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01.04.00 Zweiter Weltkrieg: "... ein Geheimnis bleibt der Tod"

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 01. April 2000


Zweiter Weltkrieg: "... ein Geheimnis bleibt der Tod"
Die deutschen militärischen Verluste betrugen 5 318 000 Gefallene

Es wird viele Leser überraschen, daß bis vor kurzem eigentlich nicht bekannt war, wie viele deutsche Soldaten während des Zweiten Weltkrieges den Tod gefunden haben. In der Literatur wurden ganz unterschiedliche Angaben gemacht; am häufigsten fand man eine Zahl von drei bis fünf Millionen toter Soldaten, die im Kampf gefallen, in Gefangenschaft umgekommen oder verschollen sind.

Jetzt liegt eine wissenschaftliche Erhebung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes vor, die den Anspruch erhebt, realistische Zahlen über die deutschen militärischen Verluste im Zweiten Weltkrieg zu liefern. Dr. Rüdiger Overmans, Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA), hat im Auftrag des Amtes mehrere Jahre lang unter Verwendung der Methoden der empirischen Sozialforschung aus den etwa 17 Millionen Karteikarten, die in der "Deutschen Dienststelle" über deutsche Soldaten geführt werden, eine Stichprobe gezogen.

Sie besagt, daß die deutschen militärischen Verluste höher waren als bisher angenommen. Overmans, der in einem umfangreichen Buch unter dem Titel "Deutsche militärische Verluste im Zweiten Weltkrieg" (R. Oldenbourg Verlag, München) seine Arbeit und deren Ergebnisse vorstellt, kommt zu dem Schluß, daß im Zweiten Weltkrieg 5 318 000 Soldaten der Deutschen Wehrmacht und der Waffen-SS gefallen sind. Eingeschlossen sind die in den Reihen der deutschen Truppen kämpfenden Volksdeutschen aus Ost- und Südosteuropa, Elsaß-Lothringen und Luxemburg sowie aus Südtirol.

Nicht ermittelt werden konnten die Verluste der Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS, die als Ausländer freiwillig gegen den Bolschewismus kämpften, weil die "Wehrmachtsauskunftsstelle", die einen großen Teil der Unterlagen beisteuerte, für die Anzeige dieser Sterbefälle nicht zuständig war. Hans Werner Neulen, der Standardwerke über die ausländischen Freiwilligen verfaßt hat, schätzt die Verluste der ausländischen Waffen-SS-Einheiten auf 50 000. Bei ihm fehlen aber ebenfalls die Verluste der etwa eine Million Sowjetbürger, die auf deutscher Seite kämpften. Die Unterlagen über die Ostfreiwilligen verbrannten im Juli 1948 unter ungeklärten Umständen. Die sowjetischen Sieger erzwangen außerdem die Herausgabe der Erkennungsmarkenverzeichnisse der fremdländischen Einheiten innerhalb der Deutschen Wehrmacht. Auch die Unterlagen über die in deutsche Kriegsgefangenschaft geratenen Soldaten der slawischen Staaten wurden von der Sowjetunion geraubt und in die UdSSR gebracht. Angeblich sollen sie in Podolsk in 377 Kisten mit Unterlagen lagern.

Enthalten in der von Overmans ermittelten Verlustzahl sind die Gefallenen des Reichsarbeitsdienstes, der Polizei, der Organisation Todt, der Reichsbahn, des Zolls und der Reichspost sowie des Deutschen Volkssturms, soweit deren Ermittlung möglich war. In den letzten Kriegsmonaten, als der Volkssturm eingesetzt wurde, waren die Meldewege zumeist schon zusammengebrochen.

Die Haager Landkriegsordnung von 1907 legte fest, daß mit Kriegsbeginn die beteiligten Staaten Auskunftsbüros einzurichten hätten, um das Schicksal der eigenen wie auch der feindlichen Soldaten nachzuweisen. Dementsprechend waren auch im Deutschen Reich solche Institutionen vorgesehen, wie sie bereits im Ersten Weltkrieg bestanden hatten. Allerdings war man auf den Kriegsausbruch 1939 in Deutschland nicht vorbereitet. So mußte denn auch das Meldewesen für Kriegsverluste während des Krieges mehrfach geändert werden, weil sich erhebliche Unsicherheiten und Diskrepanzen ergaben. Fehler, die sich gegen Ende des Krieges verderblich auswirken sollten.

Die Meldungen von Verlusten aus den Einheiten, von Gräberoffizieren und aus Lazaretten liefen parallel in die zentralen Meldestellen. Häufig klappten die Übermittlungen nicht. Entweder wurden Verluste verspätet oder gar nicht gemeldet. Das Wehrmachtverlustwesen war zuständig für alle Verluste innerhalb wie außerhalb der Wehrmacht und konnte Sterbeurkunden ausstellen, die für Fragen der Erbschaft usw. wichtig sind. Wehrmacht, Waffen-SS, Polizei, RAD, Organisation Todt, Reichspost wie Reichsbahn, Zoll usw. hatten zunächst jeweils gesonderte Meldestellen, was die Gesamterhebung erschwerte. Besondere Probleme ergaben sich, wenn ganze Armeen oder Heeresgruppen untergingen, wie z. B. in Stalingrad, beim Afrikakorps, beim Untergang der Heeresgruppe Mitte und in der Südukraine. Dann gab es niemanden mehr, der zuverlässig Verluste melden konnte. Hier waren überaus mühselige und schwierige Erfassungsarbeiten notwendig. Man rekonstruierte, nachdem nach dem Krieg zunächst die Arbeiten ausgesetzt werden mußten, die Verluste mit Hilfe von privaten Aktivitäten wie Suchdiensten, Heimkehrerbefragungen und durch die als vorbildlich dargestellte Sucharbeit der Traditionsverbände. So hatte bis 1985 der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes 1,8 Millionen Schicksale Vermißter geklärt.

Bevor es aber soweit war, mußten unendliche Schwierigkeiten überwunden werden, um die Unterlagen der für die Erfassung der Verluste zuständigen Institutionen vor Chaos und vor dem Zugriff der Sieger zu sichern. Wie gefährdet sie waren, mag daraus hervorgehen, daß amerikanische Truppen die umfangreichen Nachlässe Gefallener, die nicht sofort den Angehörigen hatten zugestellt werden können und die daher zeitweise bei den von Berlin nach Thüringen ausgelagerten deutschen Dienststellen aufbewahrt wurden, nach der Besetzung Thüringens plünderten. Und was die amerikanischen Soldaten nicht stahlen, daß raubten die Sowjets, die nach den US-Streitkräften in das grüne Herz Deutschlands einrückten. Allerdings konnten die verbleibenden deutschen Betreuer der Wehrmachtsauskunftsstelle im Juli 1945 auf 275 LKW insgesamt 531 Tonnen Akten – das waren 40 Prozent des gesamten Bestandes – in die Gegend von Kassel retten. Ein Jahr später wurden sie wieder nach Berlin transportiert, um Teil des amerikanischen Document Centers zu werden. Im selben Jahr 1946 aber ordnete die amerikanische Besatzungsmacht völkerrechtswidrig die Verbrennung aller Unterlagen an. Ein für die Unterlagen verantwortlicher US-Offizier aber wandte sich hilfesuchend an die ebenfalls in Berlin residierenden französischen Besatzungstruppen. Die Franzosen waren vor allem an den Unterlagen über Elsaß-Lothringer in der Wehrmacht interessiert. Daher waren sie bereit, die gesamten Unterlagen der Wehrmachtsauskunftstelle zu übernehmen, wodurch sie vor amerikanischer Vernichtung gerettet wurden. Zwar begannen sich die Verhältnisse allmählich zu normalisieren, doch konnte nicht verhindert werden, daß im Juli 1948 bei einem ominösen Brand in der Deutschen Dienststelle ein Teil der Akten vernichtet wurde, darunter bezeichnenderweise nicht nur die Unterlagen über die Ost-Freiwilligen, sondern auch die Friedhofslisten der von den US-Truppen unter unmenschlichen Bedingungen auf den Rheinwiesen eingerichteten riesigen Gefangenenlager, in denen Zigtausende deutscher Kriegsgefangener elendiglich umgekommen waren. Den britischen Besatzungstruppen fielen die Unterlagen der Marine-Personal-Dokumentations-Zentrale in die Hände, die sie ebenfalls vernichten wollten. Auch hier rettete derselbe französische Offizier die Unterlagen, der schon 1946 die amerikanische Vernichtsungsabsicht vereitelt hatte.

1951 wurden die verschiedenen Dienststellen, die über Unterlagen zu den Soldaten verfügten, zur "Deutschen Dienststelle" vereinigt. Die Unterlagen sind nicht nur aus historischen Gründen von Bedeutung, sondern auch für die Klärung von Erbschaftsangelegenheiten, Rentenfragen, Entschädigungsanträgen.

Ein besonders trauriges Kapitel für die Erfassung deutscher Gefallener stellt die entsprechende Arbeit auf dem Gebiet der ehemaligen DDR dar. Seit 1960 wurden in der DDR keine deutschen Gefallenen mehr geborgen und bestattet. Kriegsgräber, seien es Einzelgräber oder Kriegsgräberfriedhöfe, wurden von den zuständigen kommunistischen Stellen auf Berliner Weisung hin an vielen Orten eingeebnet. Immerhin ließ die DDR in den 70er Jahren die noch vorhandenen Kriegsgräber registrieren. Zur Zeit sind noch etwa 200 000 Gefallene im Oderbruch nicht geborgen. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ist seit der Wende intensiv mit den Bergungsarbeiten beschäftigt. Man hofft, daß etwa die Hälfte der überall im Gelände verscharrten deutschen Gefallenen noch identifiziert werden kann. Nach der Wende entdeckte man in der DDR Gräberkarteien der bis 1945 erstatteten Kriegssterbefälle und die Unterlagen der Wehrmachtsgräberoffiziere, die von der Sowjetunion erbeutet und verschlossen worden waren. Auch im Militärarchiv der DDR wurden umfangreiche Unterlagen über deutsche Soldaten gefunden, die immer noch ausgewertet werden.

Das Militärgeschichtliche Forschungsamt hat mit einer Forschungsgruppe unter Dr. Overmans’ Leitung aus der Zentralnachweisstelle Aachen-Kornelimünster, wo – allerdings unvollständig – große Mengen von Personalakten von Heer und Luftwaffe lagerten, aus den Unterlagen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge (hier befindet sich die Kartei der Kriegsgräber, wenn auch nicht ganz vollständig), aus den Unterlagen des Kirchlichen Suchdienstes in München, der für Vertriebene zuständig ist, und aus den Akten des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes die vorhandenen Karteien und Akten der Deutschen Dienststelle ergänzt. Danach wurde unter Verwendung von Methoden der empirischen Sozialforschung eine Stichprobe gezogen, die, wie Overmans schreibt, weitgehend zuverlässig ist.

Danach fielen 5 318 000 Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS (ohne Ausländer). Damit ist im Deutschen Reich jede 8. männliche Person gefallen. Besonders groß waren die Verluste der Jahrgänge 1920 (hier fielen 41,1 Prozent), 1924 (38 Prozent), 1914 (36,7 Prozent). Zu den Gefallenen zählen auch die in der Kriegsgefangenschaft zu Tode gekommenen Soldaten. 28 Prozent aller Wehrmachtssoldaten fielen, von der Waffen-SS aber waren es 34 Prozent, was sicherlich darauf zurückzuführen ist, daß deren Truppenteile häufig als "Feuerwehr" an Brennpunkten eingesetzt wurden und daß die Soldaten der Waffen-SS besonders intensiv kämpften. Allein an der Ostfront starben 2,7 Millionen Soldaten; rechnet man die Verluste im Endkampf in Ostdeutschland hinzu, sowie die deutschen Kriegsgefangenen, die in der UdSSR ums Leben kamen, betrugen die Opfer im Osten sogar vier Millionen. Overmans bestätigt übrigens, daß von den deutschen Soldaten, die vom Beginn bis zum Frühjahr 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft gerieten, 95 Prozent umgekommen sind, und das heißt in den meisten Fällen, daß sie ermordet wurden. Während im Ersten Weltkrieg 1,8 Millionen deutsche Soldaten fielen (14 Prozent aller Soldaten), mußten im Zweiten Weltkrieg 5,3 Millionen deutsche Soldaten ihr Leben lassen, das waren 28 Prozent aller Soldaten. Bemerkenswert ist die Erkenntnis von Overmans, daß vor allem am Ende des Krieges das Meldesystem über deutsche Verluste immer fehlerhafter wurde.

Das hatte zur Folge, daß Ende 1944 die offiziellen Verluststatistiken nur 2,1 Millionen tote und in Gefangenschaft geratene deutsche Soldaten auswiesen, während in Wahrheit die Verluste um eine Million höher lagen. Tatsächlich fehlten der Wehrmacht 100 Divisionen, ohne daß die Führung davon wußte. Der Autor fragt, "ob das Fehlen von Hunderttausenden von Soldaten im Sommer 1944 nicht ein wichtiger Grund für den Zusammenbruch der Ostfront war."

Immer noch wird das Schicksal von Verschollenen geklärt, wenn auch fast immer das Ergebnis lautet, daß der gesuchte Soldat tot ist. Durch die jetzt zugänglich gewordenen sowjetischen Unterlagen können weitere offene Fragen über in der UdSSR Vermißte beantwortet werden.

Hans-Joachim v. Leesen