19.04.2024

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05.02.00 Der Aufstand der Kulturen

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 05. Februar 2000


Der Aufstand der Kulturen
Ein Manifest der französischen "Neuen Rechten" sorgt bei Freund und Feind für Unruhe / Von Hans B. v. Sothen

Die alte Rechte ist tot. Sie hat es wohl verdient." Mit dieser Kampfansage hatte Alain de Benoist sein letztes, 1986 in deutscher Sprache erschienenes Buch "Kulturrevolution von rechts" eingeleitet. Sein Werk übte über Jahre hinweg einen großen Einfluß auf die junge intellektuelle Rechte in Deutschland aus. Besonders das Kapitel "Die kulturelle Macht" war für viele faszinierend. Da sprach zum ersten Mal jemand nicht in eingefahrenen Begriffen. Die Kultur, der "vorpolitische Raum", so hieß es, müsse erst erobert werden, die Atmosphäre in einer Gesellschaft verändert, bevor sich auch politisch Grundlegendes bewegen könne. Hier schien plötzlich eine brauchbare Erklärung für die politische Erfolglosigkeit der Konservativen in Deutschland gefunden zu sein – und eine Möglichkeit, wie dem abzuhelfen sei. Pate für diesen ganz neuen Gedanken stand ausgerechnet der italienische Kommunist Antonio Gramsci.

Das Buch schien in Deutschland auf fruchtbaren Boden zu fallen. In jenen Jahren entdeckten moderne Künstler wie Jörg Immendorff oder Dramatiker wie Jürgen Syberberg das nationale Thema. Überall wurde von der jüngeren Generation ein neuer Zugang zum Thema deutsche Identität gesucht.

Seitdem sind fünfzehn Jahre ins Land gegangen. Geändert hat sich nicht viel. Im Gegenteil. Im Jahre 1989/90, dem Jahr der deutschen Euphorie, wähnten sich die Konservativen und Rechten in Deutschland bereits vor dem Durchbruch zu einer neuen unverkrampften Form des Patriotismus. Die moralische Niederlage der Linken, die immer behauptet hatte, die Auflösung der DDR und die Thematisierung der nationalen Frage sei gleichbedeutend mit einem Atomkrieg, schien in den Monaten der Wende zunächst vollkommen zu sein.

Doch die Monate des Aufbruchs bis Mitte 1990 läuteten bereits das Ende eines kurzen nationalen Frühlings in Deutschland ein. Die Aufbruchsstimmung und der Elan der Jahre 1985 bis 1990 sind verflogen. Parteien, rechte, konservative, nationalliberale, wurden gegründet und fielen zurück in die Bedeutungslosigkeit. Geblieben ist aus jener Zeit kaum etwas. Die Konservativen in Deutschland haben seitdem nicht einmal Ansätze gemacht, den vorpolitischen Raum zu erobern. Bestimmend für historische oder sozialwissenschaftliche Diskussionen war statt dessen das linksradikale Reemtsma-Institut, das bis in die Mitte der Gesellschaft hinein wirkte. Thesen, etwa über die Wehrmacht, die vorher bestenfalls im linken Narrensaum diskutiert worden waren, wurden in den 90er Jahren salonfähig. Gab es Institute von rechter oder konservativer Seite, die dem wissenschaftlich oder intellektuell hätten Paroli bieten und in die Öffentlichkeit wirken können? Hat man sich um Einrichtungen im vorpolitischen, kulturellen Raum gesorgt, die die Diskussionen in diesem Lande zu beeinflussen imstande gewesen wären? Nicht im geringsten!

Alain de Benoist hatte 1986 einen vieldiskutierten Weg aufgezeigt. Gefolgt ist ihm hierzulande fast niemand. Das rächt sich bis heute. Der politische Konservatismus steht in Deutschland trotz aller politischen Affären weiter im Abseits denn je. Und man wird leider mit Alain de Benoist sagen müssen: Er hat es verdient.

Zu den wenigen Ausnahmen, die aus dem Aufbruch der 80er Jahre geblieben sind, gehört die 1986 gegründete Berliner Wochenzeitung "Junge Freiheit", in deren Verlag nun das neue Buch von Alain de Benoist ("Aufstand der Kulturen – Europäisches Manifest für das 21. Jahrhundert", 240 Seiten, kart., 34 Mark, ISBN 3-929886-04-9) erschienen ist.

Dieses neue Buch unterscheidet sich in Ton und Inhalt von der "Kulturrevolution von rechts". Die Frage des Verhältnisses von Kultur und Politik wird überlagert von "den Kulturen" – der Titel ist eine Anspielung auf Samuel Huntingtons "Kampf der Kulturen". Die Verschiedenheit dieser Kulturen ist aber laut Benoist nicht eine Gefahr für die globale Zivilisation, sondern eine Bereicherung.

Benoist bringt etwas zustande, was im deutschen Kulturraum sonst rar ist: tiefgreifende wirtschafts- und gesellschaftspolitische Analysen vom rechten Standpunkt. Wo gibt es sonst fundierte Untersuchungen, die gleichzeitig auf dem Stand der internationalen Forschung sind?

Sein "Manifest" behandelt alle Fragen, um die sich Konservative und Rechte in Deutschland sonst gern herumdrücken. Das gilt nicht nur für ein ganz neues Verständnis von kollektiver Identität, der Frauenfrage oder der Einbindung der kommunitaristischen Denkschule in der Frage der kollektiven Identität. Benoists klarer und eleganter Stil unterscheidet sich auch hier von der Schwiemeligkeit, in der Themen wie etwa die Ökologie mancherorts abgehandelt werden.

Schon kurz nach Erscheinen hat der Band für erheblichen Wirbel gesorgt. Schon jetzt ist laut Verlag ein großer Teil der Erstauflage verkauft, das heißt, das Buch wird gerade in der jüngeren Generation Grundlage der Diskussion werden.

Aber auch die Linke blickt mit einer Mischung aus Verunsicherung und Beunruhigung auf den neuen Benoist. Insbesondere dessen Sichtweise der sozialen Frage "erschüttern zugleich die beliebte linke These von der ,sozialen Demagogie‘ der Rechten" und mache ein Überdenken der alten "Faschismustheorien" notwendig, so die "Antifaschistischen Nachrichten".

Benoist beginnt sein Manifest mit einer Lagebeschreibung der Moderne. Diese Moderne, auf der unser gesamtes gegenwärtiges Denksystem beruht, sei, so Benoist, in eine Krise geraten: "Die Moderne hat ,Rechte‘ verkündet, ohne aber Mittel zu deren Ausübung zu geben. Sie hat alle Bedürfnisse gesteigert und schafft ständig neue, behält aber deren Zutritt nur einer kleinen Minderheit vor, was den Frust und den Zorn aller anderen nährt. Die Ideologie des Fortschritts wiederum, die den Erwartungen der Menschen genügt hatte, indem sie die Aussicht auf eine immer bessere Welt pflegte, kennt heute eine tiefgreifende Krise: Die sich als unvorhersehbar erweisende Zukunft ist nicht mehr Hoffnungsträger, sondern macht den meisten Angst. Jede Generation begegnet nunmehr einer Welt, die sich von der ihrer Väter unterscheidet: Diese ständige Neuheit, die auf der Nichtigkeitserklärung der Abstammung und der früheren Erfahrungen beruht und mit einer immer schnelleren Veränderung der Lebensweisen und der -räume einhergeht, erzeugt kein Glück, sondern Angst."

Die notwendige Überwindung der Moderne, so Benoist, werde aber nicht über rückwärtsgewandte oder traditionalistische Kritik erfolgen, sondern in "Rückgriff auf bestimmte vormoderne Werte in einer bewußt postmodernen Blickrichtung".

Der westliche Liberalismus ist zehn Jahre nach dem Ende der sozialistischen Ära der einzige Repräsentant der Moderne. Dabei glichen sich linkes und liberales Lager immer mehr an. Das rechtsliberale Lager akzeptiere den wirtschaftlichen Liberalismus und lehne den politischen Liberalismus ab. Das linke Lager, heute in Deutschland etwa durch die Grünen vertreten, vertrete den politischen Liberalismus und äußere sich kritisch über den Wirtschaftsliberalismus. Der Liberalismus stellt aber in seinen beiden Formen den Hauptgegner dar, den es zu bekämpfen gelte.

Wie sehr aber die liberale Spielform der Demokratie sich selbst absolut setzt und alle anderen Formen der Demokratie als undemokratisch verwirft, hat Benoist bereits in seinen früheren Büchern belegt. Der Liberalismus tendiert speziell in seiner "global-village"-Variante dazu, verschiedene Kulturen zu vereinheitlichen. Dem hält Benoist in seinem Manifest entgegen: "Unterschiedliche Kulturen haben unterschiedliche Antworten auf die wesentlichen Fragen. Deshalb läuft jeder Versuch, sie zu vereinheitlichen, auf ihre Zerstörung hinaus." Dies sei letztlich eine totalitäre Vorstellung. Das Recht auf Verschiedenheit ist daher einer der Grundsätze der französischen "Nouvelle Droite".

Europa müsse daher nach einer neuen Konzeption aufgebaut werden. Um seine "Unabhängigkeit gegenüber den USA und den neuen zutage tretenden Zivilisationen" zu wahren, sei Europa dazu berufen, sich auf bundesstaatlicher Grundlage aufzubauen, die Eigenständigkeit aller seiner Bestandteile anzuerkennen und die Zusammenarbeit der es zusammensetzenden Regionen und Nationen zu gestalten. Konform gehen sicher auch die meisten Konservativen in Deutschland mit Benoists Kritik des gleichmacherischen jakobinischen Nationalstaatsprinzips linker wie rechter Jakobiner, das heißt der Gleichsetzung von Nation, Volk, Staat und die Ausgrenzung aller kultureller und historischer Besonderheiten.

Die liberale Vorrangstellung der Wirtschaft führe, so Benoist, letztlich zu einer unpolitischen Haltung, ja zur Entmündigung des Bürgers. Erstmals der Liberalismus habe die Wirtschaft zum Maß aller Dinge gemacht. In allen bisherigen Gesellschaften habe sie lediglich den Unterbau gebildet. Heute sei allein sie, nicht der Mensch, Maß aller politischer Entscheidungen.

Die Selbstverwirklichung, die Suche nach dem Glück oder – wie es in der amerikanischen Verfassung steht – der "pursuit of happiness" (das Recht auf die Verfolgung des eigenen Glücks) sind Ausläufer einer Ideologie, die, im Gegensatz zur Rechtsphilosophie Hegels, sich stets nur auf Rechte beruft, allgemeine Pflichten jedoch nicht als verbindlich anerkennt. Der Mensch, so will es die liberale Weltsicht, habe Rechte bereits im Natur-, Pflichten dagegen erst im Gesellschaftszustand.

Gemeinschaft ist daher einer der wesentlichsten Begriffe dieser französischen Neuen Rechten. Freilich gebraucht er ihn nicht in der strengen Gegensätzlichkeit zum Begriff "Gesellschaft" wie Ferdinand Tönnies. Eine menschliche Gemeinschaft funktioniere eben nicht so wie ein Gesellschaftsvertrag, den man wie alle möglichen Vertäge auch einmal lösen könne, wenn einem der ganze Kram nicht mehr passe.

Eine Gesellschaft, in der man nicht umhin kann, festzustellen, daß sich die sozialen Bindungen auflösen, brauche, so Benoist, eben einen Zusammenhalt, eine kollektive Identität. Diese kollektiven Identitäten würden vom Liberalismus zerstört. Kollektive Identität setzt sich beispielsweise zusammen aus Sprache, Kultur, Sitten, den geteilten Bräuchen und Werten. Aus liberaler Sicht ist das Herauslösen des Menschen aus seinem sozialen und historischen Zusammenhang die Grundlage seiner Freiheit. Benoist hält das Gegenteil für richtig. Die Wiederherstellung dieser Identitäten scheine vielmehr Voraussetzung der Freiheit.

Benoists Buch wird in den nächsten Jahren Grundlage der Diskussion unter jungen Rechten und Konservativen sein. Hoffentlich lernen sie mehr von Benoist als vor fünfzehn Jahren.

 

Alain de Benoist

Alain de Benoist, geboren 1943 in Saint-Symphorien (Indre-et-Loire), lebt als Journalist in Paris und gilt als der Begründer und führende Theoretiker der französischen Neuen Rechten (Nouvelle Droite). Benoist studierte Jura, Philosophie und Theologie. Zwischenzeitlich Kolumnist in der Zeitschrift "Figaro Magazine", ist er heute als Chefredakteur der Zeitschriften "Nouvelle École" und "Krisis" tätig. Benoist ist Autor von über vierzig Büchern, die in zehn Sprachen erschienen sind. Für seine Anthologie "Vu de droite" (Von rechts gesehen) erhielt er 1978 den angesehenen "Prix Goncourt" der Académie française.