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18.12.20 / Vor dem Verfall bewahrt / Die evangelische Kirche in Giersdorf beeindruckt durch ihre elliptische Form und entfaltet ihren ganzen Zauber erst in ihrem prächtigen Innenraum

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51/52 vom 18. Dezember 2020

Vor dem Verfall bewahrt
Die evangelische Kirche in Giersdorf beeindruckt durch ihre elliptische Form und entfaltet ihren ganzen Zauber erst in ihrem prächtigen Innenraum
Erik Lommatzsch

Da behaupte noch einmal jemand, man müsse nach Muscheln tauchen, wohlmöglich noch in fernen Südseegestaden, um auf die schönsten Perlen zu stoßen. Mitunter tut es dafür auch eine Reise nach Schlesien, genauer gesagt in die heutige Woiwodschaft Niederschlesien. Richtige Perlen sind meist etwas versteckt, oft bedarf es eines zweiten Blickes, um sie als herausragende Schmuckstücke zu erkennen. So verhält es sich auch mit der oft als „Giersdorfer Architekturperle“, gern auch als „Historische Perle“ oder einfach nur als „Perle“ bezeichneten Kirche. 

Das – ehemalige – evangelische Gotteshaus ist am Rand von Giersdorf (Polnisch: Zeliszów) zu finden, einer Ortschaft mit lediglich einigen hundert Einwohnern. Diese liegt etwa zehn Kilometer südwestlich von Bunzlau [Boleslawiec]. Um von Giersdorf nach Breslau zu gelangen, müsste man noch 85 Kilometer in Richtung Osten fahren. 

Prachtbau aus Bunzlauer Sandstein

Erbaut wurde die Evangelische Kirche in Giersdorf 1796/97. Die Besonderheit des Zentralbaus sticht sofort ins Auge: Der 

20 mal 30 Meter umfassende Grundriss ist in Form einer Ellipse angelegt. Verwendet wurde Bunzlauer Sandstein. Von außen klassizistisch und sehr schlicht gehalten, entfaltet das Gebäude erst durch das Betreten des Innenraums, der einst bis zu 4000 Personen Raum geboten haben soll, seine überwältigende Wirkung. Die Kirche verfügt über zwei Holzemporen. Diese ruhen auf umlaufenden Arkanturen, womit der entsprechende Effekt erzielt wurde – den Innenraum elegant, leicht und fast schwebend erscheinen zu lassen. Die Kanzel bekam ihren Platz an der Nordseite. Gegenüber, im ersten Emporengeschoss, wurde die Patronatsloge angelegt. Die Orgel errichtete man im zweiten Emporengeschoss der Westseite.

Ovale Grundrissformen finden sich wiederholt in den Entwürfen des preußischen Baumeisters Carl Gotthard Langhans. So bei Sälen des Schlosses Bellevue und des Palais Dönhoff in Berlin oder des Potsdamer Marmorpalais, auch für den großen Salon des Schlosses Romberg wählte er diese Form. Der 1733 im schlesischen Landeshut geborene Langhans hatte ursprünglich an der Universität Halle Jura sowie Mathematik studiert und wirkte zunächst als Hauslehrer in Breslau. 

Beginnend mit der evangelischen Kirche zu Glogau, die ab 1764 errichtet wurde, entwickelte sich Langhans zu einem der bedeutendsten Architekten seiner Zeit. Antike und barocke Stilformen verband er mit dem sich etablierenden Klassizismus. 1788 ernannte ihn der preußische König Friedrich Wilhelm II. zum Leiter des neugeschaffenen Oberhofbauamtes. Langhans, der 1808 im heute zu Breslau gehörenden Grüneiche verstarb, schuf, neben einer Vielzahl von Bauwerken, von denen die meisten während des Zweiten Weltkriegs zerstört wurden, auch das Brandenburger Tor in Berlin. 

Ungeklärter Baumeister 

Vieles, nicht zuletzt der elliptische Grundriss, weist darauf hin, dass Langhans der Schöpfer der Evangelischen Kirche in Giersdorf gewesen sein könnte. Auch die nicht allzu weit entfernt gelegene Kirche von Adelsdorf, deren Konzeption nach den Quellen auf Langhans zurückgeht, wird als Hinweis gewertet, dass er für Giersdorf ebenfalls verantwortlich gezeichnet hat. Allerdings ist es auch möglich, dass der Entwurf von einem seiner Schüler stammt. In diesem Fall steht zu vermuten, dass der Baumeister Mohrenberg aus Liegnitz, der bereits die Adelsdorfer Kirche ausgeführt hatte, die Pläne für Giersdorf grundlegend entwickelte.

Verfall und Plünderung

Eindeutiger ist die Urheberschaft des Glockenturmes. Architekt war hier Peter Gansel aus Bunzlau. Allerdings erfolgte die Errichtung des Turmes, der an der Südseite mittig angebaut wurde, erst 1872. Der Grundriss ist quadratisch, das Glockengeschoss achteckig, die letzte Ebene ist nur über eine Leiter zu erreichen. Im Unterschied zu dem ein Dreivierteljahrhundert zuvor entstandenen Zentralbau sind hier neugotische und romantisierende Elemente vorherrschend. 

Nach 1945 verfiel die Kirche in Giersdorf. Eine funktionierende evangelische Gemeinde gab es nicht mehr. Um einem Einsturz vorzubeugen, musste das Turmdach abgetragen werden. Der Kircheninnenraum war der Plünderung preisgegeben. Genutzt wurde die Halle als Schafstall, umliegende Baustellen versorgten sich mit Material, so wurden beispielsweise auch die Fensterrahmen entfernt. Die Stabilität der mehr und mehr zur Ruine verkommenden Kirche stand in Frage, zu betreten war sie nicht mehr. 

Nach dem politischen Umbruch wurde statt des polnischen Staates in den 1990er Jahren die Gemeinde Bunzlau Eigentümerin. Mittel für die dringend notwendigen Arbeiten waren jedoch nicht vorhanden. Zumindest erfolgte im Dezember 2005 der Eintrag der Kirche in das Verzeichnis der Baudenkmäler der Woiwodschaft Niederschlesien.

Sicherung und Sanierung

2013 gelangte das Gebäude dann durch Schenkung an die Stiftung „Twoje Dziedzictwo“ (Dein kulturelles Erbe). Damit wurde endlich die Wiederherstellung des Bauwerks in Angriff genommen. Umfangreiche Maßnahmen kamen in Gang. Nach ersten Notsicherungen konnte mit Mitteln des polnischen Ministeriums für Kultur und Nationales Erbe sowie der Woiwodschaft Niederschlesien das Gebäude wetterfest gemacht werden, Teile des Daches waren zwischenzeitlich zusätzlich durch einen umstürzenden Baum beschädigt worden. Begonnen wurde auch mit der Instandsetzung der Emporenbauten. Das Bauwerk ist inzwischen gerettet, der Abschluss ist für 2022 avisiert, wofür eine weitere finanzielle Förderung aber zwingende Voraussetzung ist.

Dass es sich bei der Giersdorfer Kirche um eine „Perle“ handelt, betont der Sprecher von „Twoje Dziedzictwo“, Wilk Korwin-Szymanowski, immer wieder. Der Geschäftsführer der Deutsch-Polnischen Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz (DPS), Peter Schabe, weist begeistert auf den „seltenen barocken Schwung des Innenraums“ und den Eindruck der „vor- und rückschwingenden Empore“ hin. 

Künftige Nutzung

Die DPS ist seit 2018 vor Ort im Einsatz. Sie widmete sich mit wesentlicher Unterstützung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie der Erika-Simon-Stiftung und der Senta-Weygandt-Stiftung, die beide in Görlitz ansässig sind, in zwei Bauabschnitten der Instandsetzung des Turms. Dazu zählten der Übergang zur Patronatsloge und die Patronatsloge an sich, die bis dahin gar nicht mehr betretbar war. Verbunden war dies mit der Absicht, von hier aus dem interessierten Besucher während der noch in Gang befindlichen Bauarbeiten einen Blick in den Innenraum zu ermöglichen, dessen Gestalt sich von diesem Standort aus besonders gut erschließt. Die DPS legte größten Wert auf die Wiederherstellung des historischen Erscheinungsbildes des Turmes, was zuweilen gegen Vorstellungen des Denkmalamtes durchgesetzt werden musste.

Der ursprüngliche Zweck, die Nutzung als Kirche, wird nach Beendigung der Restaurierungsarbeiten nur sehr bedingt eine Rolle spielen. Gottesdienste werden wohl nur selten stattfinden. Vorgesehen ist eher die Nutzung des imposanten Bauwerks als Veranstaltungsort, etwa für Konzerte. Engagiert ist hier der Görlitzer Verein Ars Augusta.

Meister Langhans würde Erhalt und Wiederherstellung des Bauwerks sicher wohlwollend zur Kenntnis nehmen – sei er nun der Architekt oder durch sein anderweitiges Wirken „nur“ der Pate der Evangelischen Kirche in Giersdorf. Die zum Positiven gewendete Geschichte der schon fast verlorenen „Perle“ sollte Schule machen.

Weitere Informationen: https://deutsch-polnische-stiftung.de/