Reisen bildet, so heißt es in einer sattsam bekannten Weisheit. Für die persönliche Stimmungslage ist das allerdings nicht immer von Vorteil, denn der Erkenntnisfortschritt kann auch deprimieren. So etwa eine Beobachtung aus einem Zugfenster bei einem Halt in einem Bahnhof einer kleineren Stadt in Sachsen-Anhalt. Einem gegenüber eingefahrenen ICE entstieg eine ältere Dame. Diese wurde von einer jüngeren Frau auf dem Bahnsteig erwartet, offenbar eine Tochter, die ihre Mutter abholte. Verschiedenes konnte man bislang in derartigen Begrüßungssituationen erleben. Händeschütteln oder eine Umarmung. Mitunter gab es zum Empfang Blumen oder schweres Gepäck wurde hilfsbereit abgenommen. Dies alles wäre kaum der Rede wert gewesen, weil üblich. Hier jedoch fand nichts dergleichen statt. Erste und einzige Willkommensgeste war, dass die Tochter der Mutter penibel ihre nicht ganz vorschriftsmäßig sitzende Maske richtete. Neue Prioritäten, neue Umgangsformen. Wohin ist dieses Land gekommen? E.L.
© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-21 vom 24. September 2021
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