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04.12.20 / Alfred Dregger / Der „Gentleman“ aus der „Stahlhelm-Fraktion“ / Der vor 100 Jahren geborene Politiker machte die CDU in Hessen stark und führte die Unions-Fraktion im Bundestag

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49 vom 04. Dezember 2020

Alfred Dregger
Der „Gentleman“ aus der „Stahlhelm-Fraktion“
Der vor 100 Jahren geborene Politiker machte die CDU in Hessen stark und führte die Unions-Fraktion im Bundestag
Erik Lommatzsch

Am 30. Oktober 1989 präsentierte der Chefkommentator des DDR-Fernsehens, Karl-Eduard von Schnitzler, letztmalig seine Propagandasendung „Der schwarze Kanal“. Unter den ihm besonders verhassten Politikern der Bundesrepublik, die er in dieser Abschiedsagitation noch einmal dezidiert herausstellte, war auch „Dregger“. Dass den Zuschauern der damalige CDU/CSU-Faktionsvorsitzende im Bundestag bekannt war, konnte Schnitzler voraussetzen, weder Vornamen noch Amt musste er eigens nennen. 

Alfred Dregger war einer der prominentesten und profiliertesten CDU-Politiker der „Bonner Republik“. In nahezu jeder Charakterisierung findet sich die Zuschreibung „konservativ“, häufiger „nationalkonservativ“. Gegner ordneten ihn gern in eine von ihnen ausgemachte „Stahlhelm-Fraktion“ ein, womit diejenigen gemeint waren, die unter anderem konsequente deutschlandpolitische Positionen und eine klare Frontstellung gegen das SED-Regime vertraten. Dregger selbst verstand sich auch als liberal. Dass er andere Meinungen gelten ließ, wird ihm nicht nur von Freunden bescheinigt. Um ihn als Mann „alter Schule“ zu fassen, kam seinerzeit nicht einmal der „Spiegel“ umhin, die Apostrophierung „Offizier und Gentleman“ zu verwenden.

Dregger wurde vor 100 Jahren, am 10. Dezember 1920, in Münster geboren, sein Vater wirkte als Verlagsdirektor. 1939 erfolgte die Einberufung zur Wehrmacht, viermal wurde er verwundet, zuletzt hatte er den Rang eines Hauptmanns inne. Laut Mitgliederkartei gehörte er ab 1940 der NSDAP an. Möglich ist, dass die Aufnahme ohne Antrag erfolgte, etwa als „automatische“ Überführung aus der Hitlerjugend. Er selbst hat den Parteibeitritt bestritten.

Er hat früher polarisiert ...

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges studierte Dregger Rechts- und Staatswissenschaften in Tübingen sowie in Marburg, mit einer Arbeit über Haftungsfragen erfolgte die Promotion. Nach Referententätigkeiten wurde er 1956 Oberbürgermeister von Fulda. Bis 1970 blieb er im Amt. Diese Zeit bezeichnete er später als die glücklichste seines Lebens.. 

Dreggers Ambitionen reichten aber über die kommunale Ebene hinaus. 1962 wurde er hessischer Landtagsabgeordneter. 1967 übernahm er den Landesvorsitz der CDU. Spitzenkandidat für das Amt des Ministerpräsidenten war er erstmals 1970, auch bei den drei folgenden Landtagswahlen wurde er aufgestellt. Hatte die CDU in Hessen 1966 lediglich 26,4 Prozent erreicht, so erfolgte unter Dregger ein massiver Stimmenzuwachs. 1974 waren, als Höhepunkt, 47,3 Prozent erreicht. In seiner Ära nahm die Mitgliederzahl der Partei auf mehr als das Dreifache zu. Das große Ziel, als Regierungschef in die Wiesbadener Staatskanzlei einzuziehen, blieb ihm jedoch – trotz aller politischen Erfolge – versagt. 

Seit 1972 hatte er ein Bundestagsmandat. Mit der Übernahme der Kanzlerschaft durch Helmut Kohl trat Dregger im Herbst 1982 dessen Nachfolge als Vorsitzender der Unionsfraktion an. Bezüglich des Führungsstils setzte er sich deutlich von Kohl ab. Im Gegensatz zu diesem neigte Dregger bei entscheidenden Fragen dazu, zunächst seine eigenen Auffassungen dazulegen, erst danach ließ er anderen Ansichten Raum. Gegenüber Kohl war er loyal. Dieser wiederum wusste Dregger einzubinden, beispielsweise in der Koalitionsrunde, sodass der Kanzler letztlich die Kontrolle über die Fraktion behielt. In der Kießling-Affäre riet Dregger Kohl, gegen den öffentlichen Druck, Manfred Wörner als Verteidigungsminister zu halten. Nicht selten fühlte sich die Fraktion übergangen. Dregger brachte sie auf Linie, so etwa bei beim Milliardenkredit für die DDR. Er sah hier vor allem den Aspekt, dass der Honecker-Staat Gegenleistungen erbringen musste. 1991 musste er die Fraktionsführung an Wolfgang Schäuble abgeben. Einen ersten Anlauf, diesen Wechsel zu vollziehen, hatte es bereits 1988 gegeben. Dregger wurde „Ehrenvorsitzender“.

Eine Vielzahl von dezidierten Positionen werden mit ihm verbunden. Großes Thema war die Sicherheit. Im Inneren gerierte er sich in den 1970er Jahren als vehementer Verfechter des sogenannten Radikalenerlasses. Für den NATO-Doppelbeschluss setzte er sich ein. Erfolgreich machte sich Dregger für den Verzicht des Bündnisses auf nukleare Kurzstreckenraketen und atomare Rohrartillerie stark, wobei er betonte, Deutschland könne damit zwar atomar vernichtet, aber nicht atomar verteidigt werden. Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion sollte seiner Meinung nach um eine „Sicherheitsunion“ erweitert werden.

... und er polarisiert heute wieder 

Historisch-politisch nahm Dregger immer wieder Stellung. 1983 wies er in einer Ansprache vor Abiturienten darauf hin, dass es sich bei „Vaterlandsliebe“ und „Geschichtsbewusstsein“ um zwei Bereiche handle, die „in den letzten Jahrzehnten an Unterernährung fast gestorben“ seien. „Wir sind“, so Dregger, „der Heimat, dem Vaterland, der Kirche und dem europäischen Kulturkreis in besonderer Weise verpflichtet.“ Und: „Die Geschichte unseres Volkes umfasst nicht nur zwölf, sondern 1200 Jahre.“ Auch nachdem er den Höhepunkt seiner Laufbahn bereits hinter sich hatte, äußerte er sich zu entsprechenden Anlässen. Die „Wehrmachtsausstellung“ lehnte er ab, 1995 setzte er seine Unterschrift unter den Aufruf „8. Mai 1945 – gegen das Vergessen“, in dem kritisiert wurde, dass der Fokus immer mehr auf der Betrachtung des Tages als „Befreiung“ liege, mit ihm ebenfalls verbundene Vorgänge wie Vertreibung, Unterdrückung im Osten und Teilung jedoch aus dem Blick gerieten. 

Gern hätte Dregger nach der Wahl 1998 das Parlament als Alterspräsident eröffnet, eine abermalige Bundestagskandidatur war ihm jedoch von seiner Partei verweigert worden. Am 29. Juni 2002 ist er in Fulda gestorben. Für längere Zeit beinahe in Vergessenheit geraten, polarisiert der Name Alfred Dregger neuerdings wieder. Aus der AfD heißt es, man schließe auch an Dreggers Positionen an, die in der Merkel-Union keinen Platz mehr fänden. In der CDU, die ihren Fraktionsvorsitzenden einst zeitgeistig in die Einflusslosigkeit abschob, fühlt man sich nun bemüßigt, ihn gegen derartige „Vereinnahmungen“ in Schutz zu nehmen.