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11.03.00 Kapp-Putsch 1920

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 11. März 2000


Vor 80 Jahren: Das Menetekel für Weimar
Kapp-Putsch 1920: Dilettantische Umstürzler, ein wirkungsloser Streik und die Tücken der Bürokratie

Von OLIVER GELDSZUS

Am 12. März 1920 berichtete Reichswehrminister Gustav Noske dem Kabinett, daß in weiten Kreisen des deutschen Heeres die Absetzung der Reichsregierung gefordert werde. Mit dieser Information lag der Sozialdemokrat, der sich durch die Niederschlagung des Spartakusaufstandes bei der Reichswehr zunächst beliebt gemacht hatte, wahrlich nicht falsch: Noch in der Nacht flüchtete Noske mit der gesamten Regierung Bauer aus Berlin, während die Truppen des Generals von Lüttwitz und die Marinebrigade Ehrhardt bereits im Anmarsch auf das Regierungsviertel waren.

Dieser kurze, nur vier Tage währende Versuch, in Deutschland nach der Kriegsniederlage und den Wirren der Novemberrevolution wieder die alte Ordnung herzustellen, ist bis heute unter dem Schlagwort "Kapp-Putsch" in der Erinnerung lebendig geblieben. Insgesamt gesehen war er Abbild und zugleich Folge der Stimmung unter den Deutschen vor achtzig Jahren.

Den äußeren Anlaß zum Putsch bildete die unter Druck der Alliierten von der Regierung geplante Auflösung der in Dübritz bei Berlin stationierten berühmten Marinebrigade Ehrhardt. Sie hatte sich bei der Niederschlagung bolschewistischer Unruhen in Deutschland und im Baltikum einen fast schon legendären Ruf erworben. Dem zuständigen Minister Noske war durchaus klar, daß die in Versailles geforderte Verkleinerung der Deutschen Marine auf lediglich 15 000 Mann nicht problemlos umgesetzt werden konnte.

Überhaupt provozierten die von den Siegermächten im Diktatfrieden der instabilen Republik auferlegten Truppenreduzierungen ungeahnte soziale Verwerfungen. Vor allem in den Städten machte der herumlungernde oder bettelnde Frontsoldat in seinem heruntergekommenen Uniformrock vielfach das Bild der Straße aus. Die Baltikum-Freikorps fühlten sich von der Republik verraten.

Die zurückgekehrten Kämpfer fanden sich häufig wieder in paramilitärischen Verbänden zusammen. Vor allem auf den Gütern Ostpreußens, Pommerns und Brandenburgs wurden sie in sogenannten "Arbeitskommandos" zusammengefaßt. Sie hatten so zunächst Arbeit und blieben organisiert. Vermittelt wurden die "Baltikumer" durch einen "Nationalen Heimatbund zur Versorgung Heeresentlassener", der in Berlin seinen Sitz hatte. In dessen Geschäftsstelle begegneten sich nicht nur Landwirte, Großgrundbesitzer und Soldaten, sondern auch konservative und nationale Politiker. So etwa Mitglieder der im Krieg vom ostpreußischen Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp gegründeten Vaterlandspartei.

Kapp, 1858 in New York geboren, war 1890 Rittergutsbesitzer in Ostpreußen geworden. Als Kommissar im preußischen Landwirtschaftsministerium wirkte er bei der Durchbringung der neuen Handels- und Zollverträge mit und wurde 1906 Landschaftsdirektor in Königsberg. An die Gedanken des preußischen Reformers Stein anknüpfend, setzte er sich für die landwirtschaftliche Entschuldung sowie für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Landarbeiter ein. In der geheimen Mai-Denkschrift "Die nationalen Kreise und der Reichskanzler" bekämpfte er 1916 vom alldeutschen Standpunkt aus die seiner Ansicht nach "laue" Politik Bethmann-Hollwegs. Ein Jahr später rief er gemeinsam mit Flottenadmiral Tirpitz die Deutsche Vaterlandspartei ins Leben. Nach dem Zusammenbruch 1918 engagierte er sich in Verbindung mit den deutschen Truppen im Baltikum gegen die neu gegründete Republik.

Kapp konnte somit als Integrationsfigur innerhalb der republikfeindlichen Rechten gelten. Im Umfeld der unzufriedenen militärischen Verbände genoß er den Ruf, politischer Kopf einer in der Luft liegenden Verschwörung zu sein. Zu Beginn des Jahres 1920 hatte sich die Lage ohnehin zugespitzt. Daß die Umstände ausgerechnet in den Iden des März kulminierten, hatte vor allem mit der bereits erwähnten geplanten Reduzierung der Marinebrigade Ehrhardt zu tun. Am 1. März 1920 feierte sie ihr einjähriges Bestehen, und General von Lüttwitz sagte in seiner Ansprache: "Ich werde nicht dulden, daß eine solche Kerntruppe zerschlagen wird!" Er sah jetzt den Zeitpunkt gekommen, gegen die Regierung militärisch vorzugehen. Kapp, aber auch die Führer der Deutschnationalen Volkspartei warnten den General, sie seien mit ihren politischen Vorbereitungen noch nicht weit genug. Doch für Lüttwitz und Ehrhardt waren diese taktischen Bedenken nichts weiter als die bürgerliche Angst vor der "großen Tat".

Vor diesem Hintergrund erreichte Reichswehrminister Noske die Nachricht, daß die Truppen von Lüttwitz und Ehrhardt in der kommenden Nacht nach Berlin marschieren würden. Daß die Reichsregierung daraufhin überstürzt nach Dresden und später nach Stuttgart flüchtete, sagt bereits viel über ihren desolaten und unsicheren Zustand aus. Als Noske seine Reichswehr gegen die Putschisten mobilisieren wollte, erhielt er vom General von Seeckt die lapidare, vielzitierte Antwort "Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr!" Im Morgengrauen des 13. März zog die Brigade Ehrhardt im Paradeschritt durch das Brandenburger Tor. Mühelos nahmen die Freikorps-Kämpfer die Reichshauptstadt ein und besetzten das Regierungsviertel.

Was folgte, kam nun allerdings einer kabarettreifen Groteske nahe und glich zum Teil einem Operettenschwank. Kapp war gemäß seiner Warnung politisch nicht vorbereitet. Während General von Lüttwitz Berlin mit seinen Truppen völlig im Griff hatte, saß er ratlos in der Reichskanzlei. Eine Kabinettsliste war noch längst nicht vorhanden. In seiner Not ernannte sich Kapp selbst zum Reichskanzler sowie zum preußischen Ministerpräsidenten, machte von Lüttwitz zum Reichswehrminister sowie den früheren Berliner Polizeipräsidenten von Jagow zum Innenminister. Viel mehr Personal besaß er nicht. Die Beamten der Reichskanzlei erklärten ihm, seine Legitimation nicht anerkennen zu können und verließen das Haus. Kapp hatte in der Zwischenzeit zwar eine Deklaration verfaßt, doch es fanden sich weder eine Schreibmaschine noch eine Sekretärin, sie zu vervielfältigen. Schließlich beschlagnahmten Soldaten in einem Geschäft eine Schreibmaschine, und Kapps eigene Tochter tippte die Texte. Währenddessen warteten Ehrhardts Soldaten vergeblich auf weitere Anweisungen aus der Reichskanzlei.

Es ist im nachhinein kurios genug, daß von Lüttwitz und Ehrhardt einerseits in der Lage waren, die Regierung zu verjagen und die Hauptstadt zu kontrollieren, andererseits aber politisch völlig scheiterten. Da es ihnen nicht möglich gewesen war, die Administration auf ihre Seite zu ziehen, ging das Behördenleben unverändert weiter. So konnte Kapp in der Reichskanzlei anordnen was er wollte; seine Weisungen wurden zwar ordnungsgemäß abgelegt, doch auch vergessen. Zwar versuchten Sympathisanten des Umsturzes Berlin zu erreichen, und strahlte der sogenannte Kapp-Putsch zumindest bis nach Nord- und Ostdeutschland aus – dennoch war er von Anfang an verloren. Kapp hatte geglaubt, daß sich ihm die Ministerialbürokratie genauso schnell und unkompliziert zur Verfügung stellen würde wie vor einem Jahr der neuen SPD-Regierung unter Ebert, doch dies war weit gefehlt.

Letztlich wurde durch die hektische Aktion das militärisch-politische Potential zur dauerhaften Veränderung im Nachkriegsdeutschland im Sinne Kapps vorschnell verausgabt. Daß dem unüberlegten Staatsstreich die Nähe zum Volk völlig fehlte, zeigte, wie sehr Kapp und seine Mitstreiter noch gänzlich dem alten, ständischen Politikdenken verhaftet waren. Aber selbst zum Kaiser oder den alten monarchistischen Eliten hatten die Märzputschisten keine nennenswerten Kontakte hergestellt. So mußte die Aktion ergebnislos scheitern. Thomas Mann notierte am 15. März 1920 resigniert in sein Tagebuch: "Bin froh, wenn politisch etwas erreicht ist, Sinn und Plan in dem Unternehmen war und die konservative Idee nicht ganz kompromittiert ist."

Allein schon der Termin der Revolte gegen die Republik ist rational nur schwer nachvollziehbar und legt deren Dilettantismus gnadenlos frei. Denn der 13. März 1920 war ein Sonnabend; die Brigade Ehrhardt zog somit an einem Wochenende mit klingendem Spiel die Linden entlang. Als Kapp endlich seine Resolution fertig hatte, waren die Redaktionsbüros für die Wochenendausgaben der Hauptstadtpresse längst geschlossen. Kapp hatte sich aus preußischem Pflichtgefühl auf eine nationale Aktion eingelassen, deren Sinnlosigkeit ihm schon bald klar sein mußte. Bereits am Dienstag war der Putsch endgültig gescheitert. Kapp flüchtete später nach Schweden, stellte sich aber nach der Verurteilung seiner Mitstreiter 1922 dem Reichsgericht in Leipzig, wo er in der Untersuchungshaft starb.

Es gehört zu den Grundmythen der deutschen Linken, daß der Kapp-Putsch erst und ausschließlich durch den Generalstreik verhindert werden konnte. Ihn hatte der Pressechef der Reichsregierung Bauer zunächst eigenmächtig ausgerufen, er wurde jedoch sofort von SPD, USPD und KPD sowie weiten Teilen der Arbeiterschaft mitgetragen. Allerdings stieß seine Wirkung wirtschaftlich am Wochenende zunächst ins Leere. Und am Montag war ohnehin bereits klar, daß Kapp als Reichskanzler nicht zu halten war. Mit Sicherheit hatte die Verweigerung der preußischen Bürokratie gegenüber den Kappisten die ungleich größere Wirkung gehabt. Letztlich waren die Streikenden selbst froh, daß nach nur vier Tagen die Polit-Groteske in der Hauptstadt wieder vorbei war. Der Vorsitzende des von SPD und USPD gegründeten Berliner Streikkomitees, Heinig, gab zu, daß die Lage allmählich prekär wurde: "Uns stürmten die Arbeiterfrauen die Bureaus ein, weil sie kein Wasser hatten und kein Licht, und in den einzelnen Etagen der Mietskasernen die Scheiße bereits die Treppen hinunterlief. Es war ein Glück, daß das Kapp nicht wußte, sonst hätte er noch gesiegt."

Ohnehin war der Generalstreik vor allem in politischer und ideologischer Hinsicht von Relevanz. Die Kommunisten nutzten die unübersichtliche Lage in Berlin aus, um unter dem Deckmantel des Streiks die eigenen Ziele zu verfolgen. In einzelnen Gebieten, vor allem im Vogtland, flammten wie einst unmittelbar nach dem Krieg die alten Bilder eines bolschewistischen Deutschlands auf. Gefährlich war der Generalstreik daher letztendlich für die Republik selbst. Mit ihm hatte die Regierung sich selbst verteidigen wollen; aber sie glich dabei Goethes Zauberlehrling, dem die Geister, die er rief, bald entglitten. Der Streik radikalisierte sich zunehmend, und es war schnell klar, daß die KPD und weite Teile der Linken weniger die ungeliebte Weimarer Republik verteidigten, sondern ihre eigene Revolution betrieben. Im Ruhrgebiet umfaßte eine "Rote Armee" bereits etwa 50 000 Mann und besetzte den größten Teil des Reviers.

Der eigentliche Verlierer der chaotischen Märztage 1920 war letztlich die junge Republik. Nach dem Kapp-Putsch war sie stärker als zuvor vom Machtanspruch linker und rechter Interessengruppen bedroht. Diese Lage spitzte sich bekanntlich immer weiter zu, bis die Weimarer Republik von den Nationalsozialisten endgültig zu Grabe getragen wurde – ohne Putsch. Denn Hitler hatte aus den gescheiterten Umsturzversuchen 1920 in Berlin und 1923 in München den Schluß gezogen, daß im demokratischen Massenzeitalter nur die legale, auf die Mehrheit des Volkes gestützte Machtübernahme von Dauer und Wirkung sein kann.