28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
29.01.00 Moldawien: Rumäniens kleiner Bruder

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 29. Januar 2000


Moldawien: Rumäniens kleiner Bruder
Machtpoker um Bessarabien geht weiter / Von G. Savulescu und M. Schmidt

Ähnlich wie im Kaukasus bereitet sich auch in Moldawien mittelfristig eine Neuverteilung der Einflußsphären vor. Während in Tschetschenien, Georgien und Aserbaidschan die Türken und US-Amerikaner als wichtigste Gegenspieler Rußlands auftreten, sind es in der seit August 1991 unabhängigen Republik Moldova neben den Amerikanern die Ukrainer, Rumänen und die EU.

Bezeichnend für die Interessen Washingtons ist ein Angebot, das der US-Botschafter Perina Mitte Januar in der Hauptstadt Chisinau (Kischinew) bekanntgab. Demnach ist sein Land bereit, den Abtransport des riesigen russischen Militärarsenals aus dem sogenannten Transnistrien mit 30 Millionen Dollar zu finanzieren. Außerdem bot er Igor Smirnow – seines Zeichens "Präsident" der von Moldawien losgelösten "Dnjestr-Republik" – an, diese mit amerikanischer Kohle zu versorgen.

Doch Smirnow reagierte auf die Offerte zur Verringerung der Abhängigkeit vom russischen Energieriesen Gazprom ebenso abweisend wie hinsichtlich des US-Plans, eine OSZE-Delegation mit der Quantifizierung und Qualifizierung der Waffenbestände zu beauftragen. Der Sezessionistenchef sieht keinen Grund für eine ausländischen Mission, zumal das von der sowjetischen 14. Armee zurückgelassene Gerät mittlerweile "dem transnistrischen Volk" gehöre und seine Abwicklung "in der Zuständigkeit der Russischen Föderation" liege.

Der in weiten Teilen mit dem historischen Bessarabien identische heutige Staat Moldawien zählt gut vier Millionen Einwohner, von denen etwa drei Millionen rumänischer Abstammung sind und über 150 000 dem christlichen Turkvolk der Gagausen angehören. Hinzu kommen 600 000 Ukrainer sowie eine geringere Zahl von Russen, die zusammen die slawische Kernbevölkerung Transnistriens ausmachen.

Während das eigentliche Bessarabien vom Pruth im Westen und dem Dnjestr im Osten begrenzt wird, handelt es sich bei dem östlich des Dnjestr gelegenen dichtbesiedelten Landstrich sowie der Stadt Bendery am anderen Flußufer um Manövriermasse stalinistischer Machtpolitik.

Im Jahre 1953 teilte der Diktator dieses hochindustrialisierte Territorium der Moldawischen Sowjetrepublik zu. In erster Linie wollte er den russischen Einfluß auch ethnisch absichern.

Bessarabien ist ein Land mit einer sehr wechselvollen Geschichte, das an der Nahtstelle zwischen Ostmitteleuropa, Osteuropa und dem Balkan liegt. Sein Name geht auf das Geschlecht der Basarab zurück, das vom 14. bis Ende des 16. Jahrhunderts in der Walachei herrschte und seinen Machtbereich bis ins südliche Bessarabien erweitern konnte.

Nach langer Zugehörigkeit zu dem im 15. Jahrhundert entstandenen Fürstentum Moldau wurde die Region im späten 18. Jahrhundert zum diplomatischen Spielball und Kriegsschauplatz der aufstrebenden Habsburgermonarchie und Rußlands, die mit dem Osmanischen Reich um die Vorherrschaft kämpften. Bereits 1775 heimste Österreich den nordwestlichen Teil des Fürstentums Moldau – die Bukowina – ein, und 1812 mußte die Türkei Bessarabien an das Zarenreich abtreten.

Zu Beginn der 1860er Jahre vereinigten sich die Fürstentümer Moldau und Walachei dann zum Einheitsstaat Rumänien, der sich nach dem Ersten Weltkrieg durch den Gewinn weiter Teile Österreich-Ungarns sowie Bessarabiens in seiner Ausdehnung verdoppelte.

Allerdings währte der Aufstieg zur Regionalmacht nur zwei Jahrzehnte. Im §3 des Geheimprotokolls zum Ribbentrop-Molotow-Pakt wurde Bessarabien der sowjetischen Einflußsphäre zugeordnet, in der es nach der Annexion im Juni 1940 – mit einer Unterbrechung zwischen 1941 und 1944 – bis zum Untergang des kommunistischen Imperiums verblieb.

Die von Zar Alexander I. zwischen 1814 und 1842 nach Bessarabien geholten 93 000 Deutschen wurden 1940 ins Deutsche Reich umgesiedelt, wo sie zuerst nach Danzig-Westpreußen und in den Warthegau kamen und gegen Ende des Krieges ebenfalls nach Westen fliehen mußten.

Die sowjetische Zeitrechnung in Bessarabien begann mit einer gezielten Ansiedlung von Russen und der verordneten Russifizierung der einheimischen Rumänen, Ukrainer, Ruthenen, Gagausen, Bulgaren, Polen, Juden usw. Der Ausbau einer "agro-industriellen" Planwirtschaft transferierte das Gebiet zur "Kornkammer der Sowjetunion". In der Hauptstadt Kischinew wurde Russisch als Amtssprache eingeführt. Die Stationierung der 14. Armee in Tiraspol flankierte die Sowjetisierungspolitik auch militärisch.

Im ersten Perestrojka-Jahr 1985 bildete sich dann die "Volksfront Moldawiens" mit dem KP-Landwirtschaftssekretär Mircea Snegur an der Spitze. Dessen Aufstieg auf der Karriereleiter verlief im Gleichschritt mit der nationalen Emanzipation.

Im August 1989 wurde das Rumänische wieder Amtssprache, im März 1990 gewann die Volksfront die ersten freien Parlamentswahlen, und im August 1991 erfolgte die Unabhängigkeitserklärung. Noch am Tag der Proklamation erkannte Rumänien "den zweiten unabhängigen rumänischen Staat" an. Snegur war auf seinem Zenit angelangt, als er im Dezember 1991 zum Präsidenten gewählt wurde. Die Wiedervereinigung mit Rumänien erschien nun keineswegs unrealistisch.

Doch ein Teil der Minderheiten Bessarabiens widersetzte sich diesem Annäherungskurs. Die im Süden des Landes lebenden, teilweise russifizierten Gagausen riefen bereits im August 1990 ihre eigene Republik "Gagauz-Yeri" aus. Vier Jahre später garantierte die Regierung in Chisi-nau eine Territorialautonomie.

Der Handel zahlte sich aus: Im Siedlungsgebiet des orthodoxen bzw. protestantisch-baptistischen Turkvolkes entstand die "blühende Landschaft" eines orientalischen Basarkapitalismus. Stefan Troebst stellt in der Zeitschrift "Osteuropa" (6/99) fest: "Die Gagausen haben gleichsam im Windschatten des moldauisch-transnistrischen Konflikts ihre Forderungen durchsetzen können." Damit ruft er den heftigen Widerstand der slawischen Bevölkerung Transnistriens gegen die von Chisinau betriebene Unabhängigkeits- und Rumänisierungspolitik in Erinnerung.

Freischärler besetzten die Regierungsgebäude in Tiraspol und riefen nach altem Muster die "Transnistrische Sowjet-Republik" ins Leben. "Maximo líder" der Ewiggestrigen wurde eben jener KP-Sekretär Smirnow, der vor zwei Wochen dem US-Botschafter eine Abfuhr erteilte.

Der moldawisch-transnistrische Konflikt eskalierte im Dezember 1991, als die Sezessionisten unter der Obhut der 14. Sowjet-Armee ein "Unabhängigkeits-Referendum" organisierten. Zwischen März und Juli des folgenden Jahres ereigneten sich blutige Zusammenstöße mit den staatlichen Sicherheitskräften.

Erst als General Lebed seine 14. Armee als "friedenserhaltende Truppe" in den jugoslawisierten Konflikt eingreifen ließ, begaben sich die Vertreter der OSZE, der Ukraine, Moldawiens, Rußlands und Transnistriens an den Verhandlungstisch.

Der anschließende Friede war einer nach dem Geschmack Moskaus und Tiraspols: Die im Juli 1992 gebildete "Friedenstruppe" für Transnistrien setzt sich aus 400 Russen, gut 700 moldawischen und knapp 1000 transnistrischen Soldaten zusammen und kontrolliert seitdem eine Sicherheitszone entlang des Dnjestrs.

Doch mit dem Frieden kam auch der harte Dollar, der die roten Hardliner weich machte. Die Kasernen privatisierten sich zu lukrativen "Second-Hand"-Arsenalen. Fast jede Befreiungsbewegung im Kaukasus bezog Waffen aus dieser Sonderwirtschaftszone.

Das Fazit der Kämpfe war jedoch, daß der Annäherungsprozeß der Republik Moldawien an Rumänien deutlich gebremst wurde. Snegur verließ die Volksfront und gründete mit den Ex-KP-Funktionären Sangheli und Lucinschi die "Demokratische Agrarier-Partei", die die Wahlen vom März 1994 mit 40 Prozent der Stimmen für sich entschied. Es folgten eine Koalition mit den russischsprachigen Sozialisten (23 Prozent) und ein Referendum, in dem sich 90 Prozent der Wahlberechtigten gegen eine Wiedervereinigung mit Rumänien und für eine Integration in der GUS aussprachen. Auch in Rumänien unterstützen Umfragen zufolge kaum mehr als zehn Prozent der Bevölkerung einen Zusammenschluß mit dem "kleinen Bruder".

Seit Anfang 1997 besetzt in Moldawien der tendenziell pro-russische Petru Lucinschi das Präsidentenamt. Dennoch sind die rumänisch-rumänischen Beziehungen wenigstens wieder in Bewegung geraten. So vereinbarte Lucinschi 1997 mit seinem Bukarester Amtskollegen Constantinescu – einem gebürtigen Bessarabier – die Gründung einer grenzüberschreitenden Euroregion.

Die Ukraine drängt mit Unterstützung der USA auf einen Abzug der in Transnistrien verbliebenen 6000 russischen Soldaten. Man pocht darauf, daß Moskau sein im Oktober 1994 gegebenes Versprechen überhaupt einlöst. Damals hatte der Kreml der Regierung in Chisinau den Abzug binnen dreier Jahre zugesagt, jedoch ist der entsprechende Vertrag nie von der Duma ratifiziert worden.

Das russische Kalkül läuft offenbar darauf hinaus, mit der moldawischen Regierung eine dauerhafte Duldung der Militärpräsenz auszuhandeln. Im Gegenzug könnte man die herrschende Nomenklatura in der "Dnjestr-Republik" zügeln und auf eine Autonomielösung innerhalb der Republik Moldova verpflichten.

Die außen- wie die innenpolitische Lage stellt die Regierung in Chisinau vor knifflige Fragen. Von den in diesem Jahr anstehenden Präsidentenwahlen dürfte zwar kein klares Signal für eine Abkehr von der eher pro-russischen Haltung zugunsten der Interessen Rumäniens, der Ukraine, der EU und der USA zu erwarten sein. Doch spätestens im Fall einer EU-Osterweiterung um Rumänien wird sich Bessarabien gen Westen orientieren.

Vor allem winken der wirtschaftsschwachen Republik via Bukarest Hilfen aus Brüssel. Denn dieses will an den künftigen EU-Außengrenzen weder soziale Pulverfässer wie das Königsberger Gebiet haben noch Drogen- und Waffenumschlagsplätze wie Moldawien mit Transnistrien.