19.04.2024

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22.01.00 Sterntaler

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. Januar 2000


Sterntaler
Von MARGOT KOHLHEPP

So mein Hansichen, nu haste Futter und Wasser und bekommst auch noch das Badehäuschen angehängt. Ich geh derweil nach der Post kieken. Kommt ja eigentlich nie was, aber es könnt doch mal sein. Frieher war besser, da kam der Briefträger in unser Häuschen und man konnt immer noch e bißche mit ihm plachandern. Aber nu, wo ich allein bin, und hab bloß die beiden Stubchens in diesem großen Haus, da kommt keiner mehr. Keiner sagt: Tag, wie geht’s? Jeden Tag, den das liebe Gottche einem noch beschert, geht man runter zum Briefkasten. Schlüssel am Kasten rumgedreht und erwartungsvoll reingekuckt, und der kuckt zurück: groß, hohläugig und absolut nichtssagend."

Sie nimmt die beiden Fotorahmen von der Vitrine und reibt sie mit dem Schürzenzipfel blank. "Vogelche, sieh dir mal auf diesem Bild den Jung an: Brille auf der Nas und so ernst, als ob es nie was zu lachen im Leben geben könnt. So war er schon als ganz kleiner Spund. Immer mit der Nas in den Büchern, nich mit den andern Jungs rumgeratzt, nich auf dem Baum sich die Hos zerkoddert, egalwegs nur mit Büchern gehuckt. Die Lehrer konnten sich nich jenuch haben, deshalb mußt er auch auf die Schule in der Stadt und sogar noch studieren. Kannst nuscht machen dagegen, hat wohl sein müssen. Aber du siehst ja, wie er nu ist, Brille auf der Nas, hat nich Zeit für mich, muß immer schlaue Reden halten, ist aber selbst auch janz allein."

Das Foto stellt sie zurück und nimmt das andere Bild in die Hände: eine fröhliche Familie. "Und nu kuck unsre Marjell. Die konnt lachen und hatte viele Dammlichkeiten im Sinn. Mußt die denn nu ausgerechnet dem Ami heiraten? Fleißig ist er ja und hat auch ein gutes Gemüt, und daß er Ami ist, dafür kann er ja nuscht. Nu aber sitzen sie mit meinen Enkelchens dort drüben in Amerika, und ich huck hier und hab nur Vatchens Grab und dich, ansonsten hab ich keinen. Wie gern würd ich die drei Kleinen mal in den Arm nehmen, so über die Kopfchens streicheln und auch Märchen erzählen.

Wie war doch das Märchen, das meine Marjell immer hören wollt? ,Sterntaler‘ hieß es. Wie es genau ging, das bekomm ich nich so schnell in meinem Kopf hin. Jedenfalls ging so ein armes, verlassenes und trauriges kleines Menschenkind nach draußen, kiekt in den Himmel zu den Sternchens, und da fallen sie runter, sind Sterntaler aus reinem Gold, und das Kind fängt in seiner Schürze oder Hemdchen, was es da gerade an hatte, alle auf und is so glücklich wie noch nie.

Nun bin ich aber am End mit der Rederei, du piepst ein schönes Liedchen, und ich hau ab zum Briefkasten, aber du wirst sehn, es gibt wieder nuscht."

Sie schlurft die Treppe hinunter, eine Weile ist kein Geräusch zu hören, aber dann kommt sie die Stufen hochgehetzt und ruft atemlos: "Von Amerika! Von Amerika!"

Vor Aufregung gelingt es ihr kaum, den Umschlag aufzureißen. Stumm liest sie die Zeilen und dann teilt sie überwältigt vor Freude mit: "Im nächsten Monat kommen sie mich holen, und für immer bleib ich bei ihnen. Hör auf mit den Flochtens zu schlagen und beruhige dich, du kommst doch mit! Meinst etwa, ich ging ohne dich?"

Aus den zitternden Händen fallen der Brief und die mitgeschickten Fotos in ihre Schürze: Sterntaler.