25.04.2024

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11.03.00 Interview: "Politiker sind in den Händen der ,Geldmächte‘"

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 11. März 2000


Interview: "Politiker sind in den Händen der ,Geldmächte‘"
Der französische Luftwaffengeneral Pierre-Marie Gallois über Europa und das Verhältnis von Deutschland und Frankreich

Ostpreußenblatt: Mon Général, was halten Sie von den französischen Reaktionen zur Kohl-Affäre, die zur Zeit Deutschland schüttelt?

Gallois: Ich glaube ganz allgemein, daß Kanzler Kohl nach und nach die Statur eines großen Staatsmannes angenommen hat. So groß, daß er vielen Franzosen gefährlich erscheinen mochte. Aber auf der nationalen deutschen Ebene hat er seinem Land gedient – und in der Regel zum Wohl seines Landes. Als Franzose bedaure ich, daß es hier niemanden wie ihn gegeben hat, der an der Spitze unseres Staates gestanden hätte. Auf vielen Gebieten haben die beiden Völker eine konstante Rivalität, und es ist der der stärkste Staatsmann, der sich gegenüber dem schwächeren durchsetzt. Und es ist klar, daß während Kohls Amtszeit vieles auf Kosten Frankreichs gegangen ist. Doch vom deutschen Blickwinkel aus betrachtet, ist er ein großer Staatsmann.

Um auf die Elf-Leuna-Affäre zu kommen, glauben Sie, daß Präsident Mitterrand wirklich einen französischen chemischen Anziehungspunkt in Deutschland schaffen wollte, oder ging es Ihrer Meinung nach um eine ganz bestimmte politische Maßnahme?

Ich glaube, daß beide Aspekte bei der Sache eine Rolle gespielt haben und sich ergänzten. Auf der einen Seite wünschte Mitterrand eine Erhöhung der Aktivitäten des Erdölkonzerns Elf im Einklang mit den französischen Interesssen. Andererseits teilte er die Auffassungen Helmut Kohls über die Zukunft Europas: er wünschte den Verbleib Kohls im Amt. Die Sozialistische Internationale hat dabei überhaupt keine Rolle gespielt, da es in diesem Falle ein Sozialist war, der einen Christdemokraten unterstützte.

Ein Mißstand der derzeitigen demokratischen Systeme ist, daß sie sehr teuer sind. Wie in den USA sind in Frankreich die Präsidentschaftswahlkämpfe sehr kostspielig, so sehr, daß die Politiker in den Händen der "Geldmächte" sind. In Frankreich, in Deutschland wie in den USA sind die Demokratien Plutokratien.

In einigen deutschen Kreisen hat man das Gefühl, daß die offizielle Politik zwischen Frankreich und Deutschland hinter der Freundschaft zurückbleibt, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg zwischen den Völkern gebildet hat. Teilen Sie diesen Standpunkt?

Diese Frage ist gerechtfertigt durch das demographische, wirtschaftliche und finanzielle Ungleichgewicht, das zwischen Deutschland und Frankreich seit der Wiedervereinigung besteht. Ob man es will oder nicht: Deutschland ist die europäische Supermacht, wie die USA die Supermacht der ganzen Welt ist. Und da das ein historisches Gesetz ist, dem alle Völker gehorchen, wird Deutschland wie die USA von einer Art Machttrunkenheit fortgetragen. So haben die USA, kaum daß Rußland sich zurückzog und die USA die einzige Weltmacht wurde, am Golf eingegriffen, um einen ständigen Zugriff auf die Energiequellen wie Öl oder Erdgas zu erhalten. Desgleichen hat Deutschland, kaum daß es wiedervereinigt war, seine europäischen Partner in den jeweiligen Außenministerien unter Bruch der jugoslawischen Verfassung von 1974, die eine Volksabstimmung vorsah, durch Herrn Genscher derart unter Druck gesetzt, daß sie am 17. und 18. Dezember 1991 die Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens anerkannten. Der ganze Balkan wurde verheert, und Kohl erklärte, das sei ein großer Sieg für Deutschland. Das Ende Jugoslawiens bezeichnet das Ende der Verträge, die Jugoslawien nach den deutschen Niederlagen geschaffen hatten. Es war eine Demonstration neu erreichter deutscher Autorität zum Nachteil Frankreichs, das alles Interesse hatte, Jugoslawien zu erhalten.

Ein anderer Grund von Unstimmigkeiten: Die Schaffung Europas. Äußerst logisch und – ich muß es sagen – äußerst ehrlich hat Kohl stets kundgetan, daß ein bundesstaatliches Europa nach dem Vorbild der USA sein Ziel ist – wirtschaftlich, diplomatisch und militärisch aufs engste mit den USA verbunden. Ein solches föderales Europa bedingt aber die Verringerung und schließlich das Verschwinden der Nationalstaaten. Man wird aber nicht imstande sein, mit politisch strukturierten Staaten wie den USA und eines Tages auch China, Indien, einem wiedererstarkten Rußland, zu rivalisieren, ohne eine zentrale Macht, die über die notwendigen Werkzeuge dieses neuen Staates verfügt. Weil das föderale Europa von Herrn Kohl schlicht und einfach ein neuer Staat ist, mit Nationen, die zu Provinzen werden, wie Louisiana, Kalifornien oder Oregon. Mit einem deutschsprechenden Teil von 90 Millionen Einwohnern werden es naturgemäß die Deutschen sein, die die Angelegenheiten dieses neuen Staates steuern werden. Und wenn sich Deutschland entzöge, dann würden die Provinz-Nationen wie Belgien, Portugal oder Irland Deutschland bitten, seine Rolle zu spielen.

In ihrer traditionellen Unbekümmertheit standen die Franzosen am Anfang der europäischen Idee. Sie selbst haben die Maßnahmen getroffen, die sie in eine lediglich regionale Bedeutung führen. Diese europäischen Schritte haben zwei mögliche Konsequenzen: zunächst führen sie zu einer Aufgabe der französischen Souveränität in Richtung auf Verwaltungstätigkeiten, wie sie den amerikanischen Bundesstaat oder die deutschen Länder kennzeichnen. Oder Frankreich würde – vergeblich – versuchen, eine solche Entscheidung zu verzögern, indem es von einem Europa der Vaterländer spräche, was bedeuten würde, daß man zurückkehren würde zu einem Zustand der Zustimmung von 25 oder 30 souveränen Staaten, was absurd ist und in ein Staatsgebilde ohne Macht münden würde.

Die Politik Kohls ist für sich betrachtet rational. Aber das ist nicht die Logik der Franzosen, die schon einmal den Übergang von Souveränität in Abhängigkeit erfahren haben. Für ein gutes Einvernehmen mit Deutschland hat Frankreich bereits in wichtige Opfer eingewilligt. Es hat zugestimmt, den Franc an die Deutsche Mark zu binden, es hat in den Ruin weiter Teile der französischen Wirtschaft eingewilligt, und die daraus entspringende Arbeitslosigkeit. Paradoxerweise haben die Gewerkschaften sich für eine Ratifizierung des Vertrages von Maastricht eingesetzt, um hinterher dagegen zu protestieren, vor allem gegen die Einschnitte im öffentlichen Sektor, die im Vertrag vorgesehen sind. Frankreich hat den Stabilitätspakt akzeptiert. Frankreich wollte die Einheit Jugoslawiens und hat seine Auflösung bekommen. Frankreich wollte den Ecu und bekam den Euro. Frankreich hat bei dem Sitz der Europäischen Zentralbank nachgegeben, und bei der Frage des Vorsitzenden.

Zum Zeitpunkt der deutschen Vereinigung hatte Präsident Mitterrand eine Politik der Verhinderung dieser Einheit verfolgt. Meinen Sie, er habe sich das Motto des französischen Königs Heinrich II. zu eigen gemacht: "Die deutschen Angelegenheiten in einem Höchstmaß von Schwierigkeiten zu halten"?

Frankreich hat sich gegen die Imperien gebildet, seien sie in Madrid oder in Regensburg oder Wien. Die Westfälischen Friedensverträge haben diesen Kampf siegreich geführt. Seither verfolgen alle deutschen Anstrengungen die Annullierung dieser Verträge. Wenn Herr Mitterrand auch ein fähiger Manipulator gewesen sein mag, einen Sinn für Geopolitik hatte er kaum. Er hatte nicht begriffen, daß die Sowjetunion die Ursachen für ihren eigenen Untergang bereits in sich trug. Sie hatte die Wiedervereinigung ausgelöst. Das Frankreich Mitterrands, politisch verkleinert, war ganz unfähig, sich der Vereinigung der Teile zu widersetzen. Das gehört zu den Mißgriffen der französischen Politik. Es war normal, daß Deutschland von diesen Inkohärenzen dieser Politik profitierte.

Was halten Sie allgemein von dem, was man "die Globalisierung" nennt?

Vom Gesichtspunkt des Handels scheint mir dieses Phänomen als etwas Unvermeidliches. Der Wunsch der Bevölkerungen, besser zu leben, hat den Vorrang der Politik vor der Wirtschaft umgekehrt. Dieser von der Bevölkerung erwartete Vorrang der Wirtschaft bezeichnet aber in der Tat eine Diktatur der Wirtschaft und der Finanzen mit der Konsequenz der Ungleichheit: beschleunigte Bereicherung der einen, verstärkte Verarmung der anderen. Es gab den Mißerfolg des Marxismus-Leninismus, des Nazismus, des Faschismus. Der Vierte Weg, genannt "die Herrschaft der Wirtschaft", beantwortet nicht die Bedürfnisse der Menschen. Dieser weitere Mißerfolg ist die Ursache für die Verwirrung und die Gräben zwischen Arm und Reich. Zu den historischen Brüchen kommen jetzt auch noch die jetzigen, die sich auf der Weltkarte ausdrücken in dem einen Teil, USA – Europa, und dem anderen Teil der Zone Asien – Pazifik – Afrika.

Zum Schluß eine Frage von brennender Aktualität: Glauben Sie, daß die französisch-belgische Politik hinsichtlich der neuen österreichischen Regierung gerechtfertigt ist?

Ich fürchte, daß diese Politik rein gefühlsmäßig ist. Man hat ungeschickte Äußerungen Haiders betont und einen ärgerlichen phonetischen Vergleich von Haider und Hitler hergestellt. Nun zeigt man uns Bilder vom "Anschluß" Österreichs. Hier zeigt sich der Wunsch, die Aufmerksamkeit der Bürger von ihren eigenen Problemen abzulenken. Frankreich und Belgien haben in einer übertriebenen Weise protestiert. Man hat die Tatsache unterschlagen, daß das heutige Österreich nicht das Deutschland von 1930 ist noch sein kann. Indem die Auswirkungen der Wählerentscheidung der Österreicher übertrieben werden, könnte Frankreich so einen neuen Anschluß betreiben.

Mon Général, wir bedanken uns für das Gespräch.