19.05.2024

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1999 Frankfurter Buchmesse: Thema Ungarn

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 1999


Frankfurter Buchmesse: Thema Ungarn
Literarische Stiefkinder / Präsentation der ungarndeutschen Schriftsteller
von Martin Schmidt

Verloren?

Deutschland dein verlorenes Kind klopft an deine Tür

Deutschland wer hat wen verlorn und wer will verzeihn

Deutschland hast Mitleid mit ihm gibst ihm sein Erbteil

(1992)

Die Dichterin Valeria Koch kann nicht mehr dabei sein, wenn die Ungarndeutschen – das "verlorene Kind" – am 17. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse an die Türen des bundesdeutschen Kulturbetriebes klopfen. Im letzten Jahr verstarb sie 48jährig an Krebs.

Aber die Lyrik dieses "Sterns am donauschwäbischen Literaturhimmel" wird während der ungarndeutschen Literaturstunde in der Mainmetropole (10.00-11.00 Uhr) dennoch gegenwärtig sein. Marton Kolasz stellt ihre letzte Gedichtsammlung "Stiefkind der Sprache" vor, deren Titel zugleich als Motto über der Veranstaltung steht.

Außerdem bekommen Joseph Michaelis und Robert Becker die Möglichkeit, ihre Lyrikbände "Sturmvolle Zeiten" bzw. "Faltertanz" bekanntzumachen.

Anders als Teile der neueren rumäniendeutschen Literatur ist die seit Mitte der 70er Jahre hervorgetretende moderne ungarndeutsche Literatur hierzulande ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. In Ungarn selbst wird sie ebenfalls kaum wahrgenommen.

Vor allem die lyrischen Werke der international mehrfach ausgezeichneten Valeria Koch sowie die Robert Beckers hätten jedoch eine größere Beachtung verdient. Weitere wichtige Namen der etwa zwei Dutzend Autoren umfassenden neuen ungarndeutschen Literatur sind János Szabó und Claus Klotz. Aus der mittleren Generation ist Georg Wittmann zu nennen und von den Älteren Georg Fath sowie Franz Zeltner. Allerdings sind außer Becker und Michaelis alle erwähnten Autoren im zurückliegenden Jahrzehnt verstorben.

Mit Wettbewerben und Literaturcafés versuchen die "Neue Zeitung" sowie das Lenauhaus in Fünfkirchen (Pécs) die zum Teil auf tragische Weise gelichteten Reihen der ungarndeutschen Schriftsteller mit jungen Talenten aufzufüllen.

Eine anspruchsvolle eigene deutschsprachige Literatur ist für diese Volksgruppe extrem wichtig, damit sich ihre in den Nachkriegsjahrzehnten erschütterte Identität festigt und das Selbstbewußtsein gestärkt wird. Sie könnte aber auch eine wichtige Brücke zwischen Ungarn und Deutschland darstellen.

Seitdem Ungarn zum Schwerpunktthema der Frankfurter Buchmesse 1999 (13.-18.10.) gewählt wurde, ist im Verlagswesen vieles in Bewegung geraten. In diesem Jahr kommen ca. 130 neue ungarische Bücher in deutscher Übersetzung auf den Markt. Zum Vergleich: 1996 waren es ganze sechs. Das Kulturministerium in Budapest investierte etliche Millionen Forint, um mit Wettbewerben für Übersetzer und Verlage der Selbstdarstellung im deutschsprachigen Raum Impulse zu verleihen.

Für die ungarndeutschen Schriftsteller kann dies nur gut sein. Denn erst wenn das bei uns seit 1989 abgeflaute Interesse an der Literatur Ungarns wiederbelebt ist, werden auch sie Gehör finden. Zum Beispiel mit Gedichten wie dem folgenden von Robert Becker über die "Schwäbische Türkei" (1987):

Aus den Wandrissen wortberaubter Bauernhäuser träufeln Märchen. Alten Frauen ähnlich, die man mit ihren Gartenbesen plaudern hört, murmeln sie vergessene Geschichten.