20.04.2024

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04.03.00 Unterhaltung

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 04. März 2000


Unterhaltung

Seitenblicke
Von ANNEMARIE IN DER AU

Natürlich ist so etwas nicht in Herrn Knigges Sinne; aber machen wir uns nichts vor: Es sind die kleinen, daneben gehenden Dinge bei anderen Menschen, die uns am meisten innerlich lachen machen. So, wenn etwa der alten Dame vom Straßengegenüber morgens immer wieder das Springrollo im Balkontürirgendwo steckenbleibt und damit die Tür nicht geöffnet werden kann. Oder wenn der schneidige Herr Nachbarsohn Vaters Wagen auf dem Garagenhof gegen die wieder zugeschlagene Garagentür donnert. (Er wird mögliche Blessuren später seiner Mutter ins Handtäschchen zaubern.) Oder wenn dem fleißigen Haushälter gegenüber das auszuschlackernde Staubtuch zum x-ten Mal auf die Straße segelt. Und man weiß, daß die Nachbarn auch lächeln, wenn sie bei einem selber Ähnliches entdecken.

Aber manchmal regt man sich auch über scheinbare Ungerechtigkeiten auf; auch wenn sie einen überhaupt nichts angehen.

Ich bin gewiß kein Fenstergucker. Doch die lautstarke Baustelle zwischen Flachdach und einem älteren Zimmeranbau, zu sehen über den Hof hinweg, nahm ich doch ins Visier. Weil ich mir davon eine kostenlose Lehrstunde versprach. War sie auch. Aber ganz anders, als vermutet. Am Anfang stand die Entdeckung meiner Unwissenheit, auf wie viele Arten man kleine Betonplatten vom zu entsorgenden niederen Flachdach in die Tiefe befördern kann: Einer der Arbeiter läßt sie – beidhändig entlassen – in den wartenden Container fallen und schaut ihnen genußvoll nach.

Ein anderer bringt sie einhändig an, schwingt sie seiner Sache sehr sicher ohne Hinschauen ins Abseits. Und wie lange ich auch auf Fehlwürfe lauere, ich hoffe vergebens.

Stelle ich mich eben auf den dritten ein. Denn ich weiß vom Augenschein her, daß da drei Gestalten tätig sind. Tätig sein sollen. Dieser dritte Mann muß der Jüngste sein.

Oh, höfliche Jugend! Zweimal läßt er den älteren Kollegen den Vortritt, ehe er selber schlurfend in Aktion tritt. Er vergißt auch nicht, eine Weile über seine gute Tat nachzusinnen. Und irgendwann zwischendurch kommt noch ein Brandopfer dazu. Und so eine Zigarette will gepflegt werden. Das dauert seine Zeit. Die nimmt er sich großzügig.

Also, wenn ich einer der anderen Männer wäre, ich hätte diesem Burschen schon längst meine Meinung gesagt und Beine gemacht … Geht aber nicht. Er ist der Meister und Chef und im Städtchen seiner Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit wegen bestens bekannt.

Irgendwas muß ich da falsch gesehen haben. Ja, ja: Vorsicht bei den Seitenblicken.

 

 

 

 

 

 

Kostümierung ist Pflicht
Von WERNER HASSLER

Rita und Erik fanden die Idee des Karnevalvereins großartig. Endlich versuchte der Verein, Abwechslung in die sonst einfallslosen Faschingsbälle zu bringen, wo sonst die Maskerade höchstens mal aus einem bunten Hemd oder einer Pappnase bestand. Der Verein rief zum Maskenball von Anno dazumal auf. Vollständige Kostümierung sei Pflicht, und dem Einfallsreichtum seien keine Grenzen gesetzt.

Als Robin Hood verkleidet wollte Erik auf diesem Maskenball auftreten, während Rita – ja, das sollte eine groß Überraschung für ihren Mann werden. Klammheimlich hatte sie sich ein Katzenkostüm mit einer süßen Katzenmaske besorgt. Rita fand ein sicheres Versteck dafür, denn schließlich wollte sie ihren Mann damit überraschen. Dann tüftelte sie an einem Plan.

Am Abend des Maskenballs erschien Erik als Robin Hood verkleidet in der Küche. Er war doch ziemlich erstaunt, seine Frau noch in "Normalkleidung" vorzufinden. Sie heuchelte etwas von Unwohlsein und bat ihren Erik, doch allein zur Veranstaltung zu gehen.

"Ausgeschlossen!" entrüstete sich Erik. "Ich laß dich doch nicht allein, wenn es dir nicht gut geht." Es kostete Rita einige Überredungskünste, bis sie ihren Mann dazu gebracht hatte, doch den Maskenball zu besuchen. Denn wie sollte sie ihn sonst überraschen?

Kaum hatte Erik die Wohnung verlassen, schlüpfte Rita in ihr Katzenkostüm und machte sich zurecht. Sie war sich sicher, niemand würde sie erkennen. Dann stürzte sie sich hinein ins bunte Faschingstreiben.

Ihren Robin Hood erkannte Rita sofort. Leise Eifersucht stieg gar in ihr hoch, als sie sah, wie Erik eine Frau nach der anderen über den Tanzboden wirbelte. Also tanzte sie sich zu ihm durch, klatschte ihn ab und bald schwoften sie zu flotten Weisen durch den Saal. Sie redete ganz wenig und das noch mit verstellter Stimme. Auch Eriks Stimme – wen wundert es – daran war die eng anliegende grüne Stoffmaske schuld, klang etwas weicher. Rita war auf ihre Kostümierung stolz. Nicht einmal ihr Mann hatte sie erkannt. Nach dem dritten Tanz gönnten sie sich eine kleine Pause. Nach einer zärtlichen Umarmung meinte Robin Hood, sie könnten ja nach der Demaskierung eine lustige Nacht hier verbringen. Er sei auch noch Junggeselle, betonte er.

Schuft, grollte Rita innerlich. Na warte, dir werde ich den Junggesellen gehörig austreiben. Und schon kassierte ihr Robin Hood eine Ohrfeige. Blitzschnell verschwand Rita von der Tanzfläche, verließ den Saal und fuhr nach Hause zurück. Sie legte sich zu Bett, versuchte wach zu bleiben, um ihren "Junggesellen" gebührend empfangen zu können. Irgendwann schief sie aber doch ein.

Ein Rascheln ließ Rita aufwachen. Erik hatte sich gerade ins Bett gelegt.

"Fühlst du dich besser?" fragte er besorgt.

Doch Rita antwortete gar nicht auf seine Frage, sondern wollte wissen, ob ihm der Maskenball gefallen habe.

"Weiß nicht", erwiderte er, "es …"

"Ach, komm, tu nicht so, du, du Junggeselle!"

"Junggeselle? Also, ich versteh dich nicht ganz … Hast du schlecht geträumt? Und wegen des Maskenballs muß ich dir noch etwas sagen. Als ich vom Parkplatz zum Saal ging, traf ich Horst. Es war stellenweise noch ziemlich glatt, Horst rutschte aus und landete in voller Länge in einer Pfütze. In den nassen und dreckigen Klamotten konnte er nicht zum Maskenball. Da kam mir eine Idee. Ohne dich hätte mir der Ball eh keine Freude bereitet. Also bot ich Horst mein Robin-Hood-Kostüm an. Eine andere Jacke und Hose für die Zeit nach der Demaskierung hatte ich ja noch im Wagen."

Rita richtete sich auf und starrte ihren Mann ungläubig an. "Du, du", stotterte sie, "dann warst du also gar nicht auf dem Maskenball?"

"Nein", lachte Erik, "aber du darfst mir nicht böse sein. Nachdem ich mich umgezogen hatte, ging ich um die Ecke zum ,Goldenen Stern’. Dort traf ich einige Kumpels. Du meine Güte, bis vorhin haben wir einen zünftigen Skat gedroschen!"

 

 

 

 

 

 

Maskenball eines Babysitters
Von WILLI WEGNER

Als es gestern abend klingelte und ich die Tür öffnete, bin ich doch sehr erstaunt, daß da vor mir ein Cowboy und eine Bajadere stehen und mich freundlich anlächeln. Noch nie im Leben habe ich etwas mit Cowboys zu tun gehabt. Auch nicht mit indischen Tänzerinnen. Mit denen schon gar nicht.

"Sie wünschen?" frage ich.

"Es handelt sich um Erni, unseren Kleinen", sagt die Bajadere. Da erst sehe ich, daß die beiden einen etwa siebzig Zentimeter großen Knaben im Pyjama an der Hand halten.

"Wir wollten Sie bitten, auf den Jungen aufzupassen, bis wir zurück sind", sagt die indische Tänzerin. "Wir werden sehr früh in der Nacht heimkommen – und Sie bleiben ja sowieso zu Hause, nicht wahr?"

"Wäre es nicht möglich", frage ich, "daß Sie sich in der Angelegenheit an Ihre Gesandtschaft wenden? Ich möchte die Verantwortung für diesen kleinen Inder nicht gern übernehmen."

"Nun verstellen Sie sich nur nicht länger!" unterbricht mich der Cowboy. "Habe ich Ihnen nicht erst neulich Ihren Elektrokocher repariert? Wir sind doch die Kleinschmitts von nebenan!"

*

Es ist jetzt einige Minuten vor Mitternacht. Hoffentlich kommen die Kleinschmitts bald heim. Erni sitzt mir gegenüber im Klubsessel und versucht mit aller Kraft, nicht einzuschlafen. Als ich ihn um halb zwölf auf die Couch legen wollte, wurde er geradezu hysterisch. "Ich will nicht schon pennen!" schrie er. "Pennen kannste selber!" Und dauern stellte er dumme Fragen.

"Was machen meine Eltern jetzt?" – "Sie tanzen."

"Warum müssen sie deswegen so blöde Sachen anziehen und extra weggehen?" – "Sie besuchen einen Maskenball."

"Wollen wir Fußball spielen?" – "Nein!"

*

Es ist dreiviertel zwei in der Nacht. Erni und ich haben über eine Stunde mit einem Sofakissen Fußball gespielt. Der Rauchverzehrer, die Stehlampe und das Hochzeitsbild meiner Großeltern väterlicherseits sind kaputt. Ich trinke schon den soundsovielten Weinbrand. Ich habe Erni erlaubt, mir immer neu einzuschenken, sobald mein Glas leer ist. Das macht ihm viel Freude, und man soll ja Kindern nach Möglichkeit nichts abschlagen, weil sie sich sonst vom Leben enttäuscht fühlen. An Schlaf ist nicht zu denken.

"Wie heißt das, was meine Mutter ist?" – "Eine Bajadere."

"Was ist das denn?" – "Eine indische Tempeltänzerin. Es gibt zwei Klassen von Bajaderen. Die vornehmen tanzen für Wischnu und Siwa, die weniger vornehmen …"

"Wollen wir Rock’n’Roll tanzen?" – "Nein!!"

Es ist jetzt kurz nach vier. Ich hätte nie gedacht, daß ich noch einmal Rock’n’Roll lernen würde, aber Erni hat es mir beigebracht. Meine Schreibtischlampe, der Telefonhörer und die schöne Standuhr mit dem Westminsterschlag sind kaputt. Ich trinke schon die soundsovielte Flasche Bier. Erni darf mir jeweils die einzelnen Flaschen öffnen. Ich habe es ihm erlaubt. Er ist ein sehr intelligenter Junge. An Schlaf ist nicht zu denken.

"Weshalb ist mein Vater ein Cowboy?" – "Weil Kolumbus Amerika entdeckt hat."

"Warum hat er denn keine Farm und keine Pferde?" – "Weil ihn die Frau, diese Tänzerin, mit der er sich da eingelassen hat, zuviel Geld kostet."

"Wollen wir kegeln?" – "Nein!"

Aber doch … dann kegeln wir! Zwar fühle ich mich hundeelend. Erni hingegen befindet sich in bester Stimmung. Wir sind jetzt sehr beschäftigt. Wir stellen dauernd leere Bierflaschen auf und versuchen sie mit Boskop-Äpfeln umzukegeln. Es geht langsam auf halb sechs. Draußen wird es schon hell. An Schlaf ist nicht zu denken.

"Ist jetzt kein Programm im Fernsehen?" – "Nein!"

"Darf ich das Radio anmachen?" – "Nein!"

"Warum schläfst du denn plötzlich?" – Ich antworte nicht mehr.

*

Als ich aufwache, legt mir die indische Tempeltänzerin gerade ein naßkaltes Tuch auf die Stirn. "Sie sind mir ja ein schöner Babysitter!" sagt sie. "Und wie Ihre Wohnung aussieht! Muß ja hoch hergegangen sein bei Ihnen. Warum haben Sie uns denn nicht gesagt, daß Sie selber das Haus voller Gäste haben würden – dann hätten wir Erni zu Habermanns gebracht! Tut uns nur leid um den armen Jungen, er ist ohnehin ein so verschüchtertes Kind!"

 

 

 

 

 

 

Mein Memelstrom
Von A. K. T. TIELO

Und kehr’ ich heim

nach langen Jahren,

heim unter blauen Himmelsdom,

dann will ich wieder einmal fahren

auf meinem alten Memelstrom.

Stromabwärts fahr’ ich, haffentgegen,

von Wiesenstille grün umglänzt,

wo Mühlen sich versonnen regen

und Kieferforst die Höhen kränzt.

Und weiter! Fort auf Wogenpfaden,

als würd’ ich wieder selig jung,

in Weiten voll mit Sonnengnaden,

ins Halmenmeer der Niederung.

Mit Volldampf frisch

dem Haff entgegen,

von Wiesenstille grün umsäumt,

wo Mühlen sich versonnen regen

und tief am Weg die Wolke träumt.

Da grasen noch schwarzweiße Rinder,

im Kraut geborgen bis zum Bauch,

da baden noch gelbhaarige Kinder,

geküßt vom wilden Wellenhauch.

Da halten Bauernhäuser Wache

am Ufer noch mit grauem Schopf,

noch nisten Störche auf dem Dache,

geschmückt mit Kreuz

und Pferdekopf.

Da sinnen bei den Bienenstöcken

die Alten noch auf frohe Saat,

da blüh’n in feuerfarbnen Röcken

die Mädchen noch im Sonntagsstaat.

Da traben schmauchend ohne Trense

die Burschen noch

durch Rohr und Ried,

doch haffwärts singt schon eine Sense

ihr wundersüßes Sommerlied.