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15.01.00 Hannah-Arendt-Institut

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 15. Januar 2000


Hannah-Arendt-Institut:
Ein folgenreiches Attentat
Eine Personaldebatte in Dresden legt das geistige Klima in Deutschland bloß
Von NIKOLAS SCHOENFELDT

Da sind sie wieder, die typischen Mixturen einer Zeitgeist-Tragikomödie mit verteilten Rollen und simplen Interessen im Hintergrund. Im Mittelpunkt in diesem Fall das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT) in Dresden. Es hatte sich seit seiner Gründung 1993 schnell einen guten Ruf mit Studien über Nationalsozialismus und Kommunismus erworben, wenn auch dabei immer wieder kritisch beäugt als vermeintliche Revisionsstätte zum Vergleich der beiden totalitären Ideologien.

Eher eine Marginalie brachte nun Druck und Unruhe in das Haus, als hätte es manch einer kaum erwarten können, endlich einen Eklat im HAIT zu inszenieren. Im Wissenschaftlichen Beirat geht es derzeit, so eine vertrauliche Mitteilung, "drunter und drüber".

Der Konflikt entzündete sich an einem Artikel über den Hitler-Attentäter Georg Elser, den der Institut-Mitarbeiter Lothar Fritze Ende des vergangenen Jahres in der linksliberalen "Frankfurter Rundschau" publiziert hatte. Elser hatte am 8. November 1939 im Münchener Bürgerbräukeller einen Sprengstoffanschlag auf Hitler verübt. Er scheiterte, weil der Diktator den Saal eher als erwartet verließ. Dennoch starben bei der Detonation acht Menschen, darunter eine Aushilfskellnerin.

In dem mittlerweile heiß diskutierten Artikel hatte Fritze den versuchten Tyrannenmord in diesem Fall als "moralisch nicht zu rechtfertigen" bezeichnet. Elser hätte seiner Ansicht nach entweder einen Weg wählen müssen, der den Tod Unschuldiger ausschließt – oder zumindest nach dem Abtreten Hitlers die Anwesenden warnen sollen. Auch – und diesem Punkt kam der Streit ins Rollen – sprach er dem Schreiner aus Königsbronn die entsprechende "politische Beurteilungskompetenz" für seine Tat ab.

Kritiker werfen Fritze nun vor, mit diesen Bewertungen des als Widerstandskämpfer glorifizierten Elser hätte er die HAIT-Satzung, das "Andenken an die Opfer der NS-Diktatur und des SED-Regimes zu bewahren", grob verletzt.

Als sich Institutsdirektor Klaus-Dietmar Henke in einer Pressemitteilung von seinem Mitarbeiter distanzierte, stellte sich sein Stellvertreter Uwe Backes ausdrücklich hinter Fritze. Daraufhin entzog Henke seinem Vize die Leitungsbefugnis und be-trieb seinen Rauswurf. Doch wäh-rend der Beirat für die Ent-lassung des unbequemen Backes votier-te, bekam Henke vom Kuratorium eine Abfuhr. Denn dort führt der sächsische Kultusminister Matthias Rößler (CDU) das Regiment, gegen dessen Widerstand einst SPD-Mann Henke HAIT-Direktor geworden war. Mitte Dezember hatte Rößler zudem dafür gesorgt, daß die CDU derzeit alle für Landtagsmitglieder vorgesehenen Kuratoriumsplätze besetzt. "Mehr Sachverstand, weniger Politik" – so die offizielle Begründung des überraschenden Coups.

Der vorweihnachtliche sächsische Provinzstreit hat längst die Feuilletonseiten der Gazetten erreicht und wird mittlerweile in ganz Deutschland heftig diskutiert. Nicht selten vermengen sich dabei die beiden Kernthemen des Dresdener Disputs: Zunächst Fritzes Artikel und die rein unter historisch-wissenschaftlichem Blickwinkel interessante Frage, inwiefern seine Thesen berechtigt sind oder nicht; zum anderen der Personalstreit innerhalb des Institut-Direktoriums.

Niemand bestreitet mehr das generelle Recht Fritzes im Sinne wissenschaftlicher Freiheit, seinen Beitrag zu veröffentlichen. Selbst dies war bis vor kurzem noch nicht selbstverständlich. Doch mittlerweile hatte sich ein ganzer Reigen in dieser Hinsicht für den ins Kreuzfeuer der Kritik geratenen Dresdener Historiker ausgesprochen, am lautstärksten der Dramatiker Rolf Hochhuth. So stellte jetzt auch der wissenschaftliche Beirat des HAIT in seiner jüngsten Pressemitteilung fest, daß die Fragestellungen Fritzes grundsätzlich "wissenschaftlich legitim" seien. Der Beirat verlegt sich nun mehrheitlich darauf, die "gravierenden argumentativen Schwächen und Fehler" des Artikels – so der Vorsitzende des Gremiums, Professor Hockerts aus München – zu diskutieren. Er wirft Fritze vor allem vor, die Gestapo-Verhörprotokolle von 1939 nicht gründlich genug ausgewertet zu haben. Auch die mangelnde "Beurteilungskompetenz", die Fritze dem Bombenleger Elser vorgeworfen hatte, ist für Hockerts diskussionswürdig, da auch ein "einfacher Mann" im November 1939 das nahende Weltkriegs-Inferno antizipieren konnte, schließlich hatte der Polenfeldzug zu diesem Zeitpunkt bereits stattgefunden. Dennoch geht der Beirat weiterhin davon aus, daß das "notwendige Vertrauensverhältnis" im Direktorium zerstört sei. Hockerts stellt sich damit ausdrücklich hinter den Institutsleiter Henke und befürwortet die Trennung von Backes, womit wieder die leidige, aber hinter allem stehende Personaldebatte berührt wird. Backes gilt als "nationalkonservativ" und war damit bereits seit längerem dem einen oder anderen ein Dorn im Auge. In seinem 1990 erschienenen Buch mit dem bezeichnenden Titel "Schatten der Vergangenheit" hatte er den starken Einfluß "volkspädagogischer und geschichtspolitischer Argumente" in der NS-Forschung kritisiert. Auch am HAIT vertritt er die Position der "reinen", unideologischen Wissenschaft, die für viele bereits verdächtig ist, weil dahinter eine Revision der vorherrschenden Geschichtsmeinung vermutet wird.

In diesem Licht ist der HAIT-Disput zu sehen. Henke, der sich im Vorfeld gegen die Veröffentlichung des Elser-Artikels ausgesprochen hatte, wirft Backes vor, Fritze vorgeschoben zu haben, um gegen ihn zu intrigieren. Daher auch die scharfe Reaktion des Institutsleiters, die ansonsten nicht erklärbar wäre. Backes wiederum behauptet, Henke hätte die Situation ausgenutzt, um endlich einen Entlassungsgrund gegen ihn in der Hand zu haben. In der Tat ist auffällig, daß der HAIT-Direktor nichts dafür getan hat, den Konflikt hinter geschlossenen Türen zu bereinigen. Ganz im Gegenteil. Nachdem Fritze seinen Vortrag öffentlichkeitswirksam in der "Frankfurter Rundschau" plaziert hatte, entzündete Henke einen moralischen Sturm der Entrüstung – gemeint war jeweils Backes, nicht Fritze. Um den Druck zu erhöhen, schaltete er im fernen Kalifornien den renommierten Holocaust-Forscher Saul Friedländer ein, auch er Mitglied im Beirat des wissenschaftlichen Instituts. Er forderte Rößler ultimativ auf, Backes bis zum 15. Januar zu entlassen, ansonsten ziehe er sich zurück. In diesem Fall hat bereits die Dresdener Bank signalisiert, den Auftrag, die Firmengeschichte im Dritten Reich aufzuarbeiten, beim HAIT zu stornieren – ein finanzielles Desaster für das Institut.

Somit zieht die Personaldebatte immer weitere Kreise. Backes glaubt sich dennoch fest im Sattel; schon aus arbeitsrechtlichen Gründen sieht er dem 15. Januar gelassen entgegen. Beistand erhielt er sogar von höchsten Stellen. Am 11. Dezember 1999 rief Verfassungsschutzpräsident Peter Frisch Henke in dessen Berliner Privatwohnung an und verwendete sich für den unter Beschuß geratenen Backes. Er kennt ihn seit längerem als Mitherausgeber des "Jahrbuches für Extremismus und Demokratie".

Immer mehr ist nun die sächsische Landesregierung gefragt, um die Wogen zu glätten und ohne größere Ansehensverluste die Posse am HAIT zu beenden. Sie will sich nicht erpressen lassen und strebt eine "einvernehmliche Lösung" an. Neben Rößler ist vor allem Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer bemüht, endlich wieder zur Tagesordnung überzugehen. Doch selbst wenn Henke, Backes und Friedländer auf ihren Positionen bleiben, dürfte der Keim für weitere Dissonanzen bereits gelegt sein.

Auf bedenklichste Art und Weise hat die Querele wieder einmal den Zustand des geistigen Meinungsklimas in Deutschland aufgezeigt: Jede Abweichung von der Norm der selbstauferlegten Korrektheit wird zunächst blind und gnadenlos verfolgt, auch wenn sich das dann wieder gegen die einst von den Linken so enthusiastisch geforderte Freiheit der Meinung richtet. Geschickt wollte HAIT-Direktor Henke diese eingespielten Mechanismen nutzen, um seinen ungeliebten Stellvertreter loszuwerden. Ironie der Verhältnisse: Diesmal sitzt die ansonsten stets korrekte "Frankfurter Rundschau" mit im Boot und muß Fritzes Artikel und somit indirekt Backes verteidigen, schließlich hatte sie ihre Dokumentationsseite als breites Forum für die Elser-Thesen zur Verfügung gestellt.

Nicht ganz abwegig ist des weiteren, daß Beobachter hinter Fritzes moralphilosophischer Abhandlung zum Bombenattentat von 1939 einen "schwelenden Ost-West-Konflikt" vermuten. Auch dessen sächsischer Kollege Alfons Söllner von der TU Chemnitz glaubt, Fritzes "heimliches Leitmotiv" sei die Distanzierung vom DDR-Antifaschismus und seiner Einteilung in gute und böse Täter gewesen. Daher seine schonungslose Kritik am Einzelkämpfer Elser, der in der Bundesrepublik erst spät rehabilitiert worden war. Und aus dem Westen kamen dann auch sofort die lauten Empörungsschreie.

Unter Umständen geht der von Henke betriebene Rauswurf Backes auch bald nach hinten los. Kultusminister Rößler hat bereits durchblicken lassen, daß der amtierende HAIT-Direktor bei den nächsten Wahlen 2001 nicht wiedergewählt werden soll. Das Personalkarussell in Dresden wird auch weiterhin nicht zur Ruhe kommen.