Gründer. Wollten Lucke & Co. eine Rückkehr zu den erfolgreichen wirtschaftspolitischen und rechtsstaatlichen Prinzipien der alten Bundesrepublik, so forderten Höcke und Kalbitz eine Erneuerung der Nation. 

Trotz aller Aufregungen, Trennungen und Skandale, wie sie sich im Findungsprozess einer neuen politischen Kraft kaum vermeiden lassen, gewann die AfD zunächst immer weiter an Zuspruch und stand lange stabil bei 13 bis 18 Prozent. Doch mit der Zeit wurde immer klarer, dass hier Kräfte zusammengefunden hatten, die nicht zusammenpassten. Immer wieder mussten sich jene, die auf eine bürgerliche Sachpolitik setzten, mit gezielten Provokationen des „Flügels“ auseinandersetzen und sich in der Öffentlichkeit dazu erklären. Wollten die einen Sachfragen der Renten-, Finanz-, Verkehrs- oder Sicherheitspolitik diskutieren, so setzten die anderen auf Meta-Themen wie Identität oder den Kampf gegen den „globalisierten Multikulturalismus“ (Kalbitz). 

Doch trotz der Differenzen hielten führende Repräsentanten der Partei, die eigentlich als bürgerlich galten, lange Zeit ihre schützende Hand über den „Flügel“; nicht zuletzt, um sich dessen Unterstützung bei Vorstandswahlen zu sichern. Alexander Gauland erklärte den „Flügel“ gar zur „Mitte der Partei“. Und die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel, die einst den Rauswurf von Höcke betrieben hatte, attestierte sich nach einem Bündnisschluss mit dem „Flügel“ das Durchlaufen einer „Lernkurve“. Auch Jörg Meuthen, der nun den Ausschluss von Kalbitz betrieb, war wiederholt bei den Kyffhäusertreffen des „Flügels“ zu Gast.  

Perspektiven

In der Frage, wohin die AfD sich wendet, spielte zuletzt auch ein anderer Gegensatz eine Rolle, der sich bereits in den vergangenen Jahren angedeutet hatte: die Gräben zwischen Ost (mit Ausnahme Berlins) und West. Zwar gibt es Anhänger beider Lager in allen Regionen, doch dominierten in den westlichen Landesverbänden zumeist die bürgerlichen Kräfte und in den östlichen der „Flügel“. Schon vor dem Kalbitz-Rauswurf verwiesen Mitglieder und Funktionäre der östlichen Landesverbände – etwa zur jüngsten Hamburg-Wahl – auf ihre Wahlerfolge im Herbst 2019, als die AfD in Sachsen 27,5 Prozent, in Brandenburg 23,5 Prozent und in Thüringen 23,4 Prozent der Stimmen holte.  

Allerdings werden aufgrund der demographischen Realitäten in Deutschland Wahlen auf Bundesebene nicht im Osten der Republik entschieden, sondern im Westen. Zehn bis 15 Prozent in Bayern, Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen können in absoluten Zahlen leicht für doppelt so viele Stimmen (und Mandate) stehen wie 20 bis 25 Prozent in Brandenburg oder Sachsen. Und da der Westen der Republik nach wie vor bürgerlich geprägt ist, dürfte klar sein, welcher Politikansatz der Partei gesamtdeutsch mehr nützen dürfte. 

Eine entscheidende Frage jenseits der Programmatik lautet, ob die AfD dauerhaft in der Opposition verharren will, oder ob sie den Anspruch hat, tatsächlich irgendwann einmal Politik gestalten zu wollen? Wer ersteres will, kann es sich leisten, „keine Kompromisse machen“ zu wollen und inner- wie außerparteiliche Gegner mit Worten wie „Deutschlandhasser“ (Kalbitz) oder „Verräter“ (Höcke) zu attackieren. Er wird dann jedoch niemals in die Verlegenheit kommen, den eigenen Versprechungen auch Taten folgen lassen zu müssen. Wer jedoch die Gesellschaft aktiv gestalten möchte, der wird um pragmatisches Handeln und die Suche nach Kompromissen nicht herumkommen. 

Insofern steht die AfD derzeit vor keiner geringeren Frage als der, ob sie irgendwann einmal aktiv über die Geschicke dieses Landes mitbestimmen möchte, oder ob sie lieber dauerhaft zusehen will, wie andere politische Akteure entscheiden, wo es langgeht.