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25.09.20 / Für Sie gelesen / Warnruf eines Journalisten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39 vom 25. September 2020

Für Sie gelesen
Warnruf eines Journalisten
Dirk Klose

„Eurasien“ ist in Moskau das neue Zauberwort. Die gewaltige Landmasse von Lissabon bis Wladiwostok wird von Russland dominiert, daran gibt es nichts zu deuteln. Das jedenfalls ist einer der Kerngedanken des neuen Putinschen Denkens, des „Putinismus“, wie es Manfred Quiring in seinem ebenso erhellenden wie erschreckenden Buch beschreibt. Der Autor war viele Jahre Korrespondent deutscher Zeitungen in der UdSSR und dann Russland. Er kennt Land und Leute, auch viele einflussreiche Persönlichkeiten um Wladimir Putin, und konnte so in vertraulichen Gesprächen viel von der Mentalität der neuen Mächtigen einfangen.

Zauberwort „Eurasien“

Das Buch ist ein einziger Warnruf, das in Putin verkörperte Weltmachtstreben des Landes ernst, ja überhaupt in seiner vollen Tragweite zur Kenntnis zu nehmen. Quiring bringt mit vielen anschaulich beschriebenen Fakten die in der Summe erschreckenden Beispiele, die man auch aus der täglichen Berichterstattung kennt: Demokratieabbau, wachsende Militarisierung, Justizwillkür, kaltschnäuzige Außenpolitik und eine Neuinterpretation der Geschichte, die Russland einschließlich Stalins „heroischer Leistungen“ im Zweiten Weltkrieg über alles stellt.

Eine große Schar „grauer Männer“, so der Autor, sichere Putins Herrschaft an allen Schaltstellen der Macht. Intoleranz im Inneren gegen Andersdenkende paare sich mit Aggressivität in der Außenpolitik: gegenüber dem „nahen Ausland“ wie dem Baltikum, Polen oder der Ukraine, dann in Syrien, wo Putins Vabanquespiel einen unerwarteten Erfolg hat. Und in der Hinterhand bleibt die latente Drohung mit neuen furchtbaren Atomwaffen.

Überraschend für den Leser ist, dass Quirings zum Teil einflussreiche Gesprächspartner Putins Großmachtstreben, wie es scheint, mit einer gewissen Skepsis sehen. Weltmacht ja, bei den Atomwaffen, aber sonst doch nicht! Trotz der riesigen Erdgasgeschäfte reiche es nicht zum „Global player“ wie den USA oder China.

Polemik gegen Putin

Der Autor lässt an Putin kein gutes Haar, was auch einige unnötig polemische Formulierungen („Putins Clique“, „Putins Strippenzieher“) zeigen. Aber in der Sache hat er, andere Quellen bezeugen es auch, leider recht. Der schonungslose Blick auf ein Land, das alle Möglichkeiten zu friedlicher Entwicklung und Zusammenarbeit hätte, kann im eigenen Interesse nur nützlich sein. Und trotzdem: Der Westen, zumal die europäischen Länder, müssen mit Russland leben, müssen einen erträglichen modus vivendi finden, anders geht es nicht. Quiring empfiehlt etwas vage Gemeinsamkeit, Entschlossenheit und Illusionslosigkeit. 

Das bedeutet wohl fortwährend, was Max Weber von guter Politik verlangt: Das stete Bohren harter Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. 

Manfred Quiring: „Russland. Auferstehung einer Weltmacht?“, Ch. Links Verlag, Berlin 2020, gebunden, 280 Seiten, 20 Euro