20.04.2024

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25.03.00 In Gnesen geht es wieder um Ebenbürtigkeit/ Von H. Nettelbeck

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 25. März 2000


Polnisches Unbehagen
In Gnesen geht es wieder um Ebenbürtigkeit/ Von H. Nettelbeck

In Polen wurden kurz vor dem europäischen Gipfeltreffen in Gnesen Sorgen vor einem "antieuropäischen Kurs" der Bundesrepublik Deutschland laut. Diese Sorgen beziehen sich sowohl auf die SPD als auch auf die CDU. So hat sich Polens Präsident Aleksander Kwasniewski besorgt über wachsende Euroskepsis in manchen sogenannten konservativen Parteien wie der CDU geäußert. Nach Jörg Haiders Erfolg in Österreich "schauen wir aufmerksam auf Deutschland", sagte Kwasniewski einer Berliner Zeitung. "Was wird aus der EU, wie steht sie nach der Krise zur europäischen Integration? Es ist ein Unterschied, wie Helmut Kohl sich dazu äußerte, und was Ministerpräsident Stoiber sagt."

Romano Prodi plane wegen der Ängste in vielen EU-Ländern eine Verlangsamung der Erweiterung, sagte Polens Staatsoberhaupt: "Wir protestieren energisch gegen Signale, die Erweiterung zu verzögern." Kwasniewski beharrte auf dem Jahr 2003 für den Beitritt seines Landes zur EU. "Wir sind fest entschlossen, alles zu tun, um 2003 beizutreten." Kwasniewski forderte die Union auf, ihrerseits zügig ihre innere Reform durchzusetzen.

Kwasniewski traf in Gnesen mit Bundespräsident Johannes Rau und Vertretern fünf weiterer europäischer Staaten zusammen. Rau plädierte in seiner Ansprache abermals für eine gute Nachbarschaft von Polen und Deutschen, ging aber ansonsten erwartungsgemäß auf aktuelle Differenzen nicht ein.

Auch den deutschen Sozialdemokraten wurden die Leviten gelesen. Polnische Politiker und Journalisten verdächtigen nämlich Gerhard Schröder, daß er aus Rücksicht auf die deutsche Arbeitnehmerschaft den freien Zugang polnischer Arbeiter nach Mittel- und Westeuropa vorläufig ablehnt. In der Bundesrepublik ist kaum bekannt, wie heiß das Thema "Schröder und die Freizügigkeit" in Polen diskutiert wird. Die Forderung Berlins nach Übergangsfristen wird in Warschau abgelehnt und in großen Titel-Geschichten der überregionalen Zeitungen und Magazine dargestellt und kommentiert. Einhelliger Tenor: Für fast alle Polen wird, abgesehen von der vorläufig weiteren Besitzstandssicherung Ostdeutschlands der Beitritt ihres Landes zur EU nur dann als ein positives Ereignis erlebbar, wenn sie das Recht erhalten, in Mitteleuropa legal zu Tariflöhnen arbeiten dürfen.

Solche Themen mußte man beim Treffen deutscher und polnischer Fürsten vor 1000 Jahren nicht bereden, dafür hatte man allerdings auch andere Probleme. In der heutigen Provinzstadt Gnesen mit ihren rund 70 000 Einwohnern deutet wenig auf den Glanz einer historischen Metropole hin. Vor 1000 Jahren dagegen war Gnesen nicht nur die Hauptstadt der polnischen Herzöge vom Geschlecht der Piasten, hier kam es bei der Begegnung des deutschen Kaisers Otto III. und des polnischen Herrschers Boleslaw Chrobry ("der Tapfere") nach polnischem Verständnis zur offiziellen Aufnahme Polens in den Kreis des christlichen Europas.

Kein Wunder also, wenn im geschichtsbewußten Polen, in dem Symbole und Traditionen eine wichtige Rolle spielen, in diesem Jahr feierlich an das historische Treffen im Jahre 1000 erinnert wurde. In der Kathedrale von Gnesen versammelten sich die Staatsvertreter Polens, der Bundesrepublik, der Ukraine, Litauens, Ungarns, der Slowakei und der Tschechei.

In der Kathedrale befindet sich das Grab des heiligen Adalbert von Prag, in Polen als der "heilige Wojciech" verehrt. Am Grab des von den heidnischen Pruzzen getöteten Missionars hatten sich tausend Jahre zuvor auch Otto III. und Boleslaw Chrobry getroffen. Boleslaws Vater, Mieszko, war bereits 966 zum Christentum übergetreten und hatte geschickt verhindert, daß sein aufstrebendes Herzogtum vom Deutschen Reich im Westen "geschluckt" wurde: Er stellte seine Familie und sein Land unter den Schutz des "heiligen Petrus". Der ominöse "Peterspfennig", der die spätere Reformation auslöste, schuf gleichzeitig die Voraussetzung für die Schaffung einer eigenen polnischen Kirchenprovinz.

Als sich Otto III. als Pilger in Begleitung eines Vertreters des Papstes Polen näherte, wartete Boleslaw an der Grenze - mit großen und unangemessenen Erwartungen. Der polnische Fürst erhoffte, von dem damals mächtigsten Herrscher Europas zum König erhoben zu werden. Doch diesen Gefallen erwies ihm Otto III. nicht. Bei den Feierlichkeiten in Gnesen wurde Boleslaw jedoch "Bruder" des Kaisers und "Mitarbeiter des Reiches". Dem symbolischen Familienanschluß sollten alsbald echte blutsbandlicher folgen: die Verlobung Boleslaw Chrobrys Sohn mit einer Nichte des Kaisers kam einer Aufnahme des polnischen Herrschers in die "Familie der Könige" gleich, auch wenn Boleslaw erst kurz vor seinem Tod im Jahre 1025 tatsächlich die Ehre einer Königskrönung zuteil wurde.

Um die Gestaltung der deutsch-polnischen Nachbarschaft geht es auch Ende April in Gnesen - dann nämlich treffen sich die Regierungschefs der mitteleuropäischen Staaten an der "historischen Wiege" des polnischen Staates.