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31.07.20 / Cum-Ex-Skandal / Der größte Steuerraub – „... aber das Geld ist weg“ / Ein neues Gesetz hebt die Verjährungsfrist bei Steuerhinterziehung deutlich an. Dennoch dürften zahlreiche Straftäter davonkommen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31 vom 31. Juli 2020

Cum-Ex-Skandal
Der größte Steuerraub – „... aber das Geld ist weg“
Ein neues Gesetz hebt die Verjährungsfrist bei Steuerhinterziehung deutlich an. Dennoch dürften zahlreiche Straftäter davonkommen
Norman Hanert

Weitgehend unbemerkt haben Bundestag und Bundesrat Ende Juni mit dem „Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz“ nicht nur vorübergehend die Mehrwertsteuer gesenkt, sondern auch die strafrechtliche Verjährungsfrist bei Steuerhinterziehung deutlich erhöht. Die neue Regelung sieht unter anderem vor, in Fällen von schwerer Steuerhinterziehung die Verjährungsfrist von bislang 20 auf 25 Jahre zu verlängern. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) verwies in seiner Begründung für den Gesetzentwurf ausdrücklich auf Steuerstrafverfahren zu sogenannten Cum-Ex-Geschäften. 

Dabei geht es um eine Lücke im deutschen Steuerrecht, die Investoren aus aller Welt bis 2012 ausgenutzt haben. Rund um den Dividendenstichtag schoben die Beteiligten Aktien zwischen ihren Depots hin und her, um sich anschließend eine nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer samt Solidaritätszuschlag gleich mehrmals vom Finanzamt erstatten zu lassen.

Nach Berechnungen des Finanzwissenschaftlers Christoph Spengel könnte durch steuerlich motivierte Aktiengeschäfte rund um den Dividendenstichtag für den deutschen Fiskus von 2001 bis Ende 2011 ein Schaden von über 30 Milliarden Euro entstanden sein. 

Zweites Corona-Steuerhilfegesetz

Obwohl recht früh erste Hinweise auf die Steuertricks auftauchten, wurde die Lücke im deutschen Steuerrecht erst 2012 wirksam geschlossen. Nach Angaben von Minister Scholz laufen derzeit gegen mehr als 100 Banken auf vier Kontinenten und zirka 1000 Personen Ermittlungen. 

Die maßgeblich vom Bundesfinanzministerium vorangetriebene Änderung der Verjährungsfristen ist nun allerdings auf scharfe Kritik gestoßen. Laut Recherchen des Westdeutschen Rundfunks Köln und der „Süddeutschen Zeitung“ kann eine Stichtagsregelung in der Gesetzesreform nämlich dazu führen, dass in Cum-Ex-Fällen auch nach einer gerichtlichen Verurteilung Steuergelder nicht zurückgefordert werden, wenn die Vorfälle bereits steuerrechtlich verjährt sind. Das Bundesfinanzministerium führt als Argument für den gewählten Stichtag, den 1. Juli 2020, das rechtsstaatliche Prinzip des Rückwirkungsverbots an. 

Aus Sicht des Verfassungs- und Steuerrechtlers Simon Kempny sind allerdings Ausnahmen denkbar. Der Jurist von der Universität Bielefeld sagt: „Um die Frage zu entscheiden, ob Altfälle mit einbezogen werden dürfen, kommt es für das Bundesverfassungsgericht darauf an, ob der Gesetzgeber damit einen legitimen gesetzgeberischen Zweck verfolgt und für diesen Zweck die Einziehung der Altfälle erforderlich und verhältnismäßig ist.“ Vor diesem Hintergrund hätte aus Sicht des Verfassungsrechtlers das Bundesfinanzministerium zumindest versuchen können, das Gesetz erst einmal ohne Einschränkung durchzubringen.

Über 30 Milliarden Euro Schaden

Auch Nordrhein-Westfalens Justizminister Peter Biesenbach fordert eine Diskussion darüber, wie Altfälle erfasst werden sollen. „Hier geht es um Beträge, bei denen auch die Ermittler davon ausgehen, dass sie in die Milliarden hineingehen.“ Zur Begründung sagte der CDU-Minister: „Ich halte es für unerträglich, wenn wir sagen, wir verurteilen zwar möglicherweise Personen zu Haftstrafen, aber das Geld ist weg, an das kommen wir nicht mehr ran.“ 

In der Tat könnte der Kreis der Akteure, die von der Stichtagsregelung profitieren, recht groß sein. Angenommen wird, dass viele Cum-Ex-Fälle steuerlich bereits verjährt sind, allein weil Finanzämter zu spät auf sie aufmerksam wurden. 

Lange Zeit herrschte bei den Steuerbehörden zudem auch Unsicherheit über die Rechtslage. Bis vor Kurzem war nämlich umstritten, ob es sich bei den fraglichen Aktiengeschäften nicht einfach nur um eine sehr clevere, aber legale Ausnutzung einer Gesetzeslücke handelt. Mit dieser Frage beschäftigen sich schon seit Jahren die Finanzgerichte in ganz Deutschland.

Im März dieses Jahres kam das Bonner Landgericht im bundesweit ersten Strafprozess gegen zwei britische Aktienhändler allerdings zu der Überzeugung, dass die Cum-Ex-Geschäfte strafbar sind. In ihrem Plädoyer bewertete die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker diese Aktiengeschäfte insgesamt sogar als „größten Steuerraub der deutschen Geschichte“.