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11.12.20 / PCR-Tests Ein auf Coronaviren positiv Getesteter ist noch lange nicht infektiös. Entscheidend ist der Zyklusschwellenwert, die Zahl der Durchläufe, die nötig waren, um ein positives Ergebnis zu erhalten / „Diagnostischer Goldstandard“? / Wie aussagekräftig die Tests auf der Basis der Polymerase-Kettenreaktion wirklich sind

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50 vom 11. Dezember 2020

PCR-Tests Ein auf Coronaviren positiv Getesteter ist noch lange nicht infektiös. Entscheidend ist der Zyklusschwellenwert, die Zahl der Durchläufe, die nötig waren, um ein positives Ergebnis zu erhalten
„Diagnostischer Goldstandard“?
Wie aussagekräftig die Tests auf der Basis der Polymerase-Kettenreaktion wirklich sind
Wolfgang Kaufmann

Testen sei ein essentieller Bestandteil der Corona-Bekämpfung, betont das Robert-Koch-Institut (RKI) immer wieder. Nur so lasse sich die Pandemie-Lage hierzulande schnell und präzise erfassen. Und die politischen Entscheidungsträger teilen diese Ansicht in aller Regel. Doch wie zuverlässig sind die am meisten verwendeten Tests – fischen sie tatsächlich die Infizierten heraus?

Als „diagnostischer Goldstandard“ gilt der PCR-Test, der auf dem Prinzip der Polymerase-Kettenreaktion (Polymerase Chain Reaction) basiert. Dieser zeigt an, ob in der Nasen- oder Rachenschleimhaut eines Probanden Erbgut (RNA) des Corona-Erregers vorhanden ist, indem er nach zwei oder drei spezifischen Abschnitten des SARS-CoV-2-Genoms sucht. Es geht also keineswegs um den Nachweis der Existenz kompletter oder intakter und somit dann auch schädlicher Viren.

Nicht per se unzuverlässig

Zudem reagieren die Labormessgeräte im Falle der PCR-Tests erst beim Vorhandensein einer bestimmten Mindestmenge an Erbmaterial. Deshalb müssen die in der Probe möglicherweise vorhandenen Spuren der Gensequenzen des Virus künstlich amplifiziert, also vervielfältigt werden – und zwar auf höchst drastische Weise. Das heißt konkret, dass man die Zahl der ursprünglich vorhandenen Bruchstücke der viralen RNA im ersten Durchgang der Amplifikation verdoppelt, im zweiten vervierfacht und so weiter, bis dann schließlich so viele RNA-Segmente vorliegen, dass die Geräte endlich etwas anzeigen. Bei 30 Vermehrungsrunden werden aus zehn Viren-Resten in einem Abstrich 10,7 Milliarden und nach 40 Runden kommt man dann schon auf unglaubliche fast elf Billionen. 

Wie viele Durchläufe letztlich nötig waren, um auf Corona-Spuren zu stoßen, besagt der Zyklusschwellen- oder Ct-Wert. Je niedriger dieser ausfällt, umso größer ist die Virenlast im Organismus der Testperson. Somit verrät erst der Ct-Wert, ob ein positiv Getesteter tatsächlich infektiös sein könnte oder nur winzige Mengen von inaktiven Bruchstücken des Virus-Erbmaterials in sich trägt. 

Bei Corona-Kranken mit Symptomen liegen die Ct-Werte oftmals unter 15. Die Testlabore geben sich jedoch keineswegs mit derart wenigen Durchläufen zufrieden. Vielmehr verfährt man dort nach der Devise: „Wer sucht, der findet auch.“ Die Zahl der üblichen Amplifikationszyklen beträgt zumeist zwischen 37 und 40, obwohl kanadische Forscher inzwischen herausgefunden haben, dass sich ab einem Ct-Wert von 24 keine viralen Zellkulturen aus dem Probenmaterial mehr herauszüchten lassen und somit auch keine Infektionsgefahr besteht. 

Deshalb plädieren Fachleute wie der Epidemiologe Michael Mina von der Harvard University und die Virologin Juliet Morrison von der University of California nun dafür, „vernünftige“ Ct-Grenzwerte von 30 oder weniger festzusetzen. Hätten diese von Anfang an gegolten, dann wäre die Quote der „positiven“ Corona-Tests um die 70 bis 97 Prozent niedriger ausgefallen.

Unsachgemäß verwendet

Der PCR-Test ist also nicht per se unzuverlässig, sondern ein überempfindliches Instrument in den Händen von zu ambitionierten Anwendern. Das erkennen inzwischen sogar das Robert-Koch-Institut und der Entwickler des ersten SARS-CoV-2-PCR-Tests Christian Drosten an. Das RKI sieht die absolute Obergrenze für die potentielle Infektiosität von Getesteten nun bei Ct-Werten von 31 bis 34. Und Drosten meinte im September, er würde es auf jeden Fall begrüßen, wenn man einen verbindlichen Zyklusschwellen-Grenzwert festlegt.

Praktische Konsequenzen hatte das bislang aber keine. Das könnte sich jedoch bald ändern, wenn das Beispiel des Lissabonner Berufungsgerichtes Schule macht. Dieses entschied am 11. November im Falle eines Portugiesen, der gegen seinen Quarantänebescheid vorgegangen war, dass jener nicht hätte erlassen werden dürfen. In der Urteilsbegründung hieß es, dass im Falle des an dem Kläger durchgeführten PCR-Tests mit „einer Zyklusschwelle von 35 oder höher die Wahrscheinlichkeit einer Infektion weniger als drei Prozent beträgt.“ Oder andersherum ausgedrückt: „Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person ein falsches Positiv erhält, liegt bei 97 Prozent oder höher.“

Sollte diese von Wissenschaftlern wie Mina und Morrison stammende Erkenntnis zu einer allgemeinen Änderung der Teststrategie führen, würde der wichtigste argumentative Stützpfeiler wegbrechen, auf dem die Corona-Maßnahmen der Regierung Merkel seit Beginn der Pandemie beruhen. Und das gäbe dann wohl ein politisches Erdbeben sondergleichen.