19.04.2024

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06.05.00 Krise in Simbabwe läßt europäische Regierungen erstaunlich kalt.

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 06. Mai 2000


Wahrnehmungen
Krise in Simbabwe läßt europäische Regierungen erstaunlich kalt.
Von Peter Fischer

Als die noch junge Sowjetunion 1922 ihre Hauptstadt von der Newa an die Moskwa verlegte, war dies mehr als eine geographische Fingerübung oder ideologische Willkür: es war der demonstrative Fingerzeig auf die brüske Abwendung von den zarischen, genauer den petrinischen Traditionen, die den Anschluß an die Mitte Europas suchte. Die Marxschen Lehren, ein Konvolut von kopfstehenden Thesen Hegels und verworrener jüdisch-messianischer Prophetie, kamen aus Deutschland wie Lenins Großmutter, und zu Teilen auch das Geld für das deutsche Planspiel, das die Ostfront ausschalten sollte (Trotzki brachte aus Übersee den übergroßen Restbetrag mit, damit der Bolschewismus recht gedeihen konnte).

Es bedurfte dann nur noch eines raumfernen Politikers, der in der Person des entsprungenen Priesters Stalins daherkam, um die Russen vollends von den deutschen Bindungen abzuschneiden. Was natürlich auch umgekehrt galt: Stalin habe mit seiner einmalig blutigen Politik, so Wolf Jobst Siedler, das Gesicht der Deutschen nach Westen gekehrt.

Wenn jetzt einer der wenigen noch urteilsfähigen deutschen Publizisten, Herbert Kremp, in der "Welt" darauf aufmerksam macht: "Wladimir Putin betrachtet Europa aus der Petersburger Perspektive: Für ihn ist Rußland ein Teil Europas, wobei Deutschland als Zentralmacht in der Nato und als stärkster Partner in der EU eine Schlüsselrolle zukommt", dann ist dies ernstzunehmen. Es scheint erste Anzeichen für eine Wandlung in der russischen Deutschlandpolitik zu geben. Es blieb ja auch für den unaufmerksameren Beobachter des Wirkens Jelzins unverkennbar, daß der alkoholsüchtige Sibiriake und Duz-Freund Kohls von Anfang an seinem schweren Amte nicht gewachsen war und objektiv die Geschäfte der überseeischen Gegenmacht besorgte.

Mutmaßlich nur durch die Gunst der umbrechenden Stunde aufs prokapitalistische Pferd gesetzt, unfähig, deren Schwächen zu erkennen, ließ er alsbald die Zügel im Interesse privater Geschäfte schleifen, während gleichsam eine verwegene Chasarenschar mit der nomadischen Gewohnheit, Leben nur für den Augenblick zu sichern, fest ins frisch entfachte Geschäftsleben einführte. Insofern kann möglicherweise die von Kremp Putin unterstellte neue Sichtung der alten geopolitischen Perspektive als ein erstes Zeichen für eine Konsolidierung der russischen Politik zu werten sein. Daß dies vorläufig noch völlig unabhängig von Berlin geschieht, bleibt unerheblich. Aber man vergleiche nur die unterschiedlichen Stellungnahmen von Fischer und Schröder, um zu sehen, wie ungebrochen der Liebling der US-Außenministerin die Beendigung des Tschetschenienkrieges als "vordringlich" in den Mittelpunkt seiner Grußbotschaft aus Anlaß der Präsidentenwahl stellte, während von einem speziellen Anliegen, Wesen konstruktiver Außenpolitik, kein Wort zu finden war. Schröder betonte immerhin noch die unausgeformte strategische Partnerschaft. Zu Putins neuen Akzenten gehören immerhin die Neubesinnung auf etatistische Elemente, die gerade die fatale russische Neigung zu Anarchie und Gleichmut eindämmen könnte. Auch das Militär, seit Jahren Gegenstand von Hohn und Spott der Moskau bekämpfenden Völkerschaften, scheint eine Akzentuierung erfahren zu haben, die Washington zumindest in Sachen Atomschlag polemisch reagieren ließ. Selbstverständlich ist der seit Jahren währende Abfluß von Spitzenkräften aus Wissenschaft und Technik nicht mit einem administrativen Federstrich zu beheben. Bedeutsam auch, daß der russische Gouverneur in Ostpreußen nunmehr direkt wieder Moskau unterstellt bleibt, nachdem Gorbenkos mediterrane Ausverkaufsspiele jäh unterbunden wurden.

Auch aus der intellektuellen Sphäre Rußlands melden sich allmählich Stimmen, die zumindest in der Analyse ihre deutschen Kollegen weit übertreffen: Schrieb doch unlängst Gennadij Bondarew: "Wenn man die geistigen Früchte Mitteleuropas aufzählen will, so läuft man Gefahr, vor Begeisterung außer sich zu geraten, denn wir haben da ein ganzes Universum ..." "Doch das höchste Erstaunen angesichts dieser Schätze wandelt sich zu einem Erstaunen entgegengesetzter Art, wenn man von Vertretern der deutschsprachigen Völker selber, die mit großer innerer Befriedigung vorgebrachte Äußerung vernimmt, daß die deutsche Geschichte endlich richtiggestellt sei und nun einer großen ,Verbrecherkartei‘ gleiche".

Wer in Ketten liegt, kann vielleicht nicht den befreienden Hammerschlag führen, aber er sollte wenigstens wahrnehmen, wer mit einer Laubsäge wedelt ...