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29.01.00 Tudjmans langer Arm

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 29. Januar 2000


Tudjmans langer Arm
Präsidentenwahl in Kroatien / Von Alfred v. Arneth

Den ersten Durchgang der Präsidentenwahl in Kroatien hat der Oppositionspolitiker Stipe Mesic klar für sich entschieden. Mesic erreichte 42 Prozent, Drazen Budisa bekam 30,7 Prozent. Der bisherige Außenminister Mate Granic kam auf 18,4 Prozent der Stimmen. Granic ist Kandidat der bisher regierenden Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ). Der sozialliberale Budisa tritt als gemeinsamer Kandidat auch für die kroatischen Sozialdemokraten an. Dieses Oppositionsbündnis aus insgesamt sechs Parteien hatte am 3. Januar die Parlamentswahlen gewonnen und die seit der Unabhängigkeit regierende HDZ Tudjmans von der Macht verdrängt.

Mesic war letzter Präsident des alten Jugoslawien und ist Kandidat eines Bündnisses aus vier Parteien der bisherigen Opposition. Als Außenminister gestartet, hat sich Mesic (65) in Umfragen bis auf den ersten Platz vorgearbeitet. Seinen Anhängern gilt er als vertrauenswürdig, kompetent und handfest. Mesic war 1994 aus der HDZ Tudjmans ausgetreten. In der Folge kritisierte er den Kurs Tudjmans und die Rolle Agrams bei Plänen zur Aufteilung Bosnien-Herzegowinas zwischen Serben und Kroaten. Nach einer Aussage vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag veranstalteten die staatlich gelenkten Medien 1997 eine Treibjagd auf den "Nestbeschmutzer" Mesic, der selbst von einem "öffentlichen Aufruf zum Lynchmord" sprach.

Mesic wurde am 24. Dezember 1934 in Slavonska Orahovica geboren. Er ist Jurist. Seine Beteiligung am "kroatischen Frühling" 1971 brachte ihm eine etwa zweijährige Freiheitsstrafe ein.

Mesic ist im Wahlkampf mit dem Versprechen einer Öffnung nach Europa angetreten. Zudem erklärte er, Präsident der "Bürger Kroatiens" sein zu wollen, und sparte zugleich nicht mit Seitenhieben gegen die bisherige finanzielle und militärische Unterstützung der Kroaten in Bosnien.

Die Wahl eines neuen Staatspräsidenten vollendet den Machtwechsel in Kroatien nach dem Tod von Franjo Tudjman. Es war dies die dritte Wahl eines Präsidenten in Kroatien, nachdem Tudjman 1992 und 1997 gesiegt hatte. Er war am 10. Dezember gestorben, mehr als zwei Jahre bevor sein Mandat auslief. Seine Partei ist in Flügelkämpfen zerstritten.

Mit dem Ende Tudjmans wurde Kroatien aus der politischen Stagnation gerissen. Nach einem zehn Jahre dauernden nationalen Kulturkampf schwingt das Pendel offenbar immer heftiger in Richtung Umbruch, Öffnung und Reformen. Bei früheren Präsidentenwahlen standen die Ergebnisse schon vorher als Tudjman-Festspiele fest. Dieses Mal war und ist die Lage ganz anders und doch ähnlich. Im Grunde haben Drazen Budisa, Stipe Mesic oder Mate Granic nämlich dasselbe Ziel: Kroatien als dauerhaften Partner in Europa zu etablieren.

Es bleibt nicht einmal mehr die Frage, ob es zum völligen Wandel kommt, denn die jahrelang allmächtige Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) Tudjmans hat den Zug der Zeit verpaßt. Die Beschwörung nationaler Gefühle und der kulturellen Identität greift zu kurz, wenn die Wirtschaft darbt, die Konjunktur rückläufig ist und die Arbeitslosenrate bei etwa 20 Prozent liegt. Die historischen Verdienste der HDZ um die Eigenständigkeit des Landes sind zwar noch nicht vergessen, im Bewußtsein präsenter ist aber der lange Arm der Partei, der seine Finger in allen Bereichen des Lebens wie Politik, Wirtschaft, Behörden oder Medien ins Spiel brachte. Bezeichnend für die späte Einsicht der HDZ ist der Umstand, daß mit Mate Granic das gemäßigte Aushängeschild der Partei nur zögerlich ins Rennen geschickt wurde. Wochenlang schwemmten die internen Strömungen einmal Granic, dann wieder den Hardliner Vladimir Seks als potentiellen Kandidaten in den Vordergrund. Erst nach der Ohrfeige vom 3. Januar fiel Seks durch. So wurde die Chance verpaßt, Granic als Korrektiv für das kommende Regierungsbündnis aus sechs Parteien, dessen Spektrum von sozialdemokratischen bis konservativ-agrarischen Kräften reicht, zu etablieren. Diese Rolle fällt nun offenbar Stipe Mesic zu. Dabei galt Granic im Ausland lange als "der" Hoffnungsträger für den Wandel, den die Kroaten Anfang Januar gewählt haben. Dieser kam für viele freilich ziemlich abrupt, zumal eine gewisse Instabilität bei einem Sechs-Parteien-Kabinett programmiert erscheint. Immerhin will die neue Regierung umfassende Reformen in Richtung Marktwirtschaft angehen, die für weite Teile der Bevölkerung auch mit erheblichen Umstellungen, Mühen und Einbußen verbunden sein werden.

Die HDZ konnte aber offenbar die mitunter vorhandene Skepsis vor der Zukunft nicht für sich nützen. Statt dessen droht sie auseinanderzufallen. Granic legte jüngst demonstrativ seine Ämter nieder, um nicht in den Geruch zu kommen, Werkzeug der "Falken" in der HDZ zu sein. Dies hätte seine Chancen zweifellos weiter verringert, gereicht hat es aber dennoch nicht für ihn.