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22.01.00 Ein Buch bagatellisiert die alliierten Luftangriffe auf Dresden

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. Januar 2000


Schrecken ohne Ende
Ein Buch bagatellisiert die alliierten Luftangriffe auf Dresden

Zwar ist bei den im schriftstellerischen Gewerbe tätigen deutschen Intellektuellen der britische Luftkrieg gegen die Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg kein Thema, doch ist es bemerkenswert, welch lebhaftes Interesse diese Ereignisse bei jenen Deutschen wecken, die diesen Luftkrieg erleiden mußten. so ist es denn auch verständlich, daß wenige Jahre nach dem Erscheinen der erweiterten und überarbeiteten Ausgabe des als Standardwerk geltenden materialreichen Buches von Götz Bergander "Dresden im Luftkrieg – Vorgeschichte, Zerstörung, Folgen" eine unveränderte Sonderausgabe für den Flechsig-Buchvertrieb, Würzburg, erschien. Da Das Ostpreußenblatt die Originalausgabe bereits 1994 besprochen hat, sei hier anläßlich des Nachdruckes nur auf zwei Themen eingegangen, die immer wieder zu heftigen Diskussionen führen und zu denen Bergander eine andere Meinung vertritt als die meisten Autoren, die sich mit diesen Angriffen befaßt haben, nämlich mit den Fragen, ob es Tieffliegerangriffe der US-Airforce auf die in den Großen Garten und auf die Elbwiesen geflüchteten ausgebombten Dresdner gegeben habe und wie hoch die Verluste unter den Bewohnern Dresdens waren.

Es gibt zahlreiche Augenzeugenberichte darüber, daß nach den nächtlichen britischen Flächenbombardements am folgenden Tag amerikanische Tiefflieger die Fliehenden mit Bomben und Bordwaffen angegriffen haben. Bergander streitet "die dem amerikanischen Geleitschutz angehängten Beschuldigungen" ab. Seine Begründung: weder er noch andere Mitglieder seiner Familie hätten Bordwaffenfeuer gehört; in den von ihm eingesehenen Berichten der nach Großbritannien zurückgekehrten Piloten habe er nichts darüber gefunden, daß sie Zivilisten im Tiefflug in Dresden und Umgebung angegriffen hätten. Die Augenzeugenberichte führt er darauf zurück, daß die Menschen seinerzeit unter Schock gestanden hätten. Er gibt allerdings zu, daß US-Jagdbomber im Tiefflug über Dresden beobachtet wurden, doch hätten sie nicht geschossen.

Niemand kann bestreiten, daß in jenen letzten Monaten des Krieges tagsüber im von den Alliierten noch nicht besetzten Deutschland vor allem amerikanische Jagdbomber im Tiefflug auf alles Jagd machten, was sich bewegte: auf Eisenbahnzüge ebenso wie auf Frauen mit Kinderwagen auf Landstraßen. Bergander gibt das zu; man könnte den Eindruck haben, daß Bergander dieses Vorgehen der alliierten Piloten rechtfertigt, indem er darauf hinweist, daß man in Deutschland von der "Heimatfront" sprach. Das hätten die Alliierten dann wörtlich genommen und diese "Front" in ihren Luftkrieg eingeschlossen.

Wenn es aber in den letzten Kriegsmonaten üblich war, daß die West-Alliierten im Tiefflug Zivilisten angriffen, dann fragt man sich, wieso sie ausgerechnet in Dresden davon abgesehen haben sollten. Bergander macht es sich zu leicht, die vielen Augenzeugenberichte vom Tisch zu wischen. Es steht zu befürchten, daß er dem Zeitgeist zum Opfer gefallen ist, der es heute üblich macht, Schuld allein den Deutschen zuzuschieben, Völkerrechtsverstöße der Sieger aber verständnisvoll zu deuten, zu bagatellisieren oder gar zu leugnen.

Diese Generaleinstellung geht auch aus Berganders Kapitel "Schrecken ohne Ende …" hervor. Der auf die Zivilbevölkerung gezielte strategische Bombenkrieg war eindeutig völkerrechtswidrig. Vor dem interalliierten Nürnberger Tribunal wurden deutsche Politiker und Militärs angeklagt wegen eben dieser "Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Bergander aber geht auf Völkerrechtsfragen überhaupt nicht ein. Hätte er es getan, wäre ihm nichts anderes übrig geblieben, als die Briten und Amerikaner als die Täter von Dresden zu verurteilen. Statt dessen legt er politische und moralische Maßstäbe an, und die sind die allgemein gewohnten. "Hätte" Hitler die dazu nötigen Mittel gehabt, dann "hätte" auch er Englands Städte ausradiert – den Gegnern Deutschlands sei gar nichts anderes übrig geblieben, als alle Mittel, völkerrechtlich erlaubte wie verbotene, gegen Deutschland einzusetzen, denn es sei ihnen ums nackte Überleben gegangen. Hätte Deutschland gesiegt, wären "Millionen" von Briten und Amerikanern wegen ihrer politischen Einstellung oder jüdischen Abstammung vom Tode bedroht gewesen. – Die Einsatzgruppen der SS hätten massenweise Juden getötet, weswegen auch die Alliierten massenweise deutsche Zivilisten töten durften.

Das ist etwa die Qualität seiner Rechtfertigung des alliierten Luftkrieges.

Es ist zu befürchten, daß diese Einstellung auch eine Rolle spielte, als Bergander zu ermitteln versuchte, wie viele Opfer die Angriffe auf Dresden zur Folge hatten. Es geistern seit Kriegsende die unterschiedlichsten Zahlen durch die Literatur. Manche Autoren sprechen von vielen Hunderttausenden von Toten. Bergander schätzt hingegen die Zahl der Opfer auf etwa 35 000. Er gelangt zu dieser Zahl, weil er abstreitet, daß sich sehr viele Flüchtlinge aus Schlesien in jenen Tagen und Nächten in Dresden aufgehalten haben. Es sei – so Bergander – ausgeschlossen, daß 500 000 durchziehende Flüchtlinge in jener Nacht in den Straßen kampierten oder in Dresdner Wohnungen Aufnahme gefunden hätten. Er schätzt, daß sich in der Angriffsnacht etwa 200 000 Ostflüchtlinge in der Stadt aufgehalten haben. Alle Zahlen jedoch sind Schätzungen, über die es keinerlei Unterlagen gibt.

Überhaupt ist es mit Unterlagen schlecht bestellt. Jahrzehntelang gab es kein Originaldokument. Angeblich haben die Oberen Behörden Dresdens bei Kriegsende alle Unterlagen vernichtet, so das im Auftrag der Stadt Dresden 1994 herausgegebene Buch "Verbrannt bis zur Unkenntlichkeit", ein Buch im übrigen, das noch ganz den Geist eines kommunistischen blindwütigen Antifaschismus atmet. Zu erheblicher Verwirrung führte die mehrere Jahre nach dem Krieg aufgetauchte Abschrift eines "Tagesbefehls 47 v. 22. 3. 1945, des Höheren SS- und Polizeiführers Elbe", in dem es geheißen hatte: "Bis zum 20. 03. 45 abends wurden 20 204 Gefallene … geborgen." Bald darauf kursierte – ebenfalls in einer Abschrift – mit dem Datum des 23. März 1945 eine neue Fassung dieses Tagesbefehls, in der nun die Rede war von 202 040 geborgenen Toten. Bergander geht davon aus, daß es sich um eine Fälschung handelt. Er spekuliert, und das wirft wiederum ein Licht auf seine Voreingenommenheit, daß es "vorstellbar" sei, daß "Goebbels selbst den Trick mit der zusätzlichen Null ersann". Nun hat man in der Zeit des Dritten Reiches überhaupt keine Verlustzahlen über die Luftangriffe auf Dresden in der Öffentlichkeit genannt, so daß Goebbels’ angebliche Fälschung sinnlos gewesen wäre. Sollten wirklich die amtlichen Unterlagen am Ende des Krieges von deutschen Dienststellen vernichtet worden sein (wer garantiert eigentlich dafür, daß nicht die Sowjets, die am 7. Mai in Dresden einmarschierten, sich der amtlichen Unterlagen bemächtigt und sie in die UdSSR verschleppt haben?), dann wären wir auf vergleichende Schätzungen angewiesen.

In Dresden war es den Alliierten gelungen, einen Feuersturm zu entfachen, genau wie eineinhalb Jahre vorher in Hamburg. In Dresden vernichtete der Feuersturm eine 15 Quadratkilometer große bebaute Fläche, in Hamburg war diese Fläche etwas über 13 Quadratkilometer groß. Wir wissen, daß in Hamburg diesem Feuersturm 35 000 bis 40 000 Menschen zum Opfer fielen. Genaue Ermittlungen waren nicht möglich, weil, wie der in diesen Fragen sicherlich kompetenteste Feuerwehrfach-mann Hans Brunswig schreibt, bei dem im Feuersturm entfachten Temperaturen Menschen verbrannt wurden, ohne eine Spur zu hinterlassen.

Vergleicht man beide Feuerstürme, dann erscheint Berganders Zahl als zu niedrig. Dem Rezensenten, der ebenso wie Bergander in seiner Jugend vom Luftkrieg nachhaltig geprägt worden ist, versicherte der letzte SED-Oberbürgermeister von Dresden, Berghofer, anläßlich des Abschlusses eines Patenschaftsvertrages zwischen Hamburg und Dresden in der letzten Phase der DDR in einem persönlichen Gespräch ausdrücklich, die in der DDR genannte Zahl von 35 000 Toten enthalte nur die namentlich identifizierten; unklar sei, wie viele Menschen im Feuersturm bis zur Unkenntlichkeit verbrannt worden seien. Diese Auskunft könnte realistisch sein. Die An-griffe auf Dresden haben sicher-lich mehr als 35 000 Menschen das Leben gekostet. Mehr als 100 000 können es aber Gott sei Dank nicht gewesen sein. Freuen wir uns über jeden, der dem alliierten Feuersturm entkam. Hans-Joachim von Leesen

Götz Bergander: Dresden im Luftkrieg – Vorgeschichte, Zerstörung, Folgen, Flechsig-Verlag, Würzburg 1998, 436 Seiten, zahlreiche sw Abb., geb., 19,80 Mark