25.04.2024

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08.04.00 Das historische Kalenderblatt: 8. April 1906

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. April 2000


Das historische Kalenderblatt: 8. April 1906
Ultima ratio des Seekrieges
Mit der Schaffung einer U-Boot-Waffe wurde das Völkerrecht auf den Prüfstand gestellt
Von Philipp Hötensleben

Als am 8. April in der Germania-Werft zu Kiel mit "U 1" der Grundstein für die deutsche U-Boot-Waffe gelegt wird, bedeutet dies nicht nur die Eröffnung eines neuen Kapitels der Seekriegs- und Technikgeschichte. Damit ist auch ein Seekriegsmittel zur Einsatzreife entwickelt worden, dessen Gebrauch in beiden Weltkriegen zu heftigen völkerrechtlichen und politischen Kontroversen führt.

Im 1. Weltkrieg wird das U-Boot als neuzeitliches Seekriegsmittel von der deutschen Marine in taktische und zeitweise auch strategische Dimensionen erhoben. Mit dem Einsatz des U-Bootes als Ultima ratio des Seekrieges beschreitet die deutsche Marine ein Terrain, auf dem bis dahin weder in militärischer noch in politischer oder völkerrechtlicher Hinsicht Erfahrungen haben gesammelt werden können. Dieses ursprünglich als Neben- und Hilfswaffe für die Streitkräfte der Hochseeflotte entwickelte Fahrzeug ist bei Kriegsbeginn antriebs- und waffentechnisch so weit entwickelt, daß sein eigener, von den Überwasserstreitkräften weitgehend unabhängiger operativer Einsatz erstmals möglich wird. Gerade in der Hand des seestrategisch Schwächeren kann es, wenn es zielgerichtet und operativ richtig eingesetzt wird, zu einer außerordentlich effektiven und damit gefährlichen Waffe werden. Eine seestrategisch unterlegene Macht wie das kaiserliche Deutschland, deren Überwasserflotte nicht in der Lage ist, die feindlichen Seeverkehrswege wirkungsvoll zu unterbrechen, muß sich daher im Interesse der Gesamtseekriegsführung für die Verwendung des U-Bootes im Handelskrieg entscheiden. Aus diesem Grunde fällt die Aufgabe, den britischen Überseehandel zu stören, im Ersten Weltkrieg weitestgehend den deutschen U-Booten zu.

Die Führung des Handelskrieges mit U-Booten bedroht jedoch nicht nur Schiffe und deren Fracht, sondern vor allem auch Menschenleben. Aufgrund der speziellen baulichen Eigenschaften der U-Boote und der Besonderheiten ihres Unterwassereinsatzes verbietet sich vom rein militärischen Standpunkt aus die Einhaltung der geltenden völkerrechtlichen Bestimmungen, die eine Führung des Handelskrieges nach dem Prisenrecht vorsehen. Wie im Landkrieg vollzieht sich auch im Seekrieg die Aneignung feindlichen Staatseigentums ohne jede Formalität. Dagegen vollzieht sich die Aneignung von Privateigentum im Seekrieg nach den besonderen Grundsätzen des Prisenrechts. Schiff oder Ladung, oder beides, sind Gegenstand der Aneignung, also Prise. Der Nehmerstaat eignet sich das feindliche Privateigentum und neutrale Prisen auf der Grundlage eines rechtlich geordneten Verfahrens an. So hat der U-Boot-Kommandant das betreffende Schiff vor der Wegnahme oder Versenkung anzuhalten und auf Konterbande durchsuchen zu lassen. Auch hat er für die unbedingte Sicherheit der Besatzung des Schiffes Sorge zu tragen. Es liegt auf der Hand, daß diese rechtlichen Forderunge nur schwer mit den Eigenarten des kleinen, langsamen, auf Unsichtbarkeit bedachten und leicht verletzlichen U-Bootes in Einklang zu bringen sind.

Im Verlauf der Ersten Haager Friedenskkonferenz von 1899 wird erstmals über die Verwendung von U-Booten verhandelt, da Rußland den Antrag gestellt hat, den Einsatz von U-Booten zu verbieten. Diesem Antrag stimmen lediglich vier Staaten zu. Der Vertreter Deutschlands erklärt seine Zustimmung nur unter der Bedingung der Einstimmigkeit, ebenso Italien, Japan und Rumänien. Frankreich und acht weitere Staaten votieren gegen ein Verbot, während die USA und Österreich-Ungarn sich die volle Freiheit im Gebrauch der U-Boote vorbehalte. Großbritannien verhält sich ausweichend, indem es seine Zustimmung von derjenigen aller anderen Großmächte abhängig macht, die allerdings nicht zu erwarten ist. Mit der Verneinung der Frage des deutschen Delegierten, ob in der Frage der U-Boot-Kriegführung noch weitere Instruktionen einzuholen seien, ist das U-Boot damit als völkerrechtlich zulässiges Seekriegsmittel mit dem Status eines vollwertigen Kriegsschiffes de facto anerkannt. Ein Verbot des Einsatzes von U-Booten läßt sich aus den Sitzungsprotokollen jedenfalls nicht ableiten. Damit darf das neue Kriegsmittel zur Durchführung einer Blockade oder zur Beseitigung einer solchen eingesetzt werden. Hierbei kann es unter Ausnutzung seiner spezifischen EIgenschaften als Unterwasserfahrzeug verwendet werden, die den russischen Antrag ursprünglich ausgelöst hatten und die ihm eine Kreuzerkriegführung nach den Regeln des Prisenrechts nur unter Gefährdung der eigenen Sicherheit gestatten.

Auf der Zweiten Haager Friedenskonferenz im Jahre 1907 werden weitere seekriegsrechtliche Abkommen getroffen. Die Tatsache, daß die Frage des Einsatzes von U-Booten auf dieser Konferenz nicht wieder aufgeworfen wird, kann als Zustimmung zu der auf der Ersten Haager Konferenz zustande gekommenen Anerkennung des U-Bootes als Seekriegsmittel gewertet werden.

Auf Einladung Großbritanniens findet Ende 1908 in London eine Konferenz statt, auf der die Lücken der Pariser Seerechtsdeklaration und des seerechtlichen Teils des Haager Abkommens geschlossen und das völkerrechtlich kodifiziert werden soll, was sich in den vorangegangenen Jahren als völkerrechtliches Gewohnheitsrecht herausgebildet hat. Im Verlauf der Konferenz können sich die Delegierten über eine Aufstellung der bedingten und unbedingten Konterbande und einer Freiliste einigen, wodurch nun endlich wesentliche Festsetzungen bezüglich der Klassifizierung von Gütern als Konterbande getroffen sind. Hinsichtlich der Blockade werden in London die Grundsätze der Pariser Seerechtsdeklaration erneuert, daß seine Blockade effektiv sein müsse, um Rechtswirksamkeit zu erlangen, und daß sie niemals den Zugang zu neutralen Häfen versprerren dürfe.

In der Frage der Zerstörung von Handelsschiffen kann lediglich ein Kompromiß erzielt werden, der vorsieht, daß ein beschlagnahmtes neutrales Handelsschiff grundsätzlich in einen Hafen zu bringen sei, wo von einem Prisengericht über die Rechtmäßigkeit der Wegnahme entschieden werden könne. Eine Ausnahme ist nur unter Umständen gestattet, unter denen das wegnehmende Kriegsschiff bei rechtmäßiger Behandlung des wegzunehmenden Handelsschiffes sich einer großen Gefahr aussetzen würde.

Im Verlauf des Ersten Weltkrieges zeigt es sich, daß der Einsatz des U-Bootes als Seekriegsmittel deutscherseits überwiegend in dem durch die internationale Rechtsordnung gesteckten Rahmen erfolgt, während die britische Seeblockade von Beginn an gegen das Seekriegsrecht und die Grundsätze der Humanität verstößt. Auch im Zweiten Weltkrieg, in dem das U-Boot erneut strategische Bedeutung erlangt, verhalten sich die deutschen Kommandanten völklerrechtskonform, bis sie durch die gegnerischen Seekriegsmaßnahmen in den bedingungslosen U-Boot-Krieg gezwungen werden. Trotzdem ist die deutsche Seekriegführung in beiden Weltkriegen heftigen Anfeindungen durch die Neutralen ausgesetzt.