29.03.2024

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20.05.00 Dem historischen Geist Königsbergs auf der Spur

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 20. Mai 2000


Vergegenwärtigung des Verlorenen
Dem historischen Geist Königsbergs auf der Spur

Denkmalpflege und rekonstruierender Wiederaufbau – seit Georg Dehio, dem Begründer der modernen Denkmalpflege in Deutschland zwei Welten, die nicht zusammentreffen dürfen. War die Abkehr von der historistischen Rekonstrukion bzw. der Neuschaffung im historischen Geist, der zwangsläufig immer auch Zeitgeist war, zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgerichtig, so schufen die katastrophalen Verluste an historischer Bausubstanz im Zweiten Weltkrieg doch eine neue Ausgangslage. In der bundesdeutschen Nachkriegszeit waren es indessen weniger die im Geist Dehios ausgebildeten Fachleute als vielmehr die Kommunalpolitiker, Kirchengemeinden oder privaten Bauherren, die sich nicht mit einer lediglich entfernt am verlorenen Bestand orientierten Bauweise zufrieden geben wollten. Sie drängten vielmehr erfolgreich auf detailgetreue Rekonstruktionen, wollten sie doch das mit hohen emotionalen Werten behaftete Stadtbild nach Möglichkeit zurückzugewinnen.

Eine rekonstruierende Wiederherstellung, verbunden mit einer Neuschöpfung "im historischen Geist" könnte sich nun auch in Königsberg vollziehen, bei dessen Wiederaufbau als sozialistische Musterstadt maßgebliche Zeugnisse der inkriminierten deutschen Vergangenheit, zuvorderst das Königsschloß, ein für allemal aus dem Stadtbild zu verschwinden hatten. Zumindest das Viertel des Kneiphofs, den jüngst wiederaufgebauten Dom umgebend, könnte, folgt man den städtebaulichen Überlegungen des Architekten Baldur Köster, in seinem historischen Charakter wiedererstehen. Seine Gedanken, die er als "Entscheidungshilfe für alle diejenigen, die sich um das Wohl Königsbergs / Kaliningrads bemühen" versteht, legt Köster als Anhang zu seinem unlängst im Husum-Verlag erschienenen Band "Königsberg – Architektur aus deutscher Zeit" dar. Es genügt Köster zufolge nicht, einzelne Relikte der historischen Architektur Königsbergs als isolierte "Museumsstücke" zu pflegen, vielmehr muß "im Innenstadtbereich die Identität mit dem Vergangenen wenigstens in Teilen wiederhergestellt werden". Dies bedeutet für den Kneiphof, auf der Grundlage des alten, in den Fundamenten durchaus noch vorhandenen Stadtgrundrisses einzelne Bauten als Bezugspunkte vollständig zu rekonstruieren und – zeitgemäß genutzt und unter Berücksichtigung einer effektiven Verkehrsführung – mit moderner, jedoch im historischen Geist nachempfundener Architektur zu kombinieren. Grundlage für die Zukunftsvisionen bilden exakte zeichnerische Rekonstruktionen verschiedener Bauzustände des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

Den Hauptteil des Bandes bildet indes eine eingehende Bestandsaufnahme der wichtigsten erhaltenen Gebäude Königsbergs der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Mit Zeichnungen, aktuellen Fotografien und Texten werden die Relikte – viele von ihnen erstmals – exakt beschrieben und in die allgemeine Architekturgeschichte sowie in die der Stadt eingeordnet. Jedes der vorgestellten Objekte ist zudem mit Angaben über Bauzeit, Bauherren und Architekten versehen, daneben mit Hinweisen auf bereits erschienene Fachliteratur. Die vorgestellten Bauten reichen von den Befestigungsanlagen, den Kirchen (auch denen der Vororte), der Universität und den Schulen sowie sonstigen öffentlichen Bauten bis hin zu Hotels, Restaurants und Wohnhäusern aller Art. Auch auch die Brücken- und Hafenarchitektur wird in die Betrachtung einbezogen. Als Auswahlkriterium gilt für Köster in erster Linie der architektonische Rang des Gebäudes, wobei das ursprüngliche Erscheinungsbild nicht allzusehr durch Zerstörungen und den zumeist vereinfachenden Wiederaufbau in der Nachkriegszeit verunklärt sein sollte. Insbesondere bei der in beträchtlichem Maße noch vorhandenen Wohnbebauung der Randbezirke erwies sich freilich eine strenge Beschränkung auf exemplarische Fälle als unumgänglich. Mit Ausnahme des Doms und der mittelalterlichen Kirche von Juditten entstammen sämtliche erhaltenen und daher beschriebenen Gebäude der zweiten Hälfte des 19. bzw. der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Als Beispiel für eine der vorgestellten Denkmalgruppen seien die Befestigungsanlagen genannt, die Köster besonders eingehend behandelt. Deren Entwicklung wird von den Anfängen im 13. Jahrhundert bis zur Umgestaltung der ehemaligen Wallanlagen zum Grüngürtel in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts beschrieben. Dies geschieht auch in Form von Stadtgrundrissen, welche die Zustände ab 1257, ab 1626, ab 1843 sowie die Verhältnisse in den Jahren 1906/10 und vor 1939 nachzeichnen. Im einzelnen widmet sich die Darstellung unter anderem den prächtigen Toranlagen des 19. Jahrhunderts (Königstor, Roßgärter Tor, Friedländer Tor, Brandenburger Tor, Sackheimer Tor, Tor zum Fort Friedrichsburg), deren ästhetische Wirkung sich König Friedrich Wilhelm IV. bekanntlich in besonderer Weise angelegen sein ließ. Zumindest für das Roßgärter, das Brandenburger und das Tor zum Fort Friedrichsburg ist der Fassadenentwurf dem Geheimen Oberbaurat Friedrich August Stüler zuzuschreiben. Für das monumentale Königstor, dessen Grundstein 1843 im Beisein des Königs gelegt wurde, ist eine Mitführung Stülers immerhin zu vermuten. Wenngleich torsohaft schmücken dieses Tor auch heute noch die von Wilhelm Ludwig Stürmer geschaffenen Statuen König Friedrichs I., Herzog Albrechts und des böhmischen Königs Ottokar II.

Gilt die historische Bausubstanz Königsbergs im Bewußtsein der Allgemeinheit als weitgehend vernichtet, so wird die Menge dessen, was Köster trotz der Zerstörungen im und nach dem Krieg sowie trotz der städtebaulichen Bereinigungen im Rahmen des sozialistischen Wiederaufbaus noch vorzuweisen vermag, manchen erstaunen. Zu recht weist der Autor jedoch darauf hin, daß – zumindest im Bereich der Innenstadt – das Präsentierte ein allzu geschlossenes Bild des Erhaltenen suggerieren könnte. Mehr als spärliche Orientierungspunkte können die historischen Bauten dort heute nicht mehr bilden.

Zweifellos stellt die denkmalpflegerische Bestandsaufnahme, die vier Fünftel des eng bedruckten Bands ausmacht, das hauptsächliche Verdienst der Arbeit Kösters dar, die sich ausdrücklich ebenso an interessierte Besucher wie auch an Fachleute und an die neuen russischen Einwohner der Stadt wendet. Sämtliche der 235 aktuellen Fotografien sind in Farbe wiedergegeben, was für erstere und letztere der Adressatengruppen sicherlich von großem Wert ist, während der Architekturhistoriker in manchen Fällen wohl konturschärfere und besser ausgeleuchtete Schwarzweißbilder bevorzugt hätte. Leider erfolgte aus Platzgründen auch keine Gegenüberstellung von historischen Fotograpfien und solchen des heutigen Zustands. Hervorzuheben sind jedoch nicht zuletzt die neu gezeichneten historischen Stadtpläne sowie die 158 zum Teil nach örtlichem Aufmaß des Autors erstellten oder korrigierten Grund- und Aufrißzeichnungen, die manches Defizit des Dehio-Handbuchs von 1993 ausgleichen dürften. Verdienstvoll ist insbesondere auch die auf Plänen und Fotografien beruhende zeichnerische Rekonstruktion der Straßenfronten des Kneiphofs, jeweils verschiedene Bauzustände des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wiedergebend.

Das Vorgelegte bildet das Ergebnis von vier Jahren vor Ort geleisteter Arbeit Kösters, die im Zusammenwirken mit dem "Verein Gedenkstätten Königsberg" und russischen Architekten und Denkmalpflegern erfolgte. Hervorzuheben ist, daß diese wichtige Grundlagenarbeit im wesentlichen von Köster selbst finanziert wurde. Schon angesichts dieser Tatsache wäre eine allzu kleinliche Kritik an eventuell zu findenden falschen Einzeldaten oder fragwürdigen Benennungen unangebracht.

Eine mögliche Stadtentwicklung Königsbergs in historischem Geist, das heißt unter rekonstruierender Vergegenwärtigung des Verlorenen, hat, wie dies im westlichen Deutschland in der Nachkriegszeit der Fall war – eine Sensibilisierung nicht nur der Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung, sondern auch weiter Teile der Bevölkerung zur Voraussetzung. Daß der vorliegende Band hierzu einen Beitrag leisten möge, ist aufrichtig zu wünschen. Die in Vorbereitung befindliche russische Übersetzung, die Alexej Schabunin, Mitarbeiter des deutschsprachigen "Königsberger Express" vornimmt, könnte hierbei hilfreich sein. Voraussetzung für das Wiedererstehen eines historisch geprägten Stadtbildes ist natürlich auch ein gewisses Maß an städtischer Prosperität, die auf absehbare Zeit ausstehen dürfte. Ernst Gierlich

Baldur Köster: Königsberg. Architektur aus deutscher Zeit. Mit 158 Zeichnungen und 235 Foto-grafien des Verfassers. Husum Verlag, Husum 2000, 256 Seiten, 69 Mark