20.04.2024

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03.06.00 Ungeist

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 03. Juni 2000


Ungeist
Von Peter Fischer

Er war der üble Mann fürs Konspirative, Mörderische und Zersetzende, ohne je einen soliden, einen dauerhaften Grundstein für das Gedeihen unseres Volkes gelegt zu haben: Erich Mielke, der 32 Jahre Chef des Ministeriums für Staatssicherheit war, starb nunmehr im Alter von 92 Jahren in einem Berliner Altenheim. Schweigen oder nur Gutes – es gibt verstorbene Personen, bei denen diese Weisheit nicht gelten darf. Der gebürtige Berliner, ohne Ausbildung, aus dem einst "roten", heute islamischen Wedding gehört dazu.

Man weiß wenig über die Inneneinsichten dieses Mannes. Vermutlich bestimmte ihn nur bloße Überlebenstaktik, die nach Art der Pawlowschen Reflexe auf ideologische Schwankungen und Zielvorgaben Moskaus mit großer Wendigkeit und dem steten Bereitsein für den Augenblick reagierte. Er war der Chef der Parteischutztruppe, der 1931 nicht zögerte, hinterrücks zwei Polizeileute zu erschießen und der die blutige Säuberungsarbeit in den eigenen kommunistischen Reihen 1936 in Spanien besorgte. Er stand auf dem Sprung, als nach dem Krieg Stalin die Zeichen auf deutsche Einheit setzen wollte, um nach dessen Tod und dem deutschlandpolitischen Kurswechsel seine Amtskollegen zu beerben, und er scheiterte schließlich, wie alle deutschen Nachkriegspolitiker, an seiner Inkonsequenz in der nationalen Frage.

Denn so sehr er den Spür- und Spitzelapparat der SED auf Hochtouren innerhalb der DDR und der BRD betrieb, der Eifer besaß einen letzten, einen tiefsten Sinn, der in die deutsche Einheit einmünden sollte. Deswegen die Mauer, die das Regime für den Tag X stabilisieren sollte. Deswegen die Ausschaltung aller Gegner, damit keine andere Denkschule das Ziel beeinflussen konnte. Doch mit dem Tode Ulbrichts schob sich ein neuer Mann Moskaus an die Spitze, Honecker, der das große Ziel nicht mehr propagieren durfte. Die große Stunde, die Mielke erhoffte, fiel aus. Moskau schwieg bis 1988 zu Deutschland.

Dabei ist es im nachhinein kaum noch von der Hand zu weisen, daß die besessene Zielstrebigkeit Mielkes die Bundesrepublik für den Tag X schon sturmreif gemacht hatte, wenn man sich an den Wink des Geheimdienstkoordinators Schmidbauer erinnert, der von über 30 000 westdeutschen Spitzenmännern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kirche sprach, die im Dienste der Stasi standen. Doch da die SED von Moskau kurz gehalten und Bonn in Rücksprache mit Washington nur am Status quo interessiert war, trat die paradoxe Situation ein, daß die ungelöste nationale Frage zu einem schieren administrativen Problem wurde: Bonn kaufte soviel politische Häftlinge von Mielke ab, bis der innenpolitische Druck für die SED erträglich wurde, und zugleich stabilisierten die Gelder des Freikaufs das System. Ansonsten übte man strikte Zweistaatlichkeit, die Kanzler Kohl mit dem Empfang Honeckers in Bonn auf einen Gipfelpunkt trieb.

Ob Mielke, anders als Markus Wolf, den letzten Sinn dieser Politik in und mit Deutschland je begriffen haben mag, scheint unsicher. Das feine Spiel gezielter gegenseitiger Anerkennung lag sicher jenseits von Mielkes Geschmack und Stil. Unverkennbar aber gruben sich die Ereignisse und seine blutige Praxis der Verfolgung von Gegnern in sein Gesicht ein: Seine hängenden Mundwinkel, sein körperstarres, pathetisches Gehabe, das sich bei feierlichen Anlässen so gestelzt offerierte, legt ebenso wie die wenig lebhaften Augen den Eindruck eines geistig unbeweglichen Mannes nahe. Kumpane bestätigten nach 1989, daß er eitel, herrisch und ungerecht war. Er war der Typus des schlimmen Emporkömmlings, der nicht in das Dickicht der Städte mit ihren dunklen Hinterhöfen zurückwollte. Andere Zeitgenossen in ähnlich schwieriger Ausgangslage mochten Visionen vom Ständestaat, vom klassenkampffreien Staat oder eben auch von Demokratie gehabt haben, Mielke besaß nur noch die des bloßen Überlebens. Dabei war er gewiß kein Dämon, kein Polizeiminister vom Schlage eines Joseph Fouché, dazu fehlten ihm geistige Beweglichkeit, Format und Ziel.

Er war ein dumpfer Geselle, der in Zeiten Deutschlands größter Erniedrigung die Geschäfte des Kerkermeisters und Henkers besorgte. Wer Zugang zu Mielkes Innenleben sucht, der muß sich mangels fehlender schriftlicher Zeugnisse die Dienst- und Privatquartiere seiner Organisation ansehen. Die dumpfe Zweckmäßigkeit dieser Bauten offenbart die Geistferne jener Bewegung, die 1945 im Bunde mit den anderen militärischen Siegern nach Deutschland gekommen war, um sich vermeintlich über Mitteleuropa zu erheben.

Daß das Schicksal ihn richtete, indem es ihn entmachtet noch zehn Jahre in einer Art von Vorhölle existieren ließ, nachdem es die bundesdeutsche Justiz unterband, ihn wegen seiner Nachkriegstätigkeit anzuklagen, gehört in den Annalen der deutschen Geschichte dick unterstrichen vermerkt.