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05.02.21 / Streit um Astra-Zeneca / „Sowjetische Inkompetenz der EU“ / Während Brüssel einen Schuldigen für das eigene Corona-Impfdesaster sucht, sind viele Briten froh über den Austritt ihres Landes aus der EU. Der Ton zwischen beiden Seiten wird zunehmend rauer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-21 vom 05. Februar 2021

Streit um Astra-Zeneca
„Sowjetische Inkompetenz der EU“
Während Brüssel einen Schuldigen für das eigene Corona-Impfdesaster sucht, sind viele Briten froh über den Austritt ihres Landes aus der EU. Der Ton zwischen beiden Seiten wird zunehmend rauer
Claudia Hansen

Der Ton zwischen der EU und Großbritannien in der Corona-Impfstoffkrise ist gereizt. Brüssel machte kurzzeitig einen kapitalen Fehler und plante an der EU-Außengrenze von Irland quasi eine Blockade von Impfstoffexporten über Nordirland ins Königreich. „Der EU-Impfstoffkrieg explodiert“, schrieb die „Daily Mail“ daraufhin. Und im Brexit-Boulevardblatt „Daily Express“ wütete der ehemalige Brexit-Minister David Jones, die EU „verhält sich wie die Mafia“.

Erpressung, Drohung, Mobbing – solche Vokabeln fallen in vielen Zeitungskommentaren. Sogar EU-freundliche Medien wie das Wirtschaftsblatt „Financial Times“ konnten nur noch den Kopf schütteln über die Fehlentscheidungen, die Brüssel gemacht hat. In den Tagen zuvor hatte die konservative seriöse Zeitung „Daily Telegraph“ kritisiert, Brüssel versuche, durch Schuldzuweisungen an Britannien und den Impfstoffhersteller Astra-Zeneca von der „sowjetischen Inkompetenz seiner Bürokratie“ abzulenken.

Was war geschehen? Zunächst stritt sich Brüssel mit dem britisch-schwedischen Pharmakonzern Astra-Zeneca, weil dieser an die EU weniger Impfstoff liefern kann als erwartet. Die am Jenner Institute der Universität Oxford entwickelte Vakzine AZD1222 wird in Großbritannien schon millionenfach eingesetzt. 

EU lenkt vom eigenen Versagen ab

Astra-Zeneca liefert wie vereinbart an London, aber weniger an Brüssel. Die Erklärung dafür ist aber einfach: London hatte drei Monate früher als Brüssel einen großen Liefervertrag mit Astra-Zeneca (für 100 Millionen Dosen) abgeschlossen. Daher hatte der in Cambridge ansässige Pharmakonzern auf der Insel drei Monate mehr Zeit, um die Produktion hochzufahren. Und anders als Ursula von der Leyen behauptete („Der Vertrag ist glasklar“), stellte sich heraus, dass Brüssel schlecht verhandelt hatte und im Vertrag eben keine festen Lieferungen stehen, sondern nur „beste Bemühungen“ des Unternehmens. In britischen Medien wurde das Verhalten in Brüssel so gewertet, dass die EU einen Schuldigen für das eigene Versagen suche.

Noch viel hässlicher wurde der Streit aber zum vergangenen Wochenende hin. Brüssel erließ am Freitag eine Verordnung, die den Export von Impfstoffen streng überwacht und sogar möglicherweise stoppt. Das könnte zum Beispiel die Lieferungen von Pfizer an Großbritannien betreffen. Was die Sache regelrecht explosiv machte, war Brüssels Versuch, eine spezielle Klausel des Nordirland-Protokolls zum Brexit-Vertrag zu aktivieren. Damit hätte man faktisch die Grenze zu Nordirland geschlossen. Der Schritt löste einen Aufschrei aus. Die nordirische Ministerpräsidentin Arlene Foster sprach von einem „unglaublichen Akt der Feindseligkeit“. Nach nur vier Stunden und hektischen Gesprächen zwischen von der Leyen und Boris Johnson machte die EU einen Rückzieher. Selbst der stets europhile Londoner „Guardian“ schrieb von einer „demütigenden Kehrtwende“.

Brexiteers fühlen sich bestätigt

Der „Impfstoffkrieg“ mit den Briten zeigt letztlich nur, wie sehr Brüssel mit dem Rücken zur Wand steht. Die miserable Impfstoffbeschaffung in der Europäischen Union ist eine große Blamage für die EU-Bürokratie, die in der Corona-Krise schwerfällig und überfordert wirkt. Die zyprische Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides hat viel zu spät und zudem knauserig mit wichtigen Herstellern wie Astra-Zeneca Verträge abgeschlossen. 

Bislang kann sich Kommissionspräsidentin von der Leyen aber von der Verantwortung wegducken. Die Parteienfamilien von CDU, SPD und Grünen stützen sie. Lediglich AfD-Chef Jörg Meuthen, der Vizechef der rechten Fraktion Identität und Demokratie im Europaparlament, forderte von der Leyen wegen des „Impfdesasters“ zum Rücktritt auf. Und EU-Parlaments-Vizepräsidentin Nicola Beer (FDP) kündigte an, dass die Kommissionspräsidentin nur noch kurz im Amt sei, wenn sie so weitermacht.

In Großbritannien dagegen fühlen sich die Brexit-Anhänger bestätigt, dass der EU-Austritt ihnen einen großen Vorteil gebracht habe. Schon bald werden zehn Millionen Menschen auf der Insel immunisiert sein; die Impfquote nähert sich 15 Prozent der Bevölkerung. Das ist eine etwa fünfmal höhere Quote als im EU-Durchschnitt. Bis Mitte Februar sollen alle Risikogruppen, darunter alle Bürger über 70 Jahre, gegen das Virus geimpft sein. In über 2500 Impfzentren im Königreich arbeiten Ärzte und Helfer bis zur Erschöpfung. Der Gesundheitsdienst NHS leistet hier gute Arbeit, die Organisation der Impfkampagne durch die Regierung Johnson waren besser als etwa in Deutschland unter Gesundheitsminister Jens Spahn.

Auch wenn das Königreich bislang hohe Infektionsraten und eine traurige Bilanz an Covid-Verstorbenen aufweist, könnte es so letztlich schneller aus der Krise herausfinden.