26.04.2024

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1999 Das Drama von "B 152": Ein Superjet aus Dresden

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 1999


Das Drama von "B 152": Ein Superjet aus Dresden
Im März 1959 zerschellte Ulbrichts Traum vom Düsenflieger "Made in GDR"
von BERND HENZE

Der erste öffentliche Flug, ein Propagandaflug Ulbrichts, sollte Chruschtschow schockieren, wie der "Sputnik" die Welt kurze Zeit zuvor. Geleitet von Funkstellen des Ministeriums für Staatssicherheit und ohne offizielle Genehmigung der zuständigen Prüfstelle machte sich ein vierstrahliges Düsenpassagierflugzeug zum Direktflug vom Flugplatz Dresden-Klotzsche auf, um in nur 100 Metern Höhe das Leipziger Messegelände zu überfliegen, exakt zum Staatsrundgang von Chruschtschow und Ulbricht. Schlagzeilen der internationalen Presse für den "Superjet aus Dresden" wären sicher gewesen, aber auch Stolz und Enthusiasmus der Dresdner Flugzeugbauer spielten eine wichtige Rolle, die wenige Jahre zuvor als verschleppte "Spezialisten" in Stalins geheimen Konstruktionsbüros ihr technisches Wissen den Sowjets übereignen mußten.

Doch der Flug der "152" vor 40 Jahren war ohne Aufwind und endete mit einer Tragödie. Bis heute ist unklar, ob Moskaus KGB-Agenten halfen, den Traum einer eigenständigen Flugzeugindustrie "Made in GDR" scheitern zu lassen oder ausschließlich eine unverantwortbare Fehlentscheidung zum Unglück führte.

Die Geschichte der "B 152" begann mit der Entwicklung des Düsenstrahlantriebs, einer Erfindung von Hans-Joachim Pabst von Ohain, Mitte der 30er Jahre in Deutschland.

Es war im ersten Morgenlicht des 27. August 1939, als in Rostock-Marienehe Heinkel-Testpilot Erich Warsitz, der kurz zuvor das erste Raketenflugzeug der Welt, die He 176, geflogen hatte, sich in seiner He 178 anschnallte und auf das Startkommando wartete. Das Triebwerk wurde angelassen, und mit zunehmender Drehzahl ging das Singen der Turbine in ein wildes Heulen über. Dann begann die He 178 V1 zu rollen, fraß Meter für Meter und hob kurz vor dem Platzende elegant vom Boden ab. Das Flugverhalten war ausgezeichnet, das Triebwerk HeS 3B von Pabst von Ohain arbeitete gleichmäßig und zuverlässig. 600 km pro Stunde Fluggeschwindigkeit wurden erreicht. Als Warsitz nach sechs Flugminuten wieder zur Landung einschwebte, war allen klar, daß mit diesem Flug eine neue Zeit in der Geschichte der Luftfahrt begann.

Den Kernpunkt bildeten die neuentwickelten Turbinenstrahltriebwerke Jumo-004, konstruiert von Anselm Franz bei Junkers in Magdeburg, und das BMW-003. Ausgelegt für zwei Turbinen baute Heinkel bereits 1941 den ersten Strahljäger, die He 280. Doch Heinkel gehörte nicht zu den Favoriten des Reichsluftfahrtministeriums für staatliche Entwicklungsaufträge. Bei Junkers begann dagegen die Nullserienfertigung des Jumo-004 in Muldenstein bei Bitterfeld. Ferdinand Brandner, Konstrukteur des stärksten Junkers-Propellermotors Jumo 222, wurde Betriebsleiter der Jumo-004-Serienfertigung und -Fehleranalyse. Mitte 1944 ging mit der Me 262, ausgestattet mit zwei Jumo-004B-Triebwerken, der erste Düsenjäger der Welt in Serie, von dem Fliegergeneral Galland sagte, er fliege, "wie wenn ein Engel schiebt!"

Die Fehlentscheidung Hitlers, die Me 262 als Bomber einzusetzen, führte bei Junkers in Dessau zur Konstruktion des mit vier Jumo-004 ausgestatteten ersten Großstrahlbombers der Welt, der Ju 287. Noch kurz vor Kriegsende ließ Junkers-Chefkonstrukteur Brunolf Baade die Nullserie der Ju 287 anlaufen und die ersten Maschinen in Brandis bei Leipzig zum Probeflug bringen. Noch waren die Deutschen weltweit in der Düsenentwicklung führend.

Nachdem Moskau im Juli 1945 die zuvor von Amerikanern und Briten besetzten Gebiete Mitteldeutschlands übernahm, bedienten sich die Sowjets vielerorts eines Täuschungsmanövers. Entgegen den Festlegungen des Potsdamer Abkommens ließen sie in wichtigen Rüstungsbetrieben, auch bei Junkers in Dessau, die Entwicklungs- und Rekonstruktionsarbeiten, auch eine gezielte Produktion, fast anderthalb Jahre weiterführen. Dieser Umstand führte dazu, daß zahlreiche deutsche Mitarbeiter ihre bisherige Tätigkeit fortsetzten, an eine neue Zukunft glaubten und wegen des Ost-West-Klimas eine privilegierte Weiterarbeit an unvollendeten Projekten auch akzeptierten.

In Dessau wurde das für die Sowjets wichtigste Konstruktionsbüro der Sowjetzone (SBZ) für Flugzeuge und Flugmotoren mit der Bezeichnung OKB-1 eingerichtet. Sämtliche Arbeiten erfolgten weiter mit deutschen Mitarbeitern unter Chefkonstrukteur Alfred Scheibe. In Staßfurt lief in 400 Meter Tiefe die Produktion der BMW-Strahltriebwerke unter Chefkonstrukteur Karl Prestel erneut an, oberirdisch entstanden völlig neue Prüfstände, und auf der Erprobungsstelle der Luftwaffe in Rechlin erbeuteten die Sowjets unversehrt einen Düsenbomber vom Typ Ju 287, welcher umgehend in die UdSSR geschafft wurde. Ab 1946 lief bereits in Tschernikowsk am Ural, im aus Köthen demontierten Junkerts-Werk, die Verbesserung des Jumo 004, kurz darauf in Uprawlentscheski Gorodok bei Kuibyschew die Weiterentwicklung leistungsfähiger Propellertriebwerke unter Ferdinand Brandner, welchen die Sowjets bereits im Juli 1945 nach Osten verschleppt und inhaftiert hatten.

Wie überall in der SBZ endeten sämtliche Arbeiten am 22. Oktober 1946, als in einer Nacht- und Nebelaktion des Geheimdienstes NKWD auch die deutschen Luftfahrt-Fachleute, etwa 5000 Techniker und ihre Familien, in die Sowjetunion verschleppt wurden. In Moskau, Podberesje, Sawjelowo, Kasan, Tuschino, Monino und Godorok bei Kuibyschew waren geheime Konstruktionsbüros, Arbeitsgruppen und Wohnobjekte für die deutschen Spezialisten entstanden, gebaut von deutschen Kriegsgefangenen. Nach Uprawlentscheski wurden die Flugmotoren-Konstruktionsbüros aus Dessau und Staßfurt verlagert, die nachfolgend unter Leitung von Ferdinand Brandner standen, die Flugzeugfertigung nach Podberesje bei Moskau unter Leitung von Brunolf Baade.

In Podberesje begannen die Flugzeugbauer von Junkers, Siebel und Heinkel mit der Weiterentwicklung von Aufklärungs- und Bombenflugzeugen mit Strahlantrieb sowie mit der Konstruktion und Weiterentwicklung von Raketenjägern.

Aus dem deutschen Pfeilflügler Messerschmitt P 1101 und in indirekter Vorarbeit durch Siegfried Günther, ehemals Chefprojektor bei Heinkel, nun Planungschef für Düsenjäger bei den Sowjets, wurde die MiG 15 geboren, die in ihrer Konstruktion große Ähnlichkeit mit der amerikanischen F-86 A Sabre hatte, die ebenfalls nach der P 1101 entstanden war. Kein Wunder, daß sich im Korea-Krieg annähernd baugleiche Maschinen im Luftkampf begegneten.

Doch nun sollte ein neuer Weg beschritten werden: Die Konstruktion eines Düsenbombers und die Generation neuer Strahltriebwerke, welche völlig neu erdacht werden sollten, das Projekt "150", geplant als Tu-15. Pfeilflügel, Druckkabine, neue Strahlturbinen sowie ein modernes Design bestimmten das Flugzeug. Im September 1952 begannen die Flugerprobungen der "150", die Erfahrungen der Deutschen gingen direkt in das Sowjetprojekt Tu-16.

Ab 1953 wurde in Sawjelowo, nördlich von Moskau, eine deutsche Gruppe unter Baade zusammengezogen, die auf der Grundlage des Bombers "150" mit der Projektierung eines Strahlverkehrsflugzeuges, dem Projekt "151", begann. Hauptaufgabe war die Entwicklung der späteren Strahlturbine "Pirna-014", deren Vorläufer bereits bei Junkers unter der Bezeichnung Jumo-012 gebaut und von den Deutschen bei den Sowjets verbessert worden war. Auch entstanden Studien für den Bau von Hoch- und Niedergeschwindigkeitswindkanälen für die Flugzeugzellen-Serienfertigung und Triebwerksherstellung. In Dresden und Pirna, dem neuen Standort der künftigen Flugzeugfertigung der DDR-Lufthansa, bereitete Brunolf Baade im Frühjahr 1954 die Rückkehr "seiner" Mitarbeiter vor, und im Juli 1954 kehrten die Luftfahrt-Spezialisten zurück. Während Ferdinand Brandner nach neun Jahren Zwangsarbeit seine Heimat in Österreich wiedersah, gründete Dr. Baade das "Volkseigene Flugzeugwerk" in Dresden. Zu den Rückführungsgütern von den Sowjets gehörten auch Maschinen und Konstruktionsunterlagen für das zweimotorige Verkehrsflugzeug IL-14P, welches ab 1956 in Dresden als Lizenzprodukt in Serie ging. Voller Enthusiasmus wollten Brunolf Baade und Chefkonstrukteur Fritz Freytag in Dresden "die große Tradition des Hauses Junkers fortsetzen".

In Dresden sollte ab 1954 das erste vierstrahlige Düsenverkehrsflugzeug deutscher Produktion entstehen. Doch die noch bei den Sowjets erarbeiteten Projektunterlagen hält Moskau zurück. Zeitdruck ist die Folge. Nun wird ein Flugzeug zum zweiten Male konstruiert, erhält die Bezeichnung "Baade B 152" oder "BB 152" und soll in Großserie produziert werden. Die Aussichten waren gut, denn Moskau läßt einen Kaufwunsch von 100 Maschinen mitteilen. Für den 1. Mai 1958, vier Jahre nach Grundsteinlegung der Dresdener Flugzeugwerke, soll der Erstflug der "B 152" stattfinden, doch Konstruktions- und Materialprobleme verhinderten dies. Stattdessen gab es ein "Roll out" der ersten "152" mit Triebwerksattrappen, und Professor Brunolf Baade beschrieb die Zukunft: "Die ,152‘ wird als äußerst schnelles Flugzeug für den Mittelstreckenverkehr dazu berufen sein, den Verkehr zwischen Hauptstädten und Verkehrszentren durchzuführen. Die Maschine wird 48 bis 72 Passagiere bis zu 3000 Kilometer weit in einer Höhe von zehn bis zwölf Kilometern mit einer maximalen Reisegeschwindigkeit von 850 km/h befördern ... und mit der ,153‘ entsteht ein auf besonders hohe Wirtschaftlichkeit gezüchtetes Mittelstreckenverkehrsflugzeug, ... auch als Transporter für wertvolle Güter geeignet." Die Hamburger "Welt" sprach von einem "Wirtschaftswunder aus Dresden".

Trotz eines Rückstandes von mehreren Monaten in der Entwicklung und weiterhin fehlender Verträge mit Moskau gab Baade sein Versprechen über eine grandiose Luftfahrtzukunft an Ulbricht, überschätzte dabei die Lösung technischer Probleme, aber auch die Sichtweite Moskaus.

Am 4. Dezember 1958 war es schließlich soweit: Die "B 152", der Superjet aus Dresden, startete zum Erstflug und landete nach 25 Minuten Flug erfolgreich in Dresden-Klotzsche. Das Jahr 1959 sollte endgültig den Durchbruch für die Großfertigung der "152" bringen. Weitere Testflüge waren nötig, doch auch das internationale Interesse mußte auf Dresden gelenkt werden.

Entgegen jeglicher Logik und unter Umgehung der zuständigen Prüfstelle entschied sich Brunolf Baade zum Propagandaflug nach Leipzig. Der neue Flug am 4. März 1959 mit den Versuchspiloten Willi Lehmann und Kurt Bemme, Flugversuchsingenieur Georg Eismann und Bordingenieur Paul Heerling verlief zunächst einwandfrei. Nach 56 Minuten Flug, im überschnellen und unerprobten Sinkflug, gelang es der Besatzung jedoch nicht, die Maschine abzufangen und die Triebwerke zügig hochzufahren. Die Belastungsgrenzen von Triebwerk, Tanks und Material waren der Crew nur unzureichend bekannt ... Die "B 152" schlug auf, die Besatzung war tot.

Aber die Entwicklung in Dresden endete nicht, noch nicht. Neue Testflüge verliefen erfolgreich, selbst die Folgetypen "154" und "160" für den interkontinentalen Luftverkehr der DDR-Lufthansa waren bereits in Angriff genommen. Doch dann stornierten die Sowjets im Juni 1959 völlig die Abnahme der "B 152". Nicht ohne Grund, denn seit einiger Zeit flog ihre Tu-104 als erstes sowjetisches Verkehrsdüsenflugzeug, Abkömmling der militärischen Tu-16, und kurz darauf entsprang aus dem Turboprop-Bomber Tu-20 die Zivilversion Tu-114.

Moskau hatte dem DDR-Flugzeugbau die wirtschaftliche Basis entzogen, und nach Westen war Ostberlin längst politisch isoliert. Am 28. Februar 1961 endete per Beschluß des SED-Politbüros das euphorische Flugzeugprogramm der DDR. Bereits vorhandene Flugzeuge wurden verschrottet. Lediglich als museales Andenken erhielt 1991 das Deutsche Museum in München ein Triebwerk vom Typ Pirna-014.

In Erinnerung blieb aber auch die tödlich verunglückte Besatzung der "B 152", auf deren gemeinsamer Grabstätte noch heute zu lesen ist: "Ihr Leben diente dem technischen Fortschritt."