Pommern: Furcht vor der Wahl Zarembas
Der "bedeutendste Stettiner des Jahrhunderts" wird am 25. Januar gekürtDeutsche
und Polen sind aufgerufen, den bedeutendsten Stettiner des Jahrhunderts zu wählen. Das
Ergebnis der Umfrage soll am 25. Januar in der pommerschen Hafenstadt bekanntgegeben
werden, Initiator der Aktion ist Polens größte unabhängige Tageszeitung, die
"Gazeta Wyborzca", unterstützt von polnischen und deutschen Regierungsstellen.
Die Schirmherrschaft haben Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe ein
gebürtiger Stettiner und Polens stellvertretender Ministerpräsident Longin
Kamolowski übernommen.
Teilnehmen kann bei der Befragung jeder, der heute in Stettin lebt oder früher dort
gelebt hat. Einen Nachweis muß man aber nicht erbringen, statt dessen genügt eine
Postkarte.
Wie Andrzej Klim von der "Gazeta Wyborcza" erklärte, wolle man mit dem
Wettbewerb das Bewußtsein für die deutsch-polnische Geschich-te der Stadt
"wieder" stärker in den Blickpunkt rücken. Welche "deutsch-polnische
Geschichte" er dabei meint, blieb allerdings unklar, war doch Stettin bis zur
völkerrechtswidrigen Vertreibung der Deutschen durch die polnischen Okkupanten eine rein
deutsche Stadt in einer deutschen Provinz.
Bei der Abstimmung will man nicht alles dem Zufall überlassen: Ein Gremium, in dem
deutsche und polnische Kommunalpolitiker, Diplomaten und Historiker u. a. sitzen, hat
eine Vorauswahl von etwa 60 Personen getroffen, die für die Kür in Betracht kommen.
Darunter befinden sich auch 14 Deutsche, die segensreich für die Stadt gewirkt haben, so
der Architekt Wilhelm Friedrich Adolf Meyer-Schwartau, der evangelische Pastor Dietrich
Bonhoeffer, der Kulturhistoriker Hugo Lemcke und der Maler Martin Wehrmann.
In dem Gremium sitzt auch der deutsche Generalkonsul von Stettin, Klaus Ranner. Er wird
bei der Preisverleihung am 25. Januar längst eine neue Aufgabe übernommen haben, denn
sein Generalkonsulat wurde Anfang dieses Jahres geschlossen. Ranner, der über drei Jahre
in Stettin lebte, sieht in der Zukunft große Möglichkeiten für die Hafenstädte nahe
der Oder-Neiße-Linie. "Stettin hat zumindest eine Chance, auf Dauer wieder eine
regionale Metropole zu werden, wie sie es bis zum Kriegsende für eine Region war, die von
Stralsund bis fast nach Danzig reicht", sagte Ranner. Damit werde die Stadt sozusagen
wieder zu einer Hauptstadt von ganz Pommern.
So freundlich, wie sich Klaus Ranner dabei gegenüber der polnischen Verwaltung
gebärdet, ist er gegenüber den deutschen Vertriebenen aus Stettin nicht. Viele
vertriebene Pommern klagen über das betont kühle Auftreten des Diplomaten. Selbst bei
der im Stettiner Raum verbliebenen deutschen Volksgruppe machte sich der Konsul rar.
Auf Ausgleich bedachte Polen und Deutschen treibt indessen die Befürchtung um: Was
passiert, wenn die Polen einen ihrer Offiziere wählten, die im Sommer 1945 die Stadt
annektierten? Die Alliierten hatten verfügt, daß Polen alle Gebiete östlich der Oder
erhalten sollten, doch Stettin liegt westlich. Die polnischen Nationalisten aber wollten
in ihrem Siegesrausch auch unbedingt Stettin haben und rannten so mehrfach an gegen
die Sowjets. Der polnische Anführer war der Offizier Piotr Zaremba. Er marschierte mit
seiner Kompanie mehrfach in Stettin ein und versuchte die polnische Fahne zu hissen, stets
wurde er von den Sowjets hinausgeworfen. Im Juli unternahm er einen weiteren Anlauf;
diesmal hatte er Glück: über dem Schloß der Pommerschen Herzöge wehte die polnische
Fahne.
Was geschieht, wenn die heute in Stettin lebenden Polen, die ja bei der Abstimmung
sicher die Mehrheit stellen werden, ihn zum "bedeutendsten Stettiner des
Jahrhunderts" wählen werden? Die Chancen dafür sind gut. Nach Informationen des
Ostpreußenblattes steht Piotr Zaremba sogar auf der Liste der Kandidaten. Warnungen von
Klaus Ranner vor einer Wahl dieses Eroberers sind bislang nicht bekannt geworden. RL