25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
15.01.00 Die Rodelpartie

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 15. Januar 2000


Die Rodelpartie
Von Christel Poepke

Nahe beim Dorf gab es einen Berg. Ach, was sage ich … einen Berg … – Ein Hügel war’s – ein Hügelchen. Rund wie ein Schildkrötenbuckel, spärlich bewaldet und ganz sanft in die Wiesen beim Kullerbach auslaufend. So recht geeignet für einen Sonntagsspaziergang nach der Kirche, um das Dorf einmal von "oben" sehen zu können.

Doch das geschah höchst selten, denn die Leute aus dem Dorf waren keine großen Spaziergänger. Nein – zu seiner wahren Bedeutung kam der Kullerbachberg eigentlich erst im Winter. Da war er nicht nur der beste, sondern auch der einzige Rodelberg weit und breit.

Die Kinder von Kullerbach und den umliegenden Dörfern konnten es denn auch kaum erwarten, bis der Winter mit dickem Schneebauch einzog. Wie die Ameisen kamen sie dann aus allen Himmelsrichtungen angezockelt, ihre Schlitten am Bändchen hinter sich herziehend. Eingemummelt in dickes buntes Wollzeug – mit warmen Pelzstiefelchen und krachroten Nasen stürzten sie sich dann in das Gewühle und Auf und Ab am Kullerbachberg.

"Juchhei!" und "Heidie …!" War das ein Gekreische – schlimmer noch als in der großen Pause auf dem Schulhof (und das war schon schlimm genug).

Dem Kullerbach war das rein zu toll … – Er, der immer so still und sinnig vor sich hinkullerte – er mochte das nicht haben.

"Wartet nur", kullerte er sich dann in seinen Bauch, "wenn ich einen von euch zu fassen kriege, den will ich aber unterdükern, daß er vierzehn Tage nicht aus der Puuch kommt!"

Aber die Kinder kannten ihren Kullerbach und hüteten sich fix, ihm den Gefallen zu tun. Just, um ihn zu nasführen, sausten sie auf ihn zu – aber im letzten Augenblick zogen sie dann die Hackenbremse, daß der Schnee nur so stöberte. Und wenn es dafür zu spät war, dann half nur noch "umschmeißen" … –

Junge, war das ein Spaß!

Je näher einer bis an den Bachrand kam, um so mehr wurde er von den anderen bewundert und nachgeahmt. Zu immer abenteuerlicheren Fahrten feuerten sie sich gegenseitig an – aber zu Bach ging keiner. Nein – bloß das nicht!

Sie hatten kurze und lange Schlitten – grüne und rote und gelbe – mit kurzen Stummeln vorn oder mit großen, aufgeschwungenen Hörnern – mit Kuhglocken und Fahrradbimmeln dran. Und jeder hielt seinen Schlitten für den schönsten.

Aber den tollsten hatte wohl Elschen vom Mühlenkrug … – Der sah mit seinen hohen Beinen fast so aus wie ein Nachtstuhl und stammte noch aus Großmutters Mädchenzeit, als ihre Verehrer sie damit spazierengefahren hatten. So einen Schlitten gab es so leicht nicht noch einmal – und wenn, dann höchstens im Museum.

Nur – Elschen genierte sich immer ein bißchen mit dem altmodischen Ding. Und den Kullerbachberg damit runterzusausen, das war ihr denn doch zu halsbrecherisch – obwohl sie allzugerne mit dabeigewesen wäre. Fragte sich nur, wie und womit …

Nun – eines Tages, als der Schnee gar zu hell funkelte, die Bäume auf dem Kullerbachberg in dickem Rauhreif standen und das Lachen der anderen Kinder durch die klare Winterluft bis zu ihr in den Mühlenkrug schallte, da wußte Elschen plötzlich, was sie tun mußte. Leise schlich sie in die große Mühlenkrugküche, angelte sich die riesige Bratpfanne vom Haken überm Herd – in der ihre Mutter sonst zehn bis zwölf Spiegeleier gleichzeitig für die Gäste zubereiten konnte – und los ging’s.

Die anderen Kinder hielten sich die Bäuche vor Lachen, als Elschen mit ihrer Bratpfanne ankam.

Aber Elschen scherte sich nicht darum. "Ihr werdet euch noch wundern", lachte sie nur, setzte sich in die Pfanne und nahm den Stiel zwischen die Füße … – "So, nun gebt mir mal einen ordentlichen Stups …!"

Und damit begann die ungeheuerlichste Rodelpartie, die der Kullerbach samt Kullerbachberg je gesehen hatte. Und die hatten schon einiges erlebt im Laufe ihrer Zeit.

Zuerst ging’s ja noch ganz sachte, aber dann … – Mag sein, daß sie auf eine vereiste Stelle geraten war, mag aber auch sein, daß einer der Jungen ihr noch einen zusätzlichen Stups gegeben hatte, jedenfalls kam die Bratpfanne derartig in Fahrt, daß es Elschen angst und bange wurde.

Vor Schreck machte sie Kulleraugen und versuchte, schleunigst zu bremsen. Nur, das ging leider nicht, denn ihre Beine waren einfach zu kurz. Und umschmeißen … – Nein, umschmeißen ging schon gar nicht. Das soll erst mal einer vormachen, eine Bratpfanne in voller Fahrt umzschmeißen!

Als Elschen merkte, daß da nun nichts mehr zu machen war, kniff sie nur noch die Augen zu und betete: "… bloß nicht in den Kullerbach! Lieber Gott – nicht in den Kullerbach …"

Nun mag es wohl sein, daß der liebe Gott in dem Moment wirklich nichts Wichtigeres zu tun hatte, kann aber auch sein, daß er die Angelegenheit sogar für eher wichtig hielt … – Jedenfalls war da plötzlich dicht vor dem Bachrand ein kleiner Hümpel, gerade wie so eine Abschußrampe. Und just in dem Moment, als der Kullerbach Elschen mit offenen Armen empfangen wollte, raste sie mitsamt ihrer Bratpfanne über eben diesen Hümpel, sauste in einem riesigen Satz über den Kullerbach hinweg und landete mit einem Plumps auf der anderen Seite. Dort drehte die Pfanne sich mit Elschen noch ein paarmal um die eigene Achse und blieb dann ganz sachte stehen …

Zuerst waren die anderen Kinder so platt, daß es ihnen die Sprache verschlug. Aber dann ging’s los!

"Elschen ist über den Kullerbach geflogen …!"

"Habt ihr das gesehen …?"

"Wie ’ne Hexe auf dem Besen ist sie durch die Luft geritten …!"

Die Kinder konnten sich gar nicht wieder beruhigen. Aufgeregt klatschten sie sich mit ihren dicken Wollfäustlingen auf die Schenkel und stierten mit offenen Mäulern zum anderen Ufer hinüber.

"Das kann ich auch!" schrie einer.

Und: "… das können wir auch!" schrien sie plötzlich alle.

"Platz da! Bahn frei – ich komme …!" Und so sauste einer nach dem anderen den Berg hinunter. Alle wie sie da waren …

Und – rein in den Kullerbach! Wie ein Rudel Pinguine, die sich ins Meer stürzten.

Junge, was hatte der Kullerbach für einen Spaß! Er konnte sie gar nicht so schnell schlucken und unterdükern, wie sie runterkamen. Na ja – für die nächsten vierzehn Tage hatte er seine Ruhe. Und die Kinder ihren Halswickel und – Fliederbeertee …