18.05.2024

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Folge 18-21 vom 07. Mai 2021 / Für Sie gelesen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-21 vom 07. Mai 2021

Für Sie gelesen

Letzte Gelegenheit

Unter dem Titel „Die verratene Generation. Gespräche mit den letzten Zeitzeuginnen des Zweiten Weltkriegs“ hat Christian Hardinghaus elf Zeitzeugenberichte von Frauen veröffentlicht, die bei Kriegsende zwischen 17 und 25 Jahre alt waren. Im Zusammenhang mit seiner Erforschung des NS-Systems und des Zweiten Weltkriegs erschien von ihm zuletzt der viel beachtete Band mit dem Titel „Die verdammte Generation. Gespräche mit den letzten Soldaten des Zweiten Weltkriegs“. 

Grundlage der vom Autor sorgsam bearbeiteten und durch allgemeine Informationen ergänzten Berichte sind Gespräche, die er mit den alten Damen persönlich geführt und aufgrund der sich zuspitzenden Corona-Lage telefonisch geführt oder fortgesetzt hat. Die ausgewählten Beispiele sind den Komplexen „Flucht und Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten“ und „Bombenkrieg gegen Deutschland“ zugeordnet. Es sind erschütternde Dokumente für die Situation der „Frauen im Zweiten Weltkrieg: verführt, verbraucht, verraten und vertrieben“. 

Die Frauen waren dem NS-Überwachungssystem ausgeliefert, den Schrecken der Flächenbombardements, dem Zwang zum Kriegshilfsdienst („Vom Herd an die Flak“). Millionen Frauen dieser verratenen Generation trauerten um ihre gefallenen Ehemänner, Brüder und Söhne. Ihnen oblag meist die Verantwortung für ihre Kinder und älteren Angehörigen während der grausamen Vertreibung aus den Ostgebieten. Am Ende des Krieges fielen bis zu eine Million Frauen den brutalen Massenvergewaltigungen der alliierten Soldaten zum Opfer. 

Wie in seinen früheren Büchern mit Selbstzeugnissen aus der NS-Zeit kritisiert Hardinghaus die einseitigen wissenschaftlichen Betrachtungen, die bis heute auch die Diskussion über die Rolle der Frau im Nationalsozialismus dominieren. Eine „verpatzte Erinnerungskultur“ habe sich Ende der 1960er Jahre mit einer pauschalen Schuldzuweisung an die Männergeneration als Täter herausgebildet. Bei den Frauen habe sich das Bild mit der Bewertung vom Opfer zur Täterin sogar um 180 Grad gedreht. Niemand im Ausland habe von den Deutschen diese extreme Bewertung der eigenen Vergangenheit und der eigenen Eltern- und Großelterngeneration erwartet. 

Der Autor warnt davor, dass sich zukünftige Generationen nicht mehr aufrichtig an den Holocaust und die Judenverfolgung erinnern werden, wenn jede Äußerung Andersdenkender zum Anlass für den Nazivergleich genutzt werde. Damit würden die Verbrechen des Dritten Reiches verharmlost. Er plädiert eindringlich für eine alles einschließende Erinnerungskultur und bezeichnet es als Fehler, dass zu wenige Zeitzeugen in den Diskurs mit eingebunden worden sind. Dieses Buch trägt in allerletzter Minute dazu bei, die Lücke in der großen Bandbreite persönlicher Erinnerungen von Zeitzeuginnen des Zweiten Weltkriegs ein wenig zu verkleinern. Dagmar Jestrzemski

Christian Hardinghaus: „Die verratene Generation. Gespräche mit den letzten Zeitzeuginnen des Zweiten Weltkriegs“, Europa Verlag, Zürich 2020, gebunden, 336 Seiten, 20 Euro