19.04.2024

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22.01.00 Die EU setzt das Grundgesetz außer Kraft

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. Januar 2000


Gedanken zur Zeit:
Aufgabe der Souveränität
Die EU setzt das Grundgesetz außer Kraft / Von Wilfried Böhm

Es ist noch kein ganzes Jahr her, seit die Deutschen den fünfzigsten Jahrestag ihres Grundgesetzes begingen. In seltener Einmütigkeit waren über 80 Prozent der Deutschen und nahezu alle Politiker im Land der Meinung, diese Verfassung habe sich bewährt und könnte Vorbild für andere sein. Der Stolz darauf schuf sogar die Voraussetzung, an Stelle des am Volk und seiner Geschichte orientierten Nationalbewußtseins einen sogenannten Verfassungspatriotismus zu erfinden. Er sei identitätsstiftend, hieß es landauf und landab bei den Feiern zum 50. Jahrestag des Grundgesetzes. Er halte die Menschen in Deutschland zusammen und, so klang es immer wieder an, nicht etwa die Zugehörigkeit zum deutschen Volk, seiner Kultur, Sprache und Geschichte. Die zentrale Rolle des Grundgesetzes als "Kronjuwel" im Selbstverständnis der deutschen Demokratie jedenfalls ist unübersehbar, verständlich und insgesamt gerechtfertigt. Der Umgang mit einem dermaßen lobenswerten und nach Auffassung vieler gar identitätsstiftenden Grundgesetz erfordert ehrfurchtsvolle Bedachtsamkeit.

Um so größer der Schock, als der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg sich eben dieses Grundgesetz vorknöpfte und dessen Bestimmung, daß Frauen in Deutschland "auf keinen Fall Dienst an der Waffe leisten dürfen", kurzerhand kippte, weil diese gegen das Diskriminierungsverbot des europäischen Gemeinschaftsrecht verstoße. Deutschland wurde damit gleichsam dazu verurteilt, sein Grundgesetz so zu verändern, daß es der Europäischen Richtlinie zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern entspricht.

Die darauf folgende Diskussion in Deutschland –  sofern sie angesichts der zur Zeit alles beherrschenden Finanz- und Machtmißbrauchsskandale der Parteien überhaupt stattfand – beschäftigte sich nahezu ausschließlich mit dem konkreten Inhalt der Luxemburger Gerichtsentscheidung und ihren möglichen Auswirkungen auf Bundeswehr und Wehrpflicht.

Aber es geht nicht nur um die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Arbeitsleben unter dem Gesichtspunkt des europäischen Binnenmarktrechts. Es geht auch nicht nur um die Militarisierung der Frauen und die Struktur der Streitkräfte. Es geht entscheidend darum, ob die Europäische Union (EU) mehr und mehr selbst zu einem Staat wird, der seinen Mitgliedstaaten übergeordnet ist und erzwingen kann, wie deren nationale Verfassungen gestaltet sein dürfen und wie nicht. Es geht um die Kernfrage, ob die demokratischen Verfassungen der Mitgliedstaaten und damit deren alltägliche demokratische Ordnungen dem Richtliniengeflecht der EU unterworfen werden dürfen. Entspricht doch deren Charakter bei weitem nicht dem parlamentarisch demokratischen Selbstverständnis der in den einzelnen Nationalstaaten gewachsenen europäischen Verfassungswirklichkeiten. Die schleichende Ausdehnung der EU-Kompetenzen mittels richterlicher Entscheidungen des EuGH, mit der die demokratische Verfassungen von Mitgliedsstaaten ausgehöhlt werden, ist zur Gefahr geworden. Der Aufbau des vereint handelnden Europa darf nicht mit dem Abbau von Demokratie verbunden sein, weil das einem Rückfall in vordemokratische Verhältnisse gleichkäme. Schritte nach Europa dürfen nicht länger zu Schritten weg von der Demokratie werden.

Täusche sich niemand darüber, in welchem Maße die Parteiverdrossenheit unserer Tage auch darauf zurückzuführen ist, daß die D-Mark gegen den Willen der Bürger auf dem vielzitierten Altar Europa geopfert worden ist. Stand doch die D-Mark neben ihrer finanz- und wirtschaftspolitischen Bedeutung ganz wesentlich für deutsche Identität und Selbstverständnis. Jetzt darf nicht auch noch unserem Grundgesetz ein ähnliches Schicksal beschieden werden.