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23.10.20 / US-Wahl-„Orakel“ Allan Lichtman glaubt an einen Sieg Bidens, weil sieben Argumente dafür sprächen und nur sechs für einen Erfolg Trumps. Helmut Norpoth erwartet aufgrund seines Primary-Modells das Gegenteil / Ein nicht ganz unparteiisches „Orakel“ / Vier Gründe, an der Neutralität des vermeintlich objektiven Allan Lichtman zu zweifeln

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43 vom 23. Oktober 2020

US-Wahl-„Orakel“ Allan Lichtman glaubt an einen Sieg Bidens, weil sieben Argumente dafür sprächen und nur sechs für einen Erfolg Trumps. Helmut Norpoth erwartet aufgrund seines Primary-Modells das Gegenteil
Ein nicht ganz unparteiisches „Orakel“
Vier Gründe, an der Neutralität des vermeintlich objektiven Allan Lichtman zu zweifeln
Wolfgang Kaufmann

Während die Demoskopen eifrig Umfragen durchführen, gehen manche Wissenschaftler andere Wege, um eine Antwort auf die Frage zu erhalten, welcher der beiden Kandidaten bei den US-Präsidentschaftswahlen am 3. November das Rennen machen wird. Im Fokus der Öffentlichkeit steht dabei insbesondere der Historiker und Politologe Allan Lichtman von der American University in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten. Denn das sogenannte Orakel von Washington hat bislang den Ausgang fast aller Wahlen für das höchste Staatsamt der USA seit 1984 richtig vorhergesagt. Dies gilt auch für den spektakulären Triumph von Donald Trump im Jahre 2016. Nur 2000 lag Lichtman falsch, als er prophezeite, Al Gore werde George W. Bush schlagen.

Seine Prognosen erstellte Lichtman mit Hilfe eines Systems, das auf der Analyse sämtlicher US-Wahlergebnisse von 1860 bis 1980 basiert. Die Anregung hierzu erhielt er 1981 von dem russischen Geophysiker Wladimir Keilis-Borok, der auf die Idee gekommen war, bei politikwissenschaftlichen Analysen auf die Grund-Algorithmen zur Erdbebenvorhersage zurückzugreifen. Lichtmans System beruht auf der Annahme, dass es insgesamt 13 sogenannte Schlüssel gebe, die den Zugang zum Weißen Haus ermöglichten. Zum mutmaßlichen Wahlsieger kürte er also immer denjenigen, der über mindestens sieben dieser Schlüssel verfügt. Dazu zählen beispielsweise Charisma, eine Karriere ohne Skandale sowie – im Falle des Amtsinhabers, der zur Wiederwahl antritt – politische, wirtschaftliche und militärische Erfolge während der ersten vier Jahre als Präsident. 

Nun verkündete Lichtman in einem Video, das die „New York Times“ online stellte, dass Trump lediglich sechs der 13 nötigen Schlüssel in Händen halte, während sein Herausforderer Joe Biden auf sieben komme. Deswegen werde letzterer die Wahl gewinnen. Das ging durch alle US-Medien. 

Al Gores Wahlsieg vorausgesagt

Dabei blieb aber zumeist unerwähnt, wie wenig neutral das vermeintlich objektive „Orakel“ Lichtman letztlich ist. Zum Ersten gehört er der Demokratischen Partei an und kandidierte für diese 2006 bei den Vorwahlen zur Wahl zum US-Senat im Bundesstaat Maryland. Damals erhielt Lichtman aber nur 1,2 Prozent der Stimmen und verlor somit haushoch gegen seinen parteiinternen Konkurrenten Benjamin Cardin. Zum Zweiten beriet er in der Vergangenheit prominente demokratische Politiker wie Edward Kennedy und Al Gore, dessen Siegeschancen er 2000 überschätzte. Zum Dritten fungiert Lichtmans Ehefrau Karyn Strickler als Präsidentin der Klimaschutz-Lobbyorganisation Vote Climate. Diese unterstützt vorrangig demokratische Kandidaten. Und zum Vierten ist der Politologe ein dezidierter Gegner Donald Trumps. Davon zeugt nicht zuletzt sein Buch „The Case for Impeachment“ aus dem Jahre 2017, in dem er jede Menge Argumente auflistete, warum man den Präsidenten des Amtes entheben sollte.

Im Zusammenhang mit dem von den Demokraten tatsächlich Ende 2019 angestrengten Impeachment-Verfahren unterlief dem „Orakel von Washington“ eine weitere Fehleinschätzung, denn im Gegensatz zu seiner Ankündigung wurde Trump nicht mit Schimpf und Schande aus dem Weißen Haus gejagt. Und vielleicht irrt sich der Professor ja nun bald zum dritten Mal, womit sein größter wissenschaftlicher Gegenspieler, Helmut Norpoth, die Nase vorn hätte. Denn dessen auf mathematischen Formeln basierendes Primary-Modell sagt genau wie schon 2016 einen Wahlsieg Trumps voraus (siehe unten).





Kurzporträts

Allan Lichtman von der American University in Washington D.C. sagt einen Sieg von Joe Biden bei der US-Präsidentschaftswahl im November voraus

Helmut Norpoth von der Stony Brook University (New York) meint, der Amtsinhaber Trump werde mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit wiedergewählt

Der aus Russland stammende Geophysiker Wladimir Keilis-Borok hat die Verwendung der Erdbebenvorhersagemethoden für Wahlprognosen vorgeschlagen