25.04.2024

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29.01.00 Wenn die "Leitkultur" Schwäche zeigt ...

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 29. Januar 2000


Okzident:
Wenn die "Leitkultur" Schwäche zeigt ...
Politiker beschwören in der Ausländerfrage ohne geistige Rückversicherung unverantwortliche Visionen

Mehr und mehr droht der Spendensumpf, in dem die Union und andere staatstragende Parteien zu versinken drohen, Fragen zu überlagern, die von schicksalhafter Bedeutung für die Zukunft unseres Volkes sind. Zu diesen Fragen gehört mit Sicherheit die Neufassung des Ausländergesetzes und des Staatsbürgerschaftsrechtes, die seit dem 1. Januar dieses Jahres in Kraft sind. Rund 3,7 Millionen der ca. 7,3 Millionen offiziell in Deutschland erfaßten Ausländer können aufgrund dieser Gesetzesänderung deutsche Staats-bürger werden. Einen Einbürge-rungsanspruch haben diejenigen Ausländer, die seit mindestens acht Jahren rechtmäßig in Deutschland leben. Darüber hinaus erhalten in Zukunft in Deutschland geborene Kinder von Ausländern automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft. Sollten diese Kinder noch eine weitere Staatsbürgerschaft besitzen, müssen sie sich mit 23 Jahren für einen Paß entscheiden. Mit diesen Gesetzen sind Regelungen in Kraft getreten, die die konservativen Kräfte in Deutschland unter allen Umständen verhindern wollten. Um in diesem Zusammenhang nur den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber zu nennen: Dieser erklärte Anfang des letzten Jahres, daß die Verhinderung der doppelten Staatsbürgerschaft das zweitwichtigste Ziel seiner Partei sei. Stoiber forderte, daß sich die in Deutschland lebenden Ausländer an der abendländischen Kultur als "Leitkultur" ausrichten müßten. Was Stoiber genau unter dieser "abendländischen Kultur" versteht, hat er nicht weiter konkretisiert.

Seine eigentliche geschichtliche Kontur hat der Begriff "Abendland" ("Okzident") als Gegenbegriff zum "Morgenland" ("Orient") gewonnen. "Orient" und "Okzident" bezeichneten zunächst nicht mehr als Verwaltungseinheiten des Römischen Reiches. Im Zuge der allmählichen theologischen Auseinanderentwicklung des griechischen Ostens und des lateinischen Westens entstand im 8. Jahrhundert der Kirchenstaat, der für die Geschichte des Abendlandes von entscheidender Bedeutung werden sollte. Spätestens mit dem Untergang des Byzanti- nischen Reiches Ende des 15. Jahr-hunderts trat schließlich der Islam als Heraus-forderung des christlichen Abendlandes immer deutlicher in Erscheinung. "Abendland" galt von nun als "christlich" geprägter geographischer Raum, dem das "Morgenland" als "islamisch" geprägter Raum gegenübersteht. Nur nebenbei sei an dieser Stelle vermerkt, daß die Idee des "Abendlandes" nach dem Ende des "Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" im Jahre 1806 zu einem primär deutschen Anliegen wurde.

Hier und da wurde die "Idee des Abendlandes" auf die Formel "Das Abendland ist christlich, oder es ist nicht" gebracht. Dazu mag man stehen, wie man will. Eines aber steht außer Zweifel: das Christentum ist konstitutiv für die "Idee des Abendlandes".

Heute hat die Bindekraft des Christentums allerdings in einem Maße abgenommen, daß die Forderungen Stoibers seltsam realitätsfern wirken. Es stellen sich aber noch andere Fragen: Wie kann von einem Ausländer die Ausrichtung an der abendländischen Kultur erwartet werden, wenn der Gottesbezug im Grundgesetz von rot-grünen Politikern offen in Frage gestellt wird? Politiker von SPD und Bündnisgrünen forderten bereits im Zuge der Wiedergewinnung der deutschen Einheit, den Begriff Gott aus dem Grundgesetz zu streichen. Ihrer Auffassung nach sollte der Gottesbezug nicht in einer Verfassung stehen, die für alle Bürger geschrieben wurde. Konsequenterweise betrachten bündnisgrüne Politiker auch die staatliche Garantie des Religionsunterrichtes als "Relikt aus vordemokratischen Zeiten". Wo der springende Punkt für die Bündnisgrünen und viele SPD-Politiker liegt, hat der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir ausgeführt: Ein Wertekonsens in Deutschland könne nur gemeinsam mit Nichtchristen geschaffen werden. Eine "Konstitutionalisierung des christlichen Gottes" führe zu Ausgrenzung und Intoleranz. Es spricht für sich, daß sich viele angeblich "fortschrittliche" deutsche Politiker genau diese Sichtweise zu eigen gemacht haben.

Vor diesem Hintergrund geht die Forderung Stoibers ins Leere. Wenn sich nicht einmal alle deutschen Politiker auf die "abendländische Kultur" verpflichten lassen wollen, dann kann dies auch nicht von einbürgerungswilligen Ausländern erwartet werden. Abzuwarten bleibt, ob diese Form geistiger Orientierungslosigkeit, wie sie bei Politikern aller Couleur zu beobachten ist, nicht genau zu dem führt, was der große Kulturkritiker Oswald Spengler in den 20er Jahren meinte prognostizieren zu müssen: zum Untergang des Abendlandes. Stefan Gellner