25.04.2024

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12.02.00 Die geschminkte Braut

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. Februar 2000


Die geschminkte Braut
Von HERBERT HOFFMANN

Habt ihr es schon gehört? Der Fischers Fritz heiratet." – "Was, der heiratet, na wen denn?" – "Wen schon, die Neumanns Gertrud aus Uderballen." –"Deshalb sieht man den Fritz in letzter Zeit so oft dorthin fahren."

Die Nachricht von der bevorstehenden Hochzeit ging wie ein Lauffeuer durch das Dorf, und nach kurzer Zeit wußten es alle: Fritz Fischer und Gertrud Neumann werden sich noch in diesem Jahr in der Goldbacher Kirche das Jawort geben. Und bald darauf liefen die Vorbereitungen für die Hochzeit des Jahres an. Eine große Hochzeitsfeier sollte es schon werden, denn Fischers Fritz war im Dorf ja nicht irgendwer, sondern der Sohn wohlhabender Eltern. Das sollten die Leute auch sehen. Der große Saal im Gasthaus Wadehn wurde für die Feier reserviert, bei Ratschreiber Saat das Aufgebot bestellt und mit Pfarrer Seemann über die Trauung in der Kirche gesprochen. Alles mußte seine gute Ordnung haben.

Und dann die Gäste. Aus nah und fern wurden sie eingeladen. Vater Fischer wollte sich die Hochzeit seines einzigen Sohnes schon etwas kosten lassen. Alles was Rang und Namen hatte, sollte kommen. Da durften auch Gutsverwalter Hoffmann aus Groß Kuglack, der Lehrer und Kantor Schweinberger, Major Gruber und Familie Hoth aus Garbeninken nicht fehlen. Sie alle sollten das glückliche Paar bewundern und mitfeiern.

Der Hochzeitstermin rückte immer näher. Und noch ehe die ersten Herbststürme über das Land fegten und sich der ostpreußische Sommer verabschiedete, war es dann soweit.

Auch Hildchen Neumann aus Königsberg, die Schwester der Braut, hatte natürlich die Einladung zur Hochzeit dankend angenommen. Sie hatte sich eine ganz besondere Aufgabe gestellt. Ihre Schwester sollte die schönste Braut werden, die die Goldbacher je gesehen hätten. Als Brautjungfer wollte sie schon dafür sorgen.

So kam es dann auch. Schon am frühen Morgen des Hochzeitstages wurde das Brautkleid noch einmal gebügelt, der Myrtenkranz gesteckt und der Brautstrauß gebunden. Als dann wenige Stunden später die Braut den Einspänner bestieg, der sie von Uderballen zur Kirche nach Goldbach bringen sollte, war Hildchen Neumann mit ihrer Arbeit zufrieden. Ihre Schwester war eine bildhübsche Braut.

Aber etwas fehlte noch, das I-Tüpfelchen. Die Lippen der Braut sollten noch geschminkt werden. So sehr sich Gertrud auch wehrte, weil das doch auf dem Land nicht Sitte wäre und die Leute darüber vielleicht lachen würden, nein, Brautjungfer Hildchen ließ nicht locker, und schließlich strahlten die Lippen der Braut in hellstem Rot, als die Kutsche wenig später in Richtung Goldbach um die Ecke bog. Der Hochzeitszug vor Fischers Haus hatte sich bereits aufgestellt. Alle warteten auf die Braut, und kurz darauf entstieg sie dem Kutschwagen und schwebte förmlich auf ihren Bräutigam zu.

Fritz Fischer stand wie versteinert da, als er seine Braut sah. Das war nicht seine Gertrud! Das war eine andere, eine rot angemalte Puppe. Als er seinen ersten Schreck überwunden hatte und ihm erklärt wurde, daß man sich heute in der Stadt so schminkt und daß das ganz selbstverständlich sei, war er der unglücklichste Mensch der Welt. Er sah nicht die jubelnde Menge am Straßenrand, hörte nicht die Hochrufe der begeisterten Menge und auch nicht die Kapelle, die zu Ehren des Brautpaares vor der Kirche angetreten waren und "So nimm denn meine Hände …" spielte.

Fritz war wohl anwesend, aber seine Gedanken waren weit weg bei einer anderen Gertrud Neumann, die mit seiner Braut nichts gemein hatte. Und er sagte in der Kirche auch erst "ja", als ihn Pfarrer Seemann bereits zum zweiten Mal fragte: "Willst du die hier anwesende Gertrud Neumann heiraten und ihr treu sein, bis daß der Tod euch scheidet?"

"Nun danket alle Gott …", mit diesem Choral, den die Kapelle des Kriegervereins nach der Trauung vor der Kirche spielte, wurde der Bräutigam aus seinen Gedanken gerissen. "Alles Gute, eine glückliche Ehe, viele Kinder" – alle die gutgemeinten Wünsche nahm das jungvermählte Paar dankend entgegen, aber auf Fritzens Gesicht wollte sich kein Lächeln einfinden.

Von der Kirche bis zum Gasthaus Wadehn war es nur ein kurzer Weg, und bald saß die festliche Gesellschaft an der reich gedeckten Hochzeitstafel. Nur Fritz war nicht erschienen. Er war wie vom Erdboden verschwunden. Keiner konnte ihn finden.

"Na wo ist er bloß?" fragte Gertrud, und die ersten Tränen rannen über ihr Gesicht. Aber dann kam ihr ein Gedanke. Sie wußte plötzlich, wo ihr Fritz sein könnte. Wortlos stand sie auf und verließ den Saal.

Unten, am Goldbacher Dorfgraben, auf der kleinen Bank, auf der sei beide in hellen Nächten Zukunftspläne geschmiedet hatten, fand sie ihn. Sie setzte sich zu ihrem Bräutigam, wischte sich mit der Hand die rote Farbe von ihren Lippen und küßte ihren Liebsten so lange, bis er weinend und lachend in ihren Armen lag.

Wenig später betrat ein lachendes Paar den Saal, beide zwar in ihren Gesichtern mit Lippenstift beschmiert, aber doch überglücklich.

Es wurde bis zum frühen Morgen gefeiert, ausgelassen und übermütig gelacht, getanzt und gesungen, so wie es auf ostpreußischen Hochzeiten üblich war. Und wenn viele Jahre später, als Fischers bereits eine große Familie geworden waren, der Fritz zu seiner Frau sagte: "Gertrud, weißt du noch, damals", dann nahm sie ihn so in die Arme und küßte ihn wie einst auf der kleinen Bank am Goldbacher Dorfgraben.