Die Chancen Europas, die zugespitzte Versorgungslage ohne zusätzliches russisches Erdgas weitgehend durch Importe von verflüssigtem Erdgas (LNG) zu entschärfen, stehen eher schlecht. Asien, Europa, der Nahe Osten und Südamerika liefern sich in diesem Jahr einen Bieterwettbewerb um Flüssiggas. Dabei zahlen insbesondere asiatische Importeure derzeit Rekordpreise, um ihre Versorgung zu sichern. Als Folge geht verstärkt Gas von Katar und Russland nach Asien, ebenso US-amerikanisches Flüssiggas. 

Doch nicht nur der große Energiehunger Chinas und anderer asiatischer Länder lässt es in diesem Jahr unwahrscheinlich erscheinen, dass die EU-Länder ihren Zusatzbedarf an Erdgas mit LNG decken können. Wegen der eingebrochenen Nachfrage im Pandemiejahr 2020 sind in wichtigen Erzeugerländern geplante Bauvorhaben für neue Terminals zur Verschiffung von LNG gestrichen worden. Auch wurden vergangenes Jahr sehr viel weniger Kapazitäten zur Verflüssigung von Erdgas in Betrieb genommen als zuvor eigentlich erwartet worden war. Obendrein hat in den USA der Verband industrieller Energiekunden das Energieministerium aufgefordert, die Exporte von verflüssigtem Erdgas so lange zu drosseln, bis die Lagerbestände in den USA wieder auf dem sonst üblichen Niveau liegen.

Auf Seiten der Abnehmer müssen einige Länder fürchten, beim Bieterwettbewerb auf den Erdgasmärkten nicht mithalten zu können. Experten sehen die Gefahr, dass die Volkswirtschaften Pakistans oder Bangladeschs wegen Energiemangel zum Erliegen kommen. Ländern wie Afghanistan oder dem Libanon droht, dass sie bei weiter steigenden Energiepreisen noch tiefer im Chaos versinken. Auch westliche Industriestaaten müssen damit rechnen, dass die gestiegenen Energiepreise und die Stromknappheit in der Exportnation China eine breite Welle von weiteren Preissteigerungen bei vielen Produkten in Gang bringen werden.N.H.