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29.01.00 Zweite Republik am Ende

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 29. Januar 2000


Zweite Republik am Ende
Tiefe Risse in Österreichs Machtgefüge
Von Alfred v. Arneth

Das Scheitern der Koalition zwischen Sozialdemokraten (SPÖ) und Volkspartei (ÖVP) in Österreich zeigt, daß sich die Zweite Republik überlebt hat. Bundespräsident Klestil zog sich scharfe Kritik zu, weil er den Vorschlag der SPÖ billigte, deren Vorsitzender Klima solle eine Minderheitsregierung bilden.

Der Vorsitzende der Parlamentsfraktion der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ), Peter Kostelka, hat am Wochenende das Ende der Koalition als Befreiungsschlag für seine Partei und das politische System bezeichnet. Sein Parteikollege, der Nationalratspräsident Heinz Fischer, räumte ein, das politische System sei in grundlegender Veränderung begriffen.

Es geht somit um eine Neuverteilung der Macht in Österreich. Fischer "würde sich nicht schrecken" davor, daß die SPÖ in die Opposition ginge. Die Freiheitliche Partei (FPÖ) forderte den Bundespräsidenten, Thomas Klestil, öffentlich dazu auf, ihrem Chef, Jörg Haider, den Auftrag zu erteilen, eine Regierung zu bilden. Klestil hatte am Freitag den Vorsitzenden der SPÖ, Bundeskanzler Klima, damit betraut, eine sozialdemokratisch geführte Minderheitsregierung zusammenzustellen, der auch parteiunabhängige Sachverständige angehören sollen.

Die Entscheidung Klestils, Klima einen zweiten Versuch zuzugestehen, hat die Debatte über die Rolle des Bundespräsidenten ausgelöst. Andreas Unterberger, der Chefredakteur der "Presse", hat Klestil eine "Strategie der verbrannten Erde" vorgeworfen. Klestil soll persönliche Vorbehalte gegen ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel haben; es heißt, der Bundespräsident habe dem ÖVP-Chef gesagt, er werde verhindern, daß dieser Gelegenheit erhalte, ins Kanzleramt aufzusteigen.

Generell wird Klestil von den meisten bürgerlichen Medien massiv kritisiert. Der Bundespräsident hat vergeblich versucht, das Wahlergebnis vom 3. Oktober so auszulegen, als paßte es ins alte Gewölbe jener Koalition, die bis vor kurzem zu Recht die "große" genannt wurde. Dieses Gewölbe stützte sich in den letzten 30 Jahren auf die Hegemonie der SPÖ, die seit 1970 den Bundeskanzler stellt.

Ohne FPÖ-Obmann Haider hätte sich nur eine Regierung bilden lassen, wenn sich SPÖ und ÖVP einig wären. Doch wie sollten sie sich nach 13 Jahren weiter einig sein, wenn sie in dieser Zeit nicht in der Lage waren, dem Versiegen des Geldes aus Verschuldung und Steuerdruck etwas Produktives entgegenzusetzen? Der Freitag markierte das Ende des gemeinsamen Weges; das Loch im Staatshaushalt symbolisiert seit geraumer Zeit das sachliche Versagen der einstigen Großparteien. Klestil setzte trotzdem auf die SPÖ-Minderheitsregierung und widersprach somit dem, was er selbst bisher immer gefordert hat, nämlich eine Regierung mit stabiler Parlamentsmehrheit.

In Österreich dürfte daher eine Verfassungsdebatte nicht lange auf sich warten lassen. Klestils Vorgehen ist fraglos Rechtens, widerspricht aber ebenso fraglos Sinn und Geist des politischen Alltags eines EU-Landes. Die Politiker warteten aber nicht, bis eine neue Verfassung den Bundespräsidenten in die Schranken weist. Haider führt alle notwendigen Gespräche, um eine Alternative zur vom Präsidenten und von der SPÖ heraufbeschworenen Staatskrise zu finden. Zwar konnte von einer Staatskrise keine Rede sein, doch drohte immerhin eine Finanzkrise. Der Finanzminister der letzten Regierung, der Sozialdemokrat Rudolf Edlinger, teilte mit, voraussichtlich im Mai sei Österreich zahlungsunfähig, wenn das Parlament nicht mindestens ein gesetzliches Budgetprovisorium beschließe. Nach Ablauf des derzeit gültigen automatischen Provisoriums hätten laut Edlinger keine Lehrer und keine Polizisten mehr bezahlt werden dürfen, keine Schulden mehr bedient und keine Pensionen mehr ausbezahlt werden. Er forderte die übrigen Parlamentsparteien auf, sich der Verantwortung zur Zusammenarbeit nicht zu entziehen und keinen Staatsnotstand zu provozieren.

Es sieht nicht danach aus, als würden FPÖ und ÖVP Edlinger den Gefallen erweisen, die SPÖ noch lange an der Macht zu erhalten. Haider und Schüssel einigen sich auf eine Koalition zwischen FPÖ und ÖVP. Eine solche Regierung hat eine klare Mehrheit im Parlament.