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13.05.00 USA: Vor 25 Jahren erlosch die Aura der Unbesiegbarkeit

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 13. Mai 2000


Vietnam: Die gedemütigte Weltmacht
USA: Vor 25 Jahren erlosch die Aura der Unbesiegbarkeit
Von STEFAN GELLNER

Den Fluß hinaufzufahren war eine Reise zurück zu den frühesten Anfängen der Welt, als noch die Pflanzen zügellos die Erde überwucherten und die großen Bäume Könige waren. Ein leerer Strom, ein großes Schweigen, ein undurchdringlicher Wald ... Es war die Stille einer unversöhnlichen Macht, die über einer unerforschlichen Absicht brütete. Sie blickte einen mit rachgieriger Miene an", schreibt der in der Ukraine geborene englische Schriftsteller Joseph Conrad in seiner 1899 erschienenen Novelle "Herz der Finsternis".

So oder so ähnlich müssen die amerikanischen GIs empfunden haben, die in den undurchdringlichen Regenwäldern Südvietnams einen demoralisierenden Abnutzungskrieg gegen einen weithin unsichtbaren Gegner führten. Je länger der Krieg in Vietnam dauerte, desto mehr wurden die tropischen Regenwälder zum seelischen Schicksalsraum der USA, zur unversöhnlichen Macht, an der die scheinbar unbesiegbare US-Kriegsmaschinerie zu guter Letzt scheiterte. Beispielhaft faßte jenen Albtraum das Meisterwerk "Apocalypse Now" (1978) des amerikanischen Filmregisseurs Francis Ford Coppola in Bilder, der Joseph Conrads angesprochene Novelle kongenial auf den Vietnamkrieg übertrug. Coppolas Film hinterließ noch in einer anderen Hinsicht Spuren. Er machte den Hubschrauber zum Symbol des Vietnamkrieges. Kein militärischer Verband der US-Truppen, der in Vietnam eingesetzt wurde, kam ohne Helikopter aus. Sie dienten sowohl der Beschaffung von Nachschub als auch dem Abtransport von Verwundeten, als auch der Aufklärung bzw. der Bekämpfung gegnerischer Einheiten aus der Luft.

Der Glaube des US-Verteidigungsministeriums, durch ein entsprechendes "war management" jedes Problems Herr werden zu können, wurde durch den Vietnam-Krieg gründlich erschüttert und bildete einen Teil dessen, was seit dem Ende des Engagements der USA in Vietnam als "Vietnamtrauma der USA" bezeichnet wird. Wie siegessicher die Amerikaner zunächst waren, zeigen zwei Aussagen, die exemplarisch stehen: 1962 erklärte der damalige Justizminister und Präsidentenbruder Robert Kennedy: "Wir werden in Vietnam siegen. Wir bleiben so lange hier, bis wir gesiegt haben." Im selben Jahr versicherte US-Verteidigungsminister McNamara: "Jeder uns zur Verfügung stehende Maßstab zeigt, daß wir diesen Krieg gewinnen." Daß die USA in Vietnam in eine furchtbare kriegerische Verwicklung geraten könnten, war alles andere als absehbar.

Vietnam gehörte zunächst der "Indochinesischen Union" an, die von Frankreich gegen Ende des 19. Jahrhunderts geschaffen wurde. Diese umfaßte fünf Verwaltungseinheiten: Kotschinchina (südliches Vietnam), Annam (Mittelvietnam), Tonkin (nördliches Vietnam) sowie Kambodscha und Laos. Zur zentralen Figur für den Unabhängigkeitskampf Vietnams wurde schließlich der junge vietnamesische Auslandsjournalist Ho Chi Minh, der die Formel vom "Selbstbestimmungsrecht der Völker", die US-Präsident Wilson 1917 in die Welt setzte, zum Anlaß nahm, den Kampf gegen die französische Kolonialmacht aufzunehmen. Vorrangig zu diesem Zweck gründete Ho Chi Minh 1929 die Kommunistische Partei Indochinas, die einem starken Verfolgungsdruck ausgesetzt war. Um den Widerstand auf eine breitere Plattform stellen zu können, rief Ho Chi Minh 1941 die "Liga für die Unabhängigkeit Vietnams" ins Leben, die später unter dem Kürzel "Vietminh" weltweit bekannt wurde. Die ersten Kontakte der US-Streitmacht mit Ho Chi Minh waren zunächst von gegenseitiger Sympathie geprägt. Während des Zweiten Weltkrieges kämpften Ho Chi Minhs Partisanen gegen die Japaner und halfen, abgeschossene amerikanische Piloten vor den Japanern in Sicherheit zu bringen. Darüber hinaus lieferten sie den USA Informationen über die militärische Stärke der Japaner in Indochina. Amerikanische Offiziere waren auch zugegen, als Ho am 2. September 1945, kurz nach der japanischen Kapitulation, die unabhängige "Demokratische Republik Vietnam" ausrief.

Den Versuch Hos, eine Autonomie Vietnams durchzusetzen, wollte die alte Kolonialmacht Frankreich nicht hinnehmen. Französische Truppen, darunter viele ehemalige Soldaten der Waffen-SS, die zum Dienst in der Fremdenlegion gepreßt wurden, sollten die unbotmäßigen Vietnamesen wieder unter das französische Joch bringen.

1946 kamen die kriegführenden Parteien in der "Konvention von Hanoi" zwar überein, daß Vietnam autonomes Mitglied in der "Französischen Union" werden sollte. Dies hinderte die Franzosen allerdings nicht, in Südvietnam eine Marionettenregierung zu errichten. Die Folge: Sowohl die Regierung in Hanoi als auch die in Saigon erhoben Anspruch, für ganz Vietnam zu sprechen. Zum offenen Konflikt kam es nach einer Auseinandersetzung im Hafen von Haiphong, bei dem 29 Franzosen ums Leben gekommen sein sollen. Der französische Oberbefehlshaber ließ darauf ohne jede Vorwarnung das vietnamesische Viertel beschießen: zirka 6000 Vietnamesen fanden dabei den Tod. Ho Chi Minh reagierte auf diesen Massenmord mit der Ausrufung des Guerillakrieges, der von beiden Seiten mit kompromißloser Härte geführt wurde. Bereits zu dieser Zeit wurde Frankreich von amerikanischen Militärberatern unterstützt, hatte sich doch die internationale Großwetterlage mit dem Einsetzen des Kalten Krieges und den kommunistischen Erfolgen in Korea und China grundlegend gewandelt. Die USA waren zu der Überzeugung gelangt, daß eine weitere kommunistische Expansion mit allen Mitteln eingedämmt werden müsse, und leisteten den Franzosen in zunehmendem Maße Finanz- und Militärhilfe.

Alles dies konnte die Unzulänglichkeiten der französischen Strategie in Südostasien nicht kompensieren. Im Gegenteil: das militärische Fiasko von Dien Bien Phu im Jahre 1954 bedeutete das definitive Ende der französischen Hegemonieansprüche. Dien Bien Phu wurde 1953 von dem multinationalen französischen Expeditionskorps besetzt, weil die Franzosen eine kommunistische Besetzung von Laos erwarteten. Dien Bien Phu, unweit der laotischen Grenze in einem zerklüfteten Tal Nordvietnams, war weit entfernt von den Nachschubbasen an der Küste gelegen und wird von Militärhistorikern als der denkbar ungünstigte Ort für eine Schlacht mit den Aufständischen eingestuft. Die wenigen Nachschubwege wurden schnell von den Vietminh  abgeschnitten, so daß als letzter Ausweg nur die Versorgung aus der Luft blieb. Diese wurde durch Flugabwehrfeuer erheblich gestört.

Gleichzeitig wurden die französischen Verbände unter Artilleriefeuer genommen. Die Amerikaner hielten sich aufgrund der Überlegung, daß sich der Krieg bei einem größeren Engagement der USA ausweiten könnte, außen vor. Die Folge war der Fall Dien Bien Phus am 7. Mai 1954. Die anschließenden Waffenstillstandsverhandlungen führten zur Teilung Vietnams in einen nördlichen und einen südlichen Teil. Kambodscha und Laos werden unabhängige Staaten. Die Infiltration des südlichen Teils von Vietnam durch kommunistische Guerillaverbände aus dem Norden führte zu einem ständig intensiver werdenden Engagement der USA, die nicht gewillt waren, Südvietnam, Laos oder Kambodscha den Kommunisten zu überlassen. Die Folge: Insbesondere Südvietnam entwickelte sich zu einem Klientelstaat der USA. Für Washington spielte es dabei keine Rolle, daß Südvietnam zu einem Staatsgebilde mutierte, das weit entfernt war von "westlichen Standards". Korruption, Ämterpatronage und offene Repression bestimmten mehr und mehr das Bild.

1960 erreichten die Auseinandersetzungen mit der Gründung der "Nationalen Befreiungsfront", hinter der sich die kommunistischen Guerillas in Südvietnam verbargen, an Schärfe. Für die kommunistischen Guerilla setzte sich allmählich das Kürzel "Vietcong" durch. Diese übernahmen insbesondere in den ländlichen Gebieten Südvietnams bald das Kommando. Für die Finanzierung des Krieges erhob der Vietcong eine Steuer, die mit allen Mitteln von der Landbevölkerung eingetrieben wurde. Der Nachschub lief über den weltweit bekannt gewordenen "Ho-Chi-Minh-Pfad" durch die beiden unabhängigen Staaten Laos und Kambodscha.

Die USA suchten und fanden mit einem Zwischenfall in der Tonkin-Bai am 4. August 1964 den Vorwand, ihr militärisches Engagement in Vietnam in eine offene Kriegführung umzuwandeln. An diesem Tag soll der US-Zerstörer "Maddox" angeblich von nordvietnamesischen Torpedos getroffen worden sein. Die Folge war die Verabschiedung der sogenannten "Tonkin-Resolution" durch den US-Kongreß, die Präsident Johnson die Vollmacht einräumte, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um weitere kriegerische Akte der Nordvietnamesen zu unterbinden.

Heute kann es als gesichert gelten, daß der angebliche Angriff auf die "Maddox" in der von den USA behaupteten Form niemals stattgefunden hat. Das Motiv für das aktive militärische Eingreifen Washingtons dürfte wohl in dem damaligen Präsidentschaftswahlkampf zwischen Barry Goldwater und Lyndon B. Johnson zu suchen sein. Goldwater stand für eine Politik der Stärke und zwang damit Johnson, gleichzuziehen. Der Tonkin-Vorfall lieferte Johnson den Blankoscheck für beinahe alle militärischen Maßnahmen. Als sich für die südvietnamesische Armee im Frühjahr 1965 ein zweites Dien Bien Phu abzeichnete, gab Johnson schließlich grünes Licht für den militärischen Einsatz amerikanischer Soldaten – ohne allerdings Nordvietnam eine offizielle Kriegserklärung zu übermitteln.

Es begann ein jahrelanger Abnutzungskrieg, der zunächst durch systematische Bombardements des Ho-Chi-Minh-Pfades, Nordvietnams und südvietnamesischer Guerilla-Stützpunkte geprägt ist. Schließlich werden auch US-Bodentruppen eingesetzt, die den Kampf gegen den "unsichtbaren Feind" im Süden Vietnams aufnahmen. Der Zweck heiligt in diesem Krieg alle Mittel: ob es nun das chemische Entlaubungsmittel "Agent Orange" oder der Einsatz von Napalm-Bomben ist: die US-Truppen suchten den Erfolg über die Tötung einer größtmöglichen Anzahl von Feinden. Dabei spielte es keine Rolle, inwieweit Zivilisten zu Schaden kamen.

Dieses Vorgehen brachte die USA in der "Weltöffentlichkeit" mehr und mehr in ein ungünstiges Licht. Der "schmutzige" Napalm- und Entlaubungskrieg gegen die Zivilbevölkerung wird von "kritischen" Studenten in den USA und Europa zum Anlaß genommen, den US-Imperialismus zu geißeln. Aber auch die monatlich etwa 1000 Särge, die in die USA überführt wurden, wirkten auf die amerikanische Öffentlichkeit demoralisierend.

Endgültig beschädigt wird das Renommee der USA, in Vietnam stellvertretend für die Interessen der "freien Welt" zu kämpfen, durch das Massaker von My Lai am 16. März 1968. Sechs Wochen vorher endete die Tet-Offensive, geführt von Vietcong und nordvietnamesischen Verbänden, die die USA an den Rand einer Niederlage brachte. My Lai steht für die Ermordung von 576 Vietnamesen, darunter Frauen, Kinder und Greise, durch eine US-Infanterieeinheit. Dieses Massaker, auf das in Oliver Stones Kriegsfilm "Platoon" (1986) direkt angespielt wird, machte den Verlust der moralischen Legitimation der USA in diesem Krieg schlagartig deutlich. My Lai, die psychologischen Auswirkungen der Tet-Offensive sowie der zunehmende öffentliche Druck führten bei der US-Regierung schließlich zu dem Entschluß, die Südvietnamesen ihrem Schicksal zu überlassen. 1973 schied die USA aus dem Krieg aus. 58 134 US-Soldaten bezahlten Amerikas Krieg im Herz der Finsternis mit dem Leben. Nur gut 600 kriegsgefangene GIs kehrten in die Heimat zurück, was ein Hinweis auf die Bedingungen ist, denen amerikanische Kriegsgefangenen ausgesetzt waren. Der amerikanische Filmregisseur Michael Cimino hat den traumatischen Erlebnissen dieser Soldaten in seinem Film "Deer Hunter" (1978) ein bleibendes Denkmal gesetzt.

Der Krieg in Vietnam wird am 1. Mai 1975 mit dem Fall Saigons beendet. Am 2. Juli 1976 wird die Sozialistische Republik Vietnam ausgerufen, beide Teile des Landes unter der roten Fahne offiziell vereint. Seit dem Frühjahr 1997 unterhalten die USA und Vietnam wieder gegenseitige Botschaften.