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26.02.00 500. Geburtstag des habsburgischen Herrschers

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. Februar 2000


Karl V.: "In Deutschland war ich neunmal"

500. Geburtstag des habsburgischen Herrschers
Von OLIVER GELDSZUS

Mit Kaiser Karl V. wird in diesen Tagen einer deutschen Herrschergestalt gedacht, die nie ganz in den Sog des allgemeinen Vergessens geraten war und vor allem Kunst und Literatur immer wieder als Thema inspiriert hatte. Nicht zufällig ist er auch hinter der Figur des jungen Kaisers im zweiten Teil von Goethes Faust zu erkennen.

Geboren wurde der Habsburger am 24. Februar 1500 als Sohn des deutschen Kronprinzen Philipp und der spanischen Prinzessin Johanna. Diese elterliche Verbindung war ein diplomatisches Meisterstück seines Großvaters, des Wiener Kaisers Maximilian I., mit dem die für das Haus Habsburg so wichtige spanische Linie eröffnet wurde. Karls Vater verstarb früh und gelangte nie auf den Thron; diesen Platz nahm erst wieder der Enkel Maximilians ein. Mit 16 Jahren zum König von Spanien gekrönt und drei Jahre später zum deutschen Kaiser, häufte Karl Macht und Befugnisse an, wie keiner seiner Vorgänger seit Karl dem Großen 700 Jahre zuvor.

Er war nicht nur Kaiser des "Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" und König von Aragon und Kastilien; ihm unterstanden darüber hinaus beispielsweise auch die Herzogtümer Brabant und Burgund. Er war der letzte große Universalmonarch in der abendländischen Geschichte. In seinem Herrschaftsgebiet, in dem – wie stolz verkündet wurde – die "Sonne nie unterging" schien für kurze Zeit noch einmal die mittelalterliche Idee vom allumfassenden, christlichen Reich auf Erden auf. "Plus ultra" (Noch weiter!) war nicht zufällig das Motto Karls V. Er strebte über die alte europäische Begrenzung der "Säulen des Herkules", wie der antike Ausdruck für Gibraltar geheißen hatte, hinaus. In seinem Namen wurden Mexiko und Peru durch spanische Konquistadoren erobert. Mit ihm erst beginnt die Transformation der Entdeckung des Kolumbus ins Realpolitische.

So verwundert es kaum, daß er als historische Figur im Jahr 2000 allgegenwärtig sein wird. Den Reigen der Gedenkveranstaltungen eröffnete seine Heimatstadt Gent zu seinem 500. Geburtstag mit der Ausstellung "Carolus V." in der St. Peters-Abtei. Weitere Vorträge, Ausstellungen und Colloquien folgen vor allem in den Niederlanden und in Spanien. Im Juni dann wird Österreich sich dem berühmten Habsburger mit gesonderten Veranstaltungen in der Wiener Hofburg widmen.

Die Ausstellungseröffnung im flämischen Gent noch im Januar war der zunächst letzte gemeinsame Akt Belgiens und Österreichs. Anschließend kühlten die Beziehungen zwischen den beiden EU-Partnern bekanntlich merklich ab, nachdem sich die belgische Regierung zum eifrigen Wortführer der Sanktionen gegen Wien aufgeschwungen hatte. Dabei trieben Außenminister Michel als Chef der wallonischen Liberalen handfeste Gründe in die erste Reihe der vermeintlich gewissensreinen Ankläger, muß er doch fürchten, daß das Beispiel Haider den Vlaams Blok weiter beflügeln wird. Die Flamen feiern Karl V. naturgemäß ungleich stärker als die eher nach Paris ausgerichteten Wallonen. Schließlich wurde er in Flandern geboren, das in seinem Universalreich einst eine bis heute unvergessene Blüte erlebte. Nicht nur in der Bewertung der innenpolitischen Entwicklung in Österreich, sondern auch in der Behandlung Karls V. flammen die ohnehin mühelos wahrnehmbaren Differenzen zwischen Wallonen und Flamen in Belgien derzeit auf.

Wie so häufig bereits in der Vergangenheit wird Karl V. damit einmal mehr in eine tagespolitische Aktualität gedrängt, die nicht immer auf den ersten Blick nachvollziehbar erscheint. Ohne Zweifel zählt er zu den prägnantesten Herrschaftsgestalten auf der europäischen Bühne, aber Glanz und Gloria, Herrschaft und Macht waren nicht nur sein Verdienst. Karl war zunächst der glückliche Erbverwalter seines Großvaters, der ihm mit dem spanischen Königstitel zugleich auch den Griff nach der Neuen Welt jenseits des Atlantiks erst ermöglicht hatte. Darüber hinaus erscheint Karl auf den hinterlassenen Porträts sowie in den Aufzeichnungen der Zeitzeugen nicht selten als versonnener Schwärmer und Träumer; eine in religiöser Betrachtung versunkene Hamlet-Figur gleichsam, der nichts ferner zu liegen schien als die Sicherung der eigenen Macht und die Eroberung des amerikanischen Kontinents.

Diese leicht zur Unterschätzung verleitende Seite seines Wesens verhalf ihm auch nicht unwesentlich auf den Kaiserthron. Nach dem Tod seines Großvaters 1519 mußten die sieben Kurfürsten des Reiches den neuen Kaiser wählen. Zur Auswahl stand neben dem habsburgischen Prinzen auch der französische König Franz I. Seine Truppen hatten 1515 Mailand eingenommen, und Frankreich galt als die kommende Macht in Europa. Mit der deutschen Kaiserwürde wollte Franz das alte karolingische Reich, nunmehr von Paris aus regiert, neu entstehen lassen. Dem Medici-Papst Leo X. paßten beide Optionen nicht recht – er fürchtete für den Kirchenstaat sowohl eine französische Hegemonie wie auch eine habsburgische Umklammerung. Doch sein Wunschkandidat, der spätere Luther-Beschützer Friedrich der Weise aus Sachsen, winkte schon im voraus ab. Schließlich entschieden sich die Kurfürsten für den unbedarft erscheinenden neunzehnjährigen Jüngling und beließen damit nicht nur die Kaiserwürde in den Händen der Habsburger, sondern ermöglichten so auch die kurzzeitige, geopolitisch jedoch hochinteressante Anbindung der iberischen Halbinsel mit ihren transatlantischen Besitzungen an das Reich. Die Landesherren spekulierten, daß Karl mit dieser Landmasse genügend beschäftigt sein und somit ihre Kompetenzen kaum angreifen würde. Auch spielten Bestechungsgelder aus dem Hause Fugger eine erhebliche Rolle bei seiner einstimmigen Wahl zum Kaiser.

Nicht zuletzt seine Jugendlichkeit verlieh ihm Aura und Charisma. War er nicht, erzogen vom späteren Papst Hadrian IV., eine Art Priesterkönig, der nach den Wirrnissen der Renaissance die mittelalterliche Ordnung wiederherstellen würde? Vielerlei Hoffnungen begleiteten seine Thronbesteigung. Ein großer Auflauf aus Adel, Bürgern und Volk eilte ihm entgegen, als er aus dem fernen Spanien zur Kaiserkrönung nach Aachen kam. Auch der Augustinermönch Luther schrieb 1519: "Gott hat uns ein junges, edles Blut zum Haupt gegeben, er hat damit viele Herzen zu großer, guter Hoffnung erweckt."

Diese Sehnsüchte hat Karl V. in den knapp vier Jahrzehnten seiner Herrschaft größtenteils unbefriedigt lassen müssen. Ganz im Gegenteil versank das Reich mehr und mehr in Chaos, Anarchie und Glaubensspaltung. Einerseits war Karl der Realpolitiker, der weitsichtig die wirtschaftliche Bedeutung der amerikanischen Kolonien einzuschätzen wußte, andererseits aber wurde sein rückwärtsgewandtes katholisch-monarchisches Konzept im Zeitalter der Reformation erbarmungslos vom Tapet gefegt.

Während der italienische Reichskanzler Gattinara die Hegemonie des Kaisers vor Kirche und Landesherren forderte und Karl die Weltherr-schaft verhieß, scheiterten derartige Pläne fast unisono am Egoismus der Partikularherrscher und den veränderten religiösen wie soziologischen Realitäten. Karls Probleme im Deutschen Reich lassen sich auf einen Namen bringen: Luther. Renegaten und Ketzer hat es gegeben, seit das Christentum existierte; Luther aber hatte den norddeutschen Adel hinter sich, der sich von Rom emanzipieren wollte, sowie das aufstrebende Bürgertum. Diesem sich ankündigenden Epochenwandel war Karl in keiner Hinsicht gewachsen – hier war er ganz Hamlet, an der unverstandenen Wirklichkeit gnadenlos zugrunde gehend. Auf dem Reichstag zu Worms verhängte der 21jährige über den rebellischen Luther die Reichsacht mit den berühmten Worten: "Denn es ist sicher, daß ein einzelner Bruder in seiner Meinung irrt, wenn diese gegen die der ganzen Christenheit, wie sie seit mehr als tausend Jahren und heute gelehrt wird, steht." Damit hatte er einen Riß durch die Nation provoziert, der bis heute nachwirkt. Historiker streiten nach wie vor darüber, wie die durch die Reformation erfolgte Glaubensspaltung mit ihren negativen Folgen hätte verhindert werden sollen: Entweder den Renegaten integrieren und somit das gesamte Christentum reformieren oder aber Luther und seine Anhänger gnadenlos verfolgen und ausschalten. Karl entschied sich für einen unklar umrissenen Mittelweg – und somit im Grunde gar nicht.

Das von Karl vernachlässigte Kernland seines Reiches ("In Deutschland war ich neunmal") wurde nachhaltig von Glaubensspaltung, verschiedenen religiösen Schwärmerbewegungen, Adelsrevolten und dem Bauernkrieg geschwächt und konnte auch nicht durch den 1555 gewonnenen Religionsfrieden – Karls letztem großen öffentlichen Auftritt – beruhigt werden. Geschickter operierte er zunächst auf diplomatischem Terrain. Durch die Hochzeit 1526 mit Isabella von Portugal band er die damals wichtige Seefahrernation an sich. Doch letztlich scheiterte Karl V. auch außenpolitisch. In fünf Kriegen gegen den Kontrahenten Frankreich rieb sich das kaiserliche Heer im Endeffekt ergebnislos auf, obwohl Karl 1525 ein wichtiger Sieg gelungen war. Auch die europäische Expansion der Türken, die 1529 bereits vor Wien lagerten, konnte er lediglich aufhalten, nicht aber völlig beseitigen.

So war Karl V. letztendlich dreimal gescheitert: innenpolitisch an der Reformation, außenpolitisch an den Franzosen und Türken. Entnervt dankte er schließlich 1556 in Brüssel ab: "Ich habe immer meine Unfähigkeit erkannt; heute aber fühle ich mich ganz nutzlos." Bezeichnenderweise gab er mit sich selbst auch die Idee des Universalreiches auf: Seinem Sohn Philipp übergab er Spanien, aber nicht die Kaiserwürde, die sein Bruder Ferdinand erhielt. Zwei Jahre später starb Karl V. im spanischen Kloster San Yuste, wo der letzte mächtige europäische Kaiser sein Leben inmitten von Gebet und Büchern hatte ausklingen lassen.

Karls Reich war der bedeutendste Machtentwurf zwischen dem Reich der Hohenstaufer und dem Napoleonischen Empire. Aber es war ein Gebilde ohne eigentliches Kernland. Dies hätte Deutschland sein müssen, doch Karl schwankte zwischen der damaligen Grenzmark Österreich, Flandern, Spanien und Süditalien. So beraubte er sich selbst eines effektiv arbeitenden Zentrums. Vergeblich suchte er seine fehlende Präsenz durch Reisen innerhalb seines Herrschaftsbereichs auszugleichen. Doch Karl scheiterte vor allem auch am zwiespältigen Charakter seiner Zeit, zu deren Ausdrucksformen auch die Reformation gehörte. Er selbst trug bereits das Janusgesicht der Epoche in sich. Dies manifestiert sich nicht zuletzt in den beiden Tizian-Porträts des Kaisers nachhaltig. Das Gemälde im Prado in Madrid zeigt Karl V., wie er in glänzender Rüstung und mit vorgelegter Lanze als Sieger über das Schlachtfeld von Mühlberg reitet: ganz der Weltenherrscher des Mittelalters in klassischer Ritterpose. In der Münchener Pinakothek hingegen hängt Karl als Bürger in der Tracht eines flämischen Kaufmannes seiner Heimatstadt Gent. Der mittelalterliche Kaiser hatte einst noch den letzten Kreuzzug in Nordafrika unternommen, Tunis befreit und in Worms Luthers Botschaft nicht nachvollziehen können. Der Bürger hatte die amerikanischen Kolonien ausbeuten und Gold und Silber nach Europa schaffen lassen sowie die frühe kapitalistische Blüte der Niederlande vorbereitet. Doch Karl war zu sehr noch ein Mann der alten Zeit, als daß er in den Zeiten des Umbruchs mehr hätte sein können als ein Mann des Übergangs.

Hätten Karls Konquistadoren nicht Amerika geplündert, sondern im Anschluß an seinen tunesischen Feldzug Nordafrika erobert, hätte der einst römische afrikanische Raum dem europäisch-christlichen Herrschaftsgebiet auf Dauer angeschlossen werden können. Statt dessen richtete sich der Blick erwartungsvoll auf die verheißenen Goldländer der "Neuen Welt". – Dieser hoffnungsfrohe neuzeitliche Drang in die Ferne wirkt noch heute nach und findet seinen merkantilen Ausdruck nunmehr in dem Fetischbegriff "Globalisierung".