Geschichte bewahren
Deutsche Vereine in Ostpreußen Touristen fragen Deutsches Haus
Osterode/Ostpreußen: eine Reisegruppe aus dem Berlin-Brandenburger Raum kommt zur
Kaffeetafel der Deutschen Minderheit. Es ist eine der Gruppen, die einen preiswerten
Kurztrip gebucht haben, überwiegend Menschen ohne persönlichen Bezug zu Ostpreußen.
Vorsichtig raumgreifende, neugierige Blicke, Stühlegescharre, bald hat jeder einen
Platz gefunden. Nun folgen ein paar einführende Worte des Reiseleiters, dann erklärt ein
Mitglied des Vereins die derzeitige Situation der Deutschen in Polen und berichtet über
die leidvolle Vergangenheit.
Der Kuchen schmeckt inzwischen, der Kaffee deutscher Kaffe wird gelobt,
aufmerksam schenken die Gastgeber nach. Die Befangenheit weicht ein wenig, einige
Touristen tauen auf und fragen nach der Vergangenheit. Vom Dritten Reich haben sie ja noch
einige Kenntnisse, aber die Rolle Stalins und der Sowjetunion beim Angriff auf Polen?
Fragende Blicke. Hitler-Stalin-Pakt, auch Nichtangriffspakt genannt? Keine Ahnung. Die
Westverschiebung Polens, um die weder die Lubliner noch die Londoner Exilregierung Polens
gebeten hatte, als Ergebnis der Konferenzen von Jalta und Potsdam? Eine einzige
Wissenslücke. Betretene Blicke, einer fragt, woher denn die Polen kämen, die jetzt in
Ostpreußen leben. Auf die Antwort, daß diese Menschen ihrerseits überwiegend von der
Sowjetunion Vertriebene aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten waren, reißt er die
Augen ungläubig auf. Das sind wirklich keine wiedergewonnenen urpolnischen Gebiete?
Die Vereinsmitglieder erzählen, klären auf, die anderen Besucher, die alle einen
"Ostpreußenbezug" haben, geben Geschichtsprivatissima und erzählen
Familiengeschichten mit fast missionarischem Eifer. Schnell vergeht die Zeit, der
Reiseleiter ruft zum Aufbruch und bittet um eine kleine Spende für den Verein, dann folgt
die Verabschiedung.
Natürlich, es sind auch immer ein paar Reisende dabei, die Kaffeetrinken auf dem
Programm hatten und sonst nichts. Einer dachte auch, das "Deutsche Haus" sei
genauso eine Gaststätte wie das gleichnamige Lokal in seiner Heimatstadt. Aber manche
sind doch nachdenklich geworden, einzelne schreiben sich Buchtitel zum Thema auf, wollen
sich informieren, einige wollen wiederkommen, privat, vielleicht sogar im Deutschen Haus
übernachten.
So ungefähr läuft das seit Jahren den ganzen Sommer über ab, jede Woche eine neue
Gruppe. Nein, das war keine Ausnahme, auch wenn man immer wieder staunt, wie wenig bekannt
dieser Teil der Geschichte auch zehn Jahre nach der politischen Wende in Deutschland immer
noch ist. Wird da in Bonn bzw. fortan in Berlin wirklich genug getan, um diese Defizite
auszugleichen? Glaubt man da im Ernst, die Förderung nach dem Bundesvertriebenengesetz
auf Null zurückfahren zu können?
Weiß man an den zuständigen Stellen wirklich genau, was die "Deutschen
Häuser", die längst zu kulturellen Begegnungsstätten geworden sind, alles leisten?
Sollen auch diese Vereine der deutschen Minderheiten von allen Zuwendungen abgeschnitten
werden? Dort wird doch nicht nur soziale Nestwärme vermittelt, diese Vereine halten mit
hohem Engagement auch uns Bundesrepublikanern ein Stück deutsche Kultur und Geschichte
lebendig.
Brigitte Jäger-Dabeck