16.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
01.04.00 Über die Anfänge einer einer Erfolgsgeschichte

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 01. April 2000


50 Jahre Das Ostpreußenblatt: Es begann in der Baracke
Über die Anfänge einer einer Erfolgsgeschichte
Von RUTH GEEDE

Ich halte einen Sammelband in der Hand. Er ist in schwarzes Leinen gebunden und trägt auf dem Deckel unter dem Zeichen mit der Elchschaufel die Aufschrift: "Das Ostpreußenblatt Jahrgang 1950". Ein halbes Jahrhundert, denkt man, welah’ eine Spanne Zeit! Für einen jungen Menschen kaum vorstellbar. Aber auch für einen Älteren ein Riesenknäuel an Erinnerungen, das beim Zurückspulen so viel Bewahrtes und Bewährtes freigibt, daß der Begriff Zeit an Dimension verliert.

Auf einmal ist alles wieder da: Die Baracke am Berliner Tor in Hamburg, die ersten druckfrischen Bogen, noch im kleinen Format, die Freude, wieder etwas in der Hand zu halten, was lebendiges Ostpreußen ist und dies weitergibt. Eine Kette, die von jenem Frühlingstag vor 50 Jahren an das große Bindeglied zwischen allen Ostpreußen und Freunden unserer Heimat war und ist, wo sie auch leben. Wie Agnes Miegel in einem ihrer Gedichte den alten Kinderreim bewahrt hat: "Wir treten auf die Kette, und die Kette klang ..."

Ach ja, ein bißchen – kann man sagen: Sentimentalität? – kommt da schon hoch, obgleich die mir sonst fremd ist. Aber es sind eben auch fünfzig Jahre, die mein Leben und meine Arbeit mitbestimmt haben bis heute, denn auch meine Wege führten damals in die Baracke in der Wallstraße, wo sich alles traf, was für Ostpreußen arbeiten wollte und einen Fixpunkt für diese Bereitschaft suchte.

Die Baracke! Am 1. April hatte die Landsmannschaft Ostpreußen sie gemietet. Sie brauchte ein festes Haus, auch wenn es aus Holz war. Nach dem ersten Zusammenschluß von ostpreußischen Frauen und Männern am 3. Oktober 1948 war am 6. November 1949 in Hamburg der rechtsfähige Verein "Landsmannschaft Ostpreußen e. V." gegründet worden, der am 8. März 1950 in das Vereinsregister des Amtsgerichts Hamburg eingetragen wurde. Als "Geschäftssraum" diente die Einzimmerwohnung des Geschäftsführers, Werner Guillaume, in der bis zu acht Mitarbeiter wirkten. Ein unhaltbarer Zustand, nicht zuletzt für Werner Guillaume und seine tatkräftige Frau Magdalena, die man bald liebevoll "Landesmutter" nannte. Deshalb war man froh, in der Baracke ein neues Domizil gefunden zu haben. Aber auch hier war der Platz beschränkt, denn ein Teil des primitiven Holzbaues war noch bewohnt. Doch in dem zerstörten Hamburg – nicht weit von der Stelle lagen Stadtteile, die in den Bombennächten des Juli 1943 ausradiert wurden und unter deren Trümmerbergen noch immer viele der 50 000 Toten lagen! – war eine Baracke schon Gold wert . Für die Vertriebenen sowieso keine ungewohnte Behausung, denn die meisten vegetierten doch in irgendwelchen Notunterkünf-ten, Baracken, Nissenhütten und abbruchreifen Gebäuden.

Die Probenummer des neuen Verbandsorgans der Landsmannschaft, Das Ostpreußenblatt, erschien bereits im März 1950 als 18seitige Ausgabe mit einem Grußwort des damaligen Sprechers der Landsmannschaft Ostpreußen, Dr. Ottomar Schreiber:

"Wir hoffen, daß Das Ostpreußenblatt uns auf einen Weg begleiten wird, der gekennzeichnet ist durch ein immer engeres Zusammenrücken der Glieder unserer ostpreußischen Schicksalsgemeinschaft und durch eine nachhaltige Besserung der Lage der Heimatvertriebenen in Westdeutschland." Und er stellte einen Wegweiser in die Zukunft auf: die heiße Liebe zu unserer Heimat und die unbeirrbare Hoffnung auf unsere Heimat! Vor allem brachte die Probenummer eine Erklärung des geschäftsführenden Vorstandes der Landsmannschaft Ostpreußen, warum Das Ostpreußenblatt gegründet wurde. Es waren vorher schon einige ostpreußische Blätter erschienen, aber unliebsame Umstände, die sogar zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führten, zwangen dazu, eine neue Zeitung als einziges Organ der Landsmannschaft herauszubringen. Drei Mitglieder des geschäftsführenden Vorstandes unterzeichneten die Erklärung: Dr. Walter Gille, der zwei Jahre später Dr. Ottomar Schreiber als Sprecher ablösen sollte und diese Aufgabe 14 Jahre lang mit nie nachlassendem Engagement erfüllte, Dr. Gert Wander und Hans Zerrath, der leider schon nach drei Jahren verstarb. Sein früher Tod hinterließ in der Landsmannschaft eine Lücke, die lange noch spürbar war, da er in der kurzen Zeit seines Wir-kens wesentlich dazu beitrug, die Schwierigkeiten und Fährnisse der ersten Jahre zu überwinden. Darüber hinaus war der Name Hans Zerrath-Jäger – Tactau mit vielen Aktivitäten der Vertriebenen verbunden, er hatte an der Charta der Heimatvertriebenen mitgewirkt, sich besonders für die vertriebenen Bauern eingesetzt und im Ausland, vor allem in den USA, um Verständnis für die Lage der Heimatlosen geworben.

In der Probenummer wurde angekündigt, daß die erste Ausgabe des Ostpreußenblattes am 1. April 1950 erfolgen würde. Das Blatt sollte 32 Seiten haben und bei 14tätigem Erscheinen monatlich 55 Pfennig, zuzüglich sechs Pfennig Bestellgeld, kosten! Das Ostpreußenblatt Nr. l mit Datum vom 5. April 1950 bot sich aber 48 Seiten stark an. Das ganzseitige Titelfoto zeigt eine ostpreußische Mutter mit ihrem Kind: Hildegard Radam aus Sorthenen im Samland suchte ihren kriegsgefangenen Mann in Sowjetrußland, fand ihn nach langer Irrfahrt weit hinter Moskau und hauste dort im Lager zehn Monate lang mit ihm und ihrem dreijährigen Sohn zusammen, bis sie nach Westdeutschland ausreisen durfte. Ihr Mann sollte einige Tage später folgen. (Daraus wurden dann vier Jahre!) Hier zeigt sich schon, was ein Hauptanliegen der Zeitung sein und bleiben würde: das Schicksal der Vertriebenen zu dokumentieren und aufzuklären. Das beweist auch der 16seitige Anzeigenteil, von dem fast neun Seiten allein mit Suchanzeigen gefüllt sind!

Daß sich auch meine Arbeit bis heute – vor allem im Rahmen der "Ostpreußischen Familie" – damit vorrangig beschäftigen würde, ahnte ich damals noch nicht, obgleich ich mit solchen Problemen schon in Berührung gekommen war. Und das kam so:

Ich hatte im Rahmen meiner Tätigkeit als Redakteurin einer niedersächsischen Zeitung ein Kinderheim in Lüneburg besucht, in dem mir ein etwa fünfjähriger Junge als "unser kleiner Österreicher" vorgestellt wurde. Er war irgendwo in Pommern elternlos aufgefunden und durch eine Hilfsorganisation in dieses Heim gebracht worden. Papiere waren nicht vorhanden, die Angaben des Jungen beschränkten sich vage auf seinen Namen und "Salzburg" als Heimatort. Es war geplant, ihn in Kürze nach Österreich zu überweisen. Ich sah mir den Jungen an, blickte in ein offenes, mir in seinen Zügen so vertrautes Kindergesicht, fragte behutsam nach seinem Zuhause, wobei ich bewußt ein paar typisch ostpreußische Worte einstreute wie "Klunkermus" und "Gissel", auf die er freudig reagierte, bohrte weiter nach, und dann stand für mich fest: "Das ist ein ostpreußisches Kind!" Und ich fand auch des Rätsels erste Lösung: Er stammte aus "Hohensalzburg", wie das im Kreis Tilsit-Ragnit gelegene Lengwethen im Jahr 1938 umbenannt worden war. Die endgültige Aufklärung erfolgte

dann über eine größere Presseaktion, durch die wir zwar nicht die Eltern – die waren verstorben – ausfindig machen konnten, aber seinen großen Bruder in Westfalen. Ich habe ihn dort im Kreis seiner richtigen Familie aufgesucht und ein glückliches Kind gefunden.

Meine berufliche Funktion hielt mich leider von einer festen Bindung an Das Ostpreußenblatt ab, doch zu einer ständigen Mitarbeit langte es immerhin. Ich war ja schon dankbar dafür, daß ich in der Erstausgabe mit einem Gedicht vertreten war – für mich eine Art Symbol für die Verpflichtung zur Arbeit für die Heimat. Und da ich in jenem Jahr die Hamburg-Redaktion des Niedersächsischen Zeitungsverlages übernahm, konnte ich oft in der Wallstraße sein, in der sich nach Kauf der Baracke auch die Redaktion des Ostpreußenblattes befand, nachdem das Provisorium in der Wohnung des ersten Chefredakteurs Martin Kakies sich für die schnell wachsende Zeitung als unhaltbar erwiesen hatte.

Es fand sich sowieso alles in der Baracke ein, was mit Ostpreußen und mit dem Ostpreußenblatt zu tun haben wollte, denn der Vertrieb, den Carl Emil Gutzeit zuerst vom Keller seiner Wohnung aus geleitet hatte, war schon am 1. April in die Wallstraße gezogen. Geschäftsführung, Redaktion, Vertrieb und alle anderen Abteilungen waren somit unter einem Dach vereint, auch wenn das nur ein niedriges Wellblechdach war, an dem im Winter lange Eiszapfen hingen. Es war zumeist bitterkalt, denn die Kanonenöfen wurden hauptsächlich mit mitgebrachten Briketts, Holz und Kohlengrus geheizt. Die bullerten zuerst auch kräftig und ließen die engen Räume zur Sauna werden, kühlten dann ebenso schnell wieder ab. Die Fenster mit den alten Scheibengardinchen gingen kaum zu öffnen.

Im Sommer knallte die Sonne auf das Blechdach, so daß in den kleinen Räumen eine unerträgliche Hitze herrschte, die durch die drangvolle Enge von Menschen und Möbel noch verstärkt wurde. An den zu Schreibtischen umfunktionierten alten Küchen und Gartentischen arbeiteten die Redakteure beim Licht einer Glühbirne, die einsam und ohne Schirm von der Decke hing. Trotzdem klapperten die alten Schreibmaschinen wie verrückt, denn jeder war froh, wieder schreiben zu können.

Allen voran Chefredakteur Martin Kakies, der versierte Zeitungsmann aus Memel, dem hier das Glück zufiel, Das Ostpreußenblatt in diesen ersten Jahren prägen zu können. Er war vor allem durch sein großartiges "Buch vom Elch" bekannt geworden. Sein Foto von dem "badenden Elch im Meer" gehört noch heute zu den schönsten Elchaufnahmen.

Nur sechs Jahre dauerte das Barackenleben, aber es blieb für alle, die damals ständig oder zeitweise dort tätig waren, unvergessen. Nicht nur wegen der Freude am Aufbau, sondern auch wegen der Schicksalsgemeinschaft und der damit verbundenen Kameradschaft. So ziemlich jeder hatte ja "nuscht", und das wurde auch noch geteilt. Und mancher Besucher hatte ein kleines Mitbringselchen in der Tasche, was Selbstgebackenes oder ein anderes Schmarakselchen aus der heimischen Küche, das brüderlich-schwesterlich geteilt wurde. Wenn ein Besucher von auswärts keine Bleibe hatte, dann wurden einfach am Abend einige Stühle zusammengestellt, eine Decke fand sich auch, und das Nachtquartier war fertig.

Für mich waren jene Jahre besonders gravierend, weil ich viele alte Weggefährten wiederfand und sich neue Freundschaften bildeten, die bis heute halten. Vor allem im ersten Barackenjahr, weil im Mai 1950 die Ostdeutsche Heimatwoche in Hamburg stattfand, zu der achtzigtausend Vertriebene an die Elbe kamen, um in einer überwältigenden Kundgebung für die verlassene Heimat zu sprechen. Und so sahen – oder lasen – wir uns wieder: Fritz und Margarete Kudnig, die wie Walter von Sanden-Guja und Toni Schwaller zum ersten Mitarbeiterstamm gehörten, Walter Scheffler, Hansgeorg Buchholtz, Gertrud Papendick, Erminia v. Olfers-Batocki, Charlotte Keyser, Ottfried Graf Finckenstein, dessen neuer Roman "Schwanengesang" in den ersten Ausgaben erschien, Markus Joachim Tidick, Karl Herbert Kühn und viele andere aus unserem ostpreußischen Kulturkreis. Zu dem auch die großartige Altistin Ursula Zollenkopf gehörte, die vor allem Lieder ihres Mannes Hansgeorg Zollenkopf sang und deren glänzende Laufbahn wenige Jahre später durch einen frühen Tod jäh beendet wurde. Zu früh gestorben wie die Schriftstellerin Gertrud Scharfenorth, wie die Schauspielerin Edith Schroeder, wie die Graphikerin Gertrud Lerbs-Bernecker, deren Steinzeichnungen damals auf der Nordostdeutschen Kunstausstellung gezeigt wurden.

Mit dieser bedeutenden Künsterlin, die übrigens als erste Frau ein Atelier an der Königsberger Kunstakademie bekam, verband sich ein besonderes Ereignis. Sie hatte noch in Königsberg einen Roman von mir illustriert, der kurz vor dem Druck stand. Er ging in den Kriegswirren verlorfen, ich hatte nicht einmal das Manuskript retten können, aber Gertrud Lerbs-Bernecker ihre Zeichnungen. Sie versteckte sie im Bettstroh ihrer Flüchtlingsunterkunft in der Lüneburger Heide. Und dann kamen kurz vor Kriegsende die freigelassenen polnischen Landarbeiter und steckten das Haus in Brand…! Das Buch ist nie erschienen.

Auch eine andere ostpreußische Künstlerin traf ich in der Baracke: die Malerin Dore Kleinert. Eine Fügung des Schicksals, daß ich ihr, die einst mein erstes Büchlein "De Läwensstruß" illustriert hatte, wiederbegegnete. Ich befand mich gerade in einer Zwangslage, die heute schwer zu erklären ist. Weil ich die Hamburg-Redaktion des Niedersächsischen Zeitungsverlages übernommen hatte, benötigte ich in Hamburg eine Bleibe. Ich fand auch trotz der Wohnungsnot ein Zimmer in einer Altbauwohnung, in der jeder Winkel, selbst Besenkammer und Flurgarderobe, vermietet war. Da ich drei Tage in der Woche in Lüneburg arbeiten mußte, vermietete die gerissene Wirtin in dieser Zeit einfach mein Zimmer noch einmal – mit Bett! Samt meiner Bettwäsche!

Natürlich lachte man in der Baracke, als ich von meinem Kummer erzählte, aber Dore sagte spontan: "Zieh doch zu mir, ich habe gerade eine Wohnung frei!"

Es war kein Scherz, ihrem Sohn war ein kleines Stadthaus vermacht worden, dort wohnte sie – und nun auch ich. Da es eine Drei-Zimmer-Wohnung war, zog die Schauspielerin Edith Schroeder bei mir ein, die schon in meinen Stücken in Königsberg gespielt hatte. Das ostpreußische Karussell drehte sich aber noch weiter: Als sie nach Bonn ging, übernahm der Zeichner Hans Jürgen Press das Zimmer – und das ist wieder eine Geschichte, die in der Baracke begann, in der viele junge Ostpreußen wirkten. Die ostpreußische Jugend war ungeheuer aktiv, ich erinnere nur an Hannes Rischko, Lieselotte Trunt und Claus Katschinski, um wenigstens einige zu nennen.

Ja, und da begegnete ich eines Tages einem jungen Mann, der an einem winzigen Tischchen saß und an einer Karikatur arbeitete. Hans Jürgen Press aus Waldfließ bei Lötzen hatte, aus englischer und amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen und nach Hamburg gekommen, den Weg zur Baracke gefunden und zeichnete nun für Das Ostpreußenblatt. Seine lustigen Bildgeschichten und Illustrationen, vor allem aber die von ihm entwickelten Spiele und Rätsel, zeigten schon damals eine ganz besondere Note, denn die Natur spielte irgendwie immer mit. Er hatte wirklich seine masurische Kindheit in die Tasche gesteckt und sie mitgenommen, nun packte er sie aus. Wir fanden bald einen gemeinsamen Nenner, vor allem im Gestalten von Kinderseiten und Jugendbüchern. So entwickelten wir für Das Ostpreußenblatt eine Reihe "Der kleine Rasemuck" mit ostpreußischen Märchen, Sagen und Geschichten für Kinder, ergänzt durch Bastelanleitungen, Spielen und Wissenswertem aus der Natur. Diese gemeinsame Arbeit führten wir jahrelang mit einem Kinderkalender "Das Karussell" weiter. Hans Jürgen Press ging dann zu einer Illustrierten, schrieb und zeichnete Kinder- und Jugendbücher wie "Der Natur auf der Spur" und "Spiel – das Wissen schafft", die ihn weltbekannt machten, denn sie wurden in rund 30 Sprachen, darunter auch Lettisch und Afrikaans, übersetzt. Die nie getrübte Freundschaft, die unsere Lebenspartner mit einschloß, hielt über ein halbes Jahrhundert bis heute.

Und auch eine andere Freundschaft manifestierte sich, die sich auch für Das Ostpreußenblatt als sehr fruchtbar erwies. Sie kam allerdings erst zustande, nachdem am 15. März die Bundesgeschäftsführung der Landsmannschaft Ostpreußen in die Parkallee umgezogen war, wo Redaktion, Vertrieb und Anzeigenabteilung in einem der beiden nebeneinander liegenden Häuser untergebracht wurden. Endlich hatte man die nicht mehr erträgliche Enge der Baracke hinter sich und konnte jetzt die immer stärker werdenden Anforderungen an eine Wochenzeitung erfüllen, die ständig an Gewicht im politischen und kulturellen Leben der Bundesrepublik gewann. Da wurden auch mehr Mitarbeiter gebraucht, und so fragte mich Chefredakteur Kakies eines Tages, ob ich nicht einen Redakteur wüßte, der vor allem heimatkundliche Kenntnisse mitbrächte. "Ich wüßte schon jemanden", sagte ich. "Wo ist er?" fragte der alte "Elch" – diesen Spitznamen hatte er bei uns weg. "Es ist eine sie", antwortete ich. Eine Frau? So selbstverständlich war das damals durchaus nicht, denn Redakteurinnen gab es fast nur bei Frauenzeitschriften und Kundenmagazinen. Die meisten Vollredaktionen waren fest in männlicher Hand.

Diese Frau war Ruth Maria Wagner. Wir hatten schon zusammen beim Reichssender Königsberg gearbeitet, damals hieß sie Ruth Grunewald. Jetzt, nach manchen schweren Schicksalsschlägen, war sie als freie Funkreporterin in Niedersachsen tätig, ein schwerer Job für eine Familienmutter, und sie hatte mich bei einem Hamburgbesuch gebeten, wenn ich etwas wüßte, es ihr mitzuteilen. Nun wußte ich, und sie kam, um den Platz einzunehmen, den sie 20 Jahre lang mit der ganzen Wucht ihrer Persönlichkeit, ihres Könnens und ihrer Kenntnisse ausfüllen sollte. Martin Kakies war sehr mit der ersten weiblichen Redakteurin zufrieden. Er leitete das Blatt bis 1959, dann folgte ihm Eitel Kaper, ein ernster Mann mit großem Wissen und Fleiß, bis ihn 1967 Hugo Wellems ablöste, der Das Ostpreußenblatt in fast drei Jahrzehnten zu einer Wochenzeitung mit starkem politischen Gewicht prägte und damit neue Leserkreise hinzugewann. Mit seiner dominierenden Art bestimmte er Alltag und Feste, die er mit leichter Hand zu organisieren verstand.

Unvergessen jene Episode, als zu einer Feierstunde Otto von Habsburg und Prinz Louis Ferdinand in die Parkallee kamen. Kein großartiger Empfang, keine lange Laudatio: Da auch der Inhaber der Klischeeanstalt Kaiser geladen war, begrüßte Wellems die Gäste einfach zu einem "Drei-Kaiser-Treffen"! Von seinem Charakterkopf fertigte der ostpreußische Bildhauer Georg Fuhg – auch schon in der alten Baracke ein gerngesehener Gast, weil er immer ein willkommenes Mitbringsel in der Tasche hatte – eine Büste an, die auf einem Schrank im Zimmer des Chefredakteurs stand. Wenn Wellems hereinkam am Morgen, stülpte er den Hut einfach auf sein bronzenes Haupt.

Es war schon ein kraftvolles Gespann, das der Redaktion vorstand: der Rheinländer Wellems und die Ostpreußin Ruth Maria Wagner, trotz verschiedener Temperamente glänzend zusammenarbeitend, weil sie gemeinsam die breitgefächerte Skala der Aufgaben, die Das Ostpreußenblatt erfüllen sollte, abdeckten. Und die gesamte Redaktion mit. So war es kein Wunder, daß man überlegte, noch näher an den einzelnen Leser mit seinen Wünschen und Problemen heranzukommen und "Die Ostpreußische Familie" ins Leben rief. Eine Aktion, die unter dem Leitsatz "Du sollst nicht mehr allein sein" stand, weil man vor allem an die älteren, alleinlebenden Landsleute dachte. Was aus dieser kleinen Spalte wurde, ersehen die Leserinnen und Leser in jeder Woche aus dem Ostpreußenblatt.

Zuerst hatte Friedrich Ehrhardt als zuständiger Redakteur die Spalte betreut, nach dessen Tod übernahm Ruth Maria Wagner diese Aufgabe und reichte sie dann im August 1979 an mich weiter. Mit einiger Skepsis, denn ich war damals gerade nach einer schweren Operation aus dem Krankenhaus gekommen und sah wohl ziemlich alt aus, so daß nach der Übergabe Wellems zu Frau Wagner sagte: "Na, hoffentlich macht sie es wenigstens ein Jahr!" Nun, inzwischen sind es über 20 Jahre geworden

Ich denke gerne an jene Zeit zurück, die viel Arbeit brachte, denn ich hatte ja als Hauptätigkeit die Hamburg-Redaktion beibehalten, aber auch Anerkennung und Freude am gemeinsamen Schaffen. Nicht nur mit der Redaktion des Ostpreußenblattes, sondern auch mit der Kulturabteilung der Landsmannschaft Ostpreußen, in der vor allem Hanna Wangerin, alte Weggefährtin aus Heimattagen, Unvergeßliches leistete. Ihrer Tätigkeit ist es zu verdanken, daß ostpreußisches Kulturgut bewahrt und gepflegt wurde und daß die ostpreußischen Frauen mehr Gewicht in der landsmannschaftlichen Arbeit bekamen. Ihr absoluter – und resoluter – Einsatz für den Erhalt unserer Kultur, vor allem für Liedgut und Kunsthandwerk und für deren Dokumentation in Arbeitsbriefen und Broschüren, beflügelte alle, die mit ihr zusammenarbeiteten. Ich denke da besonders an Hedwig v. Lölhöffel, die Tochter der Dichterin Erminia v. Olfers-Batocki, die ich noch als junge Gutsherrin von Tharau erlebt hatte, eine Freundschaft, die bis zu ihrem Tod hielt.

Der Tod: Er riß leider viel zu frühe und zu große Lücken in diese Arbeits- und Schicksalsgemeinschaft der Ostpreußen. Ich muß an Erich Scharfenorth erinnern, diesen glänzenden Schriftsteller und Zeichner, der als Redakteur eine heitere Komponente schon in das junge Ostpreußenblatt brachte, weil er Wissenswertes so leicht und lesbar vermitteln konnte. An Hans-Ulrich Stamm, der sich auch als Buchautor einen Namen machte, wie Ruth Maria Wagner, nach deren krankheitsbedingtem Ausscheiden 1976 Silke Steinberg nahtlos das Aufgabengebiet übernahm, das sie vor allem in der Frauen- und Kulturarbeit – jetzt unter ihrem Ehenamen Silke Osman – bis heute weiterführt. Keine andere Zeitung dokumentiert ostdeutsches Kulturgut so vielseitig wie Das Ostpreußenblatt.

30 lange Jahre konnte dagegen der Schriftsteller Paul Brock beim Ostpreußenblatt wirken, der Autor großer Romane und Erzählungen, die ihren Stellenwert im ostpreußischen Schrifttum haben. Auch ihn kannte ich schon aus Königsberg, aber wir kamen uns erst in der Parkallee näher, wo er, der früher so Unstete, täglich seine Aufgaben in Redaktion und Archiv erfüllte, die ihren Niederschlag in einer Fülle von Beiträgen fanden. Sein Lebenswerk wurde kürzlich anläßlich seines 100. Geburtstages im Ostpreußenblatt gewürdigt. Von ihm fertigte Georg Fugh ebenfalls eine Büste an.

Auch einer, für den Das Ostpreußenblatt zur Lebensaufgabe wurde, ist Horst Zander, jahrzehntelang für viele Ostpreußen der Ansprechpartner, wenn es um kleine und große Fragen ging, die er mit Geduld zu erfüllen versuchte. Daß er auch heute nach altersbedingtem Ausscheiden für Ostpreußen und seine Heimat Pommern tätig ist, beweist sein nie erloschenes Engagement für die Vertriebenen.

Ihnen allen und noch vielen, vielen anderen Landsleuten und Freunden bin ich im Haus der Landsmannschaft Ostpreußen begegnet, habe mit ihnen zusammengearbeitet oder Kenntnisse und Erfahrungen ausgetauscht. Bis heute – aber das steht auf einem anderen Blatt. Denn ich sollte ja zu den Wurzeln der Landsmannschaft Ostpreußen und damit zu den Uranfängen des Ostpreußenblattes zurückkehren. Die Baracke steht nicht mehr, man kann kaum noch ausloten, wo sie sich befand – etwa an der Stelle der heutigen "Schwimmoper". Aber wie lebendig alles in Erinnerung geblieben ist, welch ein starker Baum aus diesen Wurzeln wurde, der auch heute reiche Früchte trägt – wie sagte man doch tohuus: Ein alter Birnbaum trägt die süßesten Kruschkes! –, das wurde mir eigentlich erst beim Schreiben dieser Zeilen bewußt. Und so wird es auch allen gehen, die irgendwann einmal dabei waren, vielleicht sogar von der Stunde 1 an, wie Rautgunde Masuch, auch ein "Urgestein" der Landsmannschaft, die damals in der Buchhaltung begann und als deren Leiterin bis vor kurzem gearbeitet hat. Und die heute noch kommt, wenn sie gebraucht wird. Mag ihr Name für alle stehen, die im Laufe eines halben Jahrhunderts in der Baracke und in der Parkallee gearbeitet haben.

Und eins ist mir beim Schreiben dieser kleinen Chronik aufgefallen, was im Pressewesen sehr selten ist: Wie lange die meisten Mitarbeiter in ihrer Stellung blieben. Allein die Tatsache, daß im Laufe von fünfzig Jahren nur fünf Chefredakteure dem Blatt vorstanden – Martin Kakies, Eitel Kaper, Hugo Wellems, Horst Stein und Elimar Schubbe – besagt, daß die Arbeit beim Ostpreußenblatt für alle, die es gestalten, weitaus mehr ist als ein Zeitungsjob. Es ist eben engagiertes Wirken für unsere Heimat, für die Bewahrung ihrer Vergangenheit, für ihren erkennbaren Platz in der Gegenwart und für ihren Weg in die nahe und ferne Zukunft.

Und auch das zeugt für preußische Beständigkeit und Bewahrung des Bewährten: Ein halbes Jahrhundert lang wird Das Ostpreußenblatt bei Rautenberg in Leer gedruckt, von der Probenummer an bis zu heutigen Ausgaben.