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13.05.00 Europäische Integration: Entscheidung 2002

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 13. Mai 2000


Europäische Integration: Entscheidung 2002
Der französische Ökonom Alain Cotta im Gespräch mit dem Ostpreußenblatt: Vom neuen deutschen "Imperialismus", dem möglichen Scheitern des Euro und Frankreichs erstarkenden "Souveränisten"

Ostpreußenblatt: Herr Professor Cotta, die gegenwärtigen wirtschaftlichen Konflikte scheinen sich auf drei Zonen zu konzentrieren: die Europäische Union, Amerika und die japanisch-chinesische Region. Glauben Sie, daß eine Zusammenarbeit zwischen diesen drei Zonen entwickelt werden muß, oder muß nicht vielmehr die Europäische Union auf eigenen Beinen stehen?

Cotta: Diese Frage ist sehr schwierig, und zwar aus einem wichtigen Grund: Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hat ein Gewicht, das dem der Vereinigten Staaten gleichkommt. Die japanisch-chinesische Zone nähert sich ihrer Bedeutung nach der der beiden anderen Zonen an. Aber tatsächlich ist der globale Status dieser drei Zonen sehr verschieden voneinander. Die Europäische Union ist, vom Standpunkt des Welthandels betrachtet, die global ausschlaggebende Region mit rund einem Drittel seiner wirtschaftlichen Aktivität, die in einer Richtung in den Export geht und in die andere Richtung in den Import. Die zentrale Frage ist jene nach dem Anteil Europas an der Globalisierung. Mein Gefühl ist, daß Europa seinen Anteil an der Öffnung der Welt nicht vergrößern kann. Es repräsentiert bereits jetzt fünfzig Prozent des Welthandels. Es wäre an den beiden anderen Regionen, ihren Anteil am Welthandel zu erhöhen. In anderen Worten: ich bin nicht für eine "Festung Europa" aber auch nicht für ein ganz offenes Europa.

Ich glaube, daß im Hinblick auf die Öffnung nach außen die Aufrechterhaltung des Status quo in Europa wünschenswert wäre; was Amerika und die asiatische Zone angeht, so werden diese beiden sich im Durchschnitt noch etwas öffnen müssen.

Welche wirtschaftspolitische Rolle sollte Ihrer Meinung nach die Europäische Union gegenüber einem noch unterentwickelten Rußland einnehmen?

Es ist zwar keine Fangfrage, aber Ihre Frage scheint mir doch falsch gestellt. Es gibt keine Wirtschaftspolitik Europas. Die Staaten wie Großbritannien, Italien, Frankreich oder Deutschland haben jeder für sich eine eigene Wirtschaftspolitik. In dieser Hinsicht ist Europa lediglich virtuell. Wir sind gegenwärtig Zeuge einer Rückwärtsbewegung in Konstruktion und Begriff eines politischen Europa. Es gibt keine europäischen Staatsbürger, es gibt aber auch gleichzeitig immer weniger nationale Staatsbürgerlichkeit.

Ich weise also Ihre Frage zurück. Denn es gibt keine europäische Politik gegenüber Rußland, und es wird sie auch nicht geben. Die Schwäche Rußlands kann nur die zweiseitigen zwischen den europäischen Staaten – jeder für sich genommen – und Rußland begünstigen. Die Krise Europas ist offensichtlich.

Glauben Sie, daß die Furcht vor einer Allianz zwischen Deutschland und den früheren kommunistischen Ländern Mittel- und Osteuropas eine Erweiterung der Europäischen Union nach Osten bremst?

Jede Geschichte Deutschlands seit 1871 zeigt, daß Deutschland seit diesem Datum die Augen nach Osten gerichtet hat und seine Augen nach Westen relativ geschlossen sind. Das hat bis Kohl gedauert. Die Ära Kohl hat sich von der vorhergehenden Periode scharf getrennt. Kanzler Kohl hat die Verankerung im Westen gewollt, auch wenn die Beziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland niemals wirklich gut sein werden. Ich sage, daß die verstärkte Hinwendung Deutschlands in Richtung Osten des Kontinents auch Frankreich in Richtung auf eine Art neues Deutsches Reich lenken wird und daß die "Liquidation" von Kohl bedeutet, daß die Deutschen sich von der Allianz mit dem Westen entfernen. Meiner Meinung nach wird Deutschland erneut nach Osten schauen, wird sein Imperialismus in neuen Formen wiedergeboren werden und andere Formen annehmen als unter der Ära Kohl.

Man hat in diesem Zusammenhang allerdings noch nicht die Bedeutung der beiden Treffen zwischen dem britischen Premierminmister Tony Blair und dem neuen russischen Präsidenten Putin eingeordnet.

Was halten Sie von dem britischen Euro-Skeptizismus? Glauben Sie, daß die anderen Mitgliedsstaaten Großbritannien links liegenlassen können oder dürfen?

Ich war immer davon überzeugt, daß die Briten recht behalten würden. Die britische Politik in bezug auf Europa folgt zwei Zielen, einem negativen und einem positiven. Das erste, negative Ziel ist zu verhindern, was man ein französisch-deutsches Kondominium nennen könnte. Man denke an die ausgezeichneten Beziehungen zwischen Schmidt und Giscard oder Kohl und Mitterrand.

Das zweite Ziel der britischen Politik, das, was man das positive Ziel nennen könnte, ist: die Briten wollen, daß Europa ein Ort des freien Austauschs ist. Sie wollen bei dem Abkommen von 1975 bleiben, andererseits lehnen sie das Aufgehen oder die Integration der Staats-Nationen in ein Europa der Regionen ab. Das ist die Politik Großbritanniens seit dreißig Jahren. Das Vereinigte Königreich wird jede Form von europäischer politischer Integration verhindern und wird dazu beitragen, einen Einheitsstaat nach französischem Vorbild zu Fall zu bringen. Und ich glaube, daß die Engländer recht haben mit ihrer Abneigung gegen die jakobinische Vision eines Europa.

Wie war die Reaktion Frankreichs auf das Wirtschaftsspionagesystem "Echelon"?

Es gab keinerlei Reaktion, die man "populistisch" nennen könnte. Das scheint dem durchschnittlichen Franzosen alles sehr fern zu liegen. Von seiten der Staatsautoritäten und den betroffenen Wirtschaftskreisen hat das einen Grund: Es gab keine Reaktion, weil wir nichts tun können. Die Vereinigten Staaten sind uns weit voraus – und das für eine lange Zeit.

Um auf die Themen vom Anfang unseres Gesprächs zurückzukehren: Glauben Sie, daß es in einem "Europa der Vaterländer" oder vielleicht in einem "Europa der Europäer" eine Art Halt gegenüber einem immer weiterreichendem Verzicht auf nationale Souveränität in Europa geben könnte?

Da kommen wir zurück auf das, was ich Ihnen über die englische Politik gesagt habe. Es gibt auf Ihre Frage mehrere Antworten.

Zuerst: Es ist durchaus möglich, daß wir eben nicht noch weiter fortfahren, ganze Teile unserer Souveränität aufzugeben. Es gibt keine "Unumkehrbarkeit". Und ich bin daher keineswegs sicher, ob sich die einheitliche europäische Währung tatsächlich verwirklicht. Wenn ich daran denke, daß die Ukraine im Jahre 1991 innerhalb von einer Woche die Rubel-Zone verlassen konnte, dann glaube ich, daß alle Hypothesen offen sind. Auch wenn der Euro 2002 das einzige Geld wird, dann wird das nicht unumkehrbar sein.

Zweitens: Man hilft dabei, die nationale Souveränität abzubauen, ohne dabei gleichzeitig an die Neuerrichtung einer europäischen Souveränität zu denken. Meiner Meinung nach könnten die einzelnen Staaten sehr wohl Teile ihrer Souveränität wieder in Besitz nehmen. Schon deshalb, weil die politischen Körperschaften sich durch ihre Aktivitäten rechtfertigen. Zur Zeit kommen 80 Prozent der derzeitigen neuen französischen Gesetzestexte aus Brüssel.

Schließlich drittens: Die großen sozialen Probleme, die die Franzosen vor allem beschäftigen, insbesondere die Innere Sicherheit, können nur von Paris aus behandelt werden. Es scheint mir, daß eine Rückkehr zum Vorrang des französischen Staates nicht unmöglich ist. Die Entscheidung hierüber wird im Jahre 2002 fallen. Zum einen mit der Einführung der einheitlichen Währung, zum anderen mit der französischen Präsidentschaftswahl. Die französischen Politiker werden wieder das werden, was wir in Frankreich "Souveränisten" nennen.