20.04.2024

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03.06.00 Thomas Mann: Der Unpolitische

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 03. Juni 2000


Thomas Mann: Der Unpolitische
Vor 125 Jahren wurde einer der widersprüchlichsten deutschen Literaten geboren
Von OLIVER GELDSZUS

Quer durch die verschiedenen politischen Strömungen und Richtungen zieht sich die Linie der Verehrer undBewunderer Thomas Manns. War er seinen Zeitgenossen stets und nicht zu Unrecht eine ambivalente Figur geblieben, so hatte sich die Nachwelt zum Teil bemüht, Mann im nachhinein gänzlich der Demokratie und letztlich der Linken allgemein zuzuordnen. Sein Leben erschien so im Rückblick als Bildungsroman in der Tradition der Aufklärung: düstere, reaktionäre Wurzeln, aus denen aber schließlich noch der Pazifist und Freund der Sowjetunion erwuchs. Ein Leben, ganz im Geschmack einer propagierten demokratischen Läuterung: aus dem ungläubigen Thomas wird noch der Weltverbesserer.

Thomas Mann selbst hat viel dafür getan, von verschiedenen, zum Teil entgegengesetzten Seiten für ihre Zwecke eingespannt zu werden. Dabei war er trotz aller politischen Aktivität seit den zwanziger Jahren im Grunde das, was er schon zu Beginn seiner Schriftstellerkarriere bekannte: ein zutiefst Unpolitischer. Als zweiter Sohn eines Lübecker Patriziers am 6. Juni vor 125 Jahren geboren, wuchs Thomas Mann in bürgerlichen Verhältnissen auf. Im Gegensatz zu seinem älteren Bruder Heinrich nahm er die Grundzüge des Bürgertums der damaligen Zeit – Ordnung, Tugend, Arbeitsmoral, Sittenkodex – vorbehaltlos an und kultivierte sie auch als Künstler ein Leben lang. Gern sah er sich als "Papas Bester", und noch im Alter reklamierte er eine psychologische Sonderbeziehung zu seinem Vater. Dagegen verkörperte die Mutter, eine exotische Deutsch-Brasilianerin, ein beunruhigendes unbürgerliches Element, welches Thomas Mann letztlich auch immer dafür verantwortlich machte, daß keines der Kinder nach dem Tod des Vaters das Lübecker Kontor weiterführte und statt dessen auf das fremde Terrain der Kunst drängte. Die Mutter siedelte mit den fünf Kindern 1894 nach München über, wo sie einen künstlerischen Salon eröffnete.

Heinrich und Thomas Mann, befreit von des Vaters strenger Führung, begannen in der bayrischen Residenz ihre Laufbahnen als Schriftsteller, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Während sich Heinrich schnell den vorherrschenden Kunstrichtungen der Dekadenz und der Neu-Renaissance untertwarf und den unbürgerlichen Lebensstil der Boheme annahm, grenzte sich Thomas gerade von ihr deutlich ab. Anstatt an absinthverklebten Tischen in Schwabing über die ästhetische Erneuerung der Menschheit zu diskutieren, zog er in sei-ner Junggesellenwoh-nung die Lektüre seiner Hauptmentoren Schopenhauer und Nietzsche vor. Beide waren wesentlich für sein Selbstverständnis als Künstler, prägten aber auch sein politisches Weltbild. Im Fall Nietzsches jedoch in entschlossen moralischer und demokratiekritischer Hinsicht; die gerade gängige Modephilosophie der "blonden Bestie" und des Übermenschen, der Heinrich noch in seinen frühen Romanen huldigte, lehnte er ab. Nietzsches "Genealogie der Moral" zog er sein Leben lang dem "Zarathustra" vor. In Anlehnung an Nietzsche suchte sich Thomas Mann zu Beginn seiner Karriere als Literat in deutlicher Abgrenzung zu Heinrich zu etablieren. Der frühe Erfolgsroman "Buddenbrooks" von 1901 zeigte dabei die Richtung an: mit den Mitteln der nietzscheanischen Entlarvungspsychologie sollten die althergebrachte Moral und die Konventionen der Zivilisation durchleuchtet und demaskiert werden, ohne daraus jedoch eine politische Aussage zu treffen. Thomas Mann sah den Niedergang seiner eigenen Schicht, des Bürgertums, sehr wohl und auch sehr scharf, allein er hielt um so stärker an ihr fest. Diesem Mißverständnis ist mit Georg Lukacs die gesamte marxistische Literaturwissenschaft aufgesessen, indem sie den Trugschluß wagte, der Skribent des absterbenden bürgerlichen Zeitalters sei bereits ein Parteigänger der Neuen Zeit.

In den Jahren des Kaiserreichs war Thomas Mann ein treuer Monarchist – nicht von ungefähr wurde er 1911 Mitglied der Münchener Zensurbehörde. In seinem zweiten, weniger geglückten Roman "Königliche Hoheit" hatte er 1909 nicht zuletzt ein apolitisches Märchen, eine romantische Verklärung des Gedankens der Monarchie zu Papier gebracht. Erst durch den Ausbruch des Weltkriegs sah sich Thomas Mann erstmals auf die politische Bühne gedrängt. Hatte ihn bis dahin in seinem Werk vor allem das Verhältnis des Künstlers zur Gesellschaft beschäftigt, so änderte sich das nun schlagartig. Wie so viele seiner Kollegen ergriff er vorbehaltlos die Partei des Reiches. Im Krieg sah er einen Akt der Reinigung und Befreiung. Mit den "Gedanken im Kriege" begann 1914 Manns wechselvolle politische Essayistik, die zunächst zum Bruch mit dem Pazifisten Heinrich führte. Die Gedanken gipfelten in dem Aufsatz "Friedrich und die große Koalition". Indem er die Leistungen des preußischen Königs im Siebenjährigen Krieg in den Mittelpunkt rückte, suchte er einen positiven Mythos und ein Vorbild für den aktuellen Waffengang zu schaffen. Den von außen kritisierten Einmarsch deutscher Truppen in das neutrale Belgien setzte er mit Friedrichs Einmarsch in Sachsen gleich. In diesem Sinne ist auch sein offener Verteidi-gungsbrief der deutschen Kriegsführung an die Redaktion des "Svenska Dagbladet" in Stockholm zu lesen.

Den Höhepunkt seiner Auseinandersetzungen mit der Gegenwart im Krieg bildeten die "Betrachtungen eines Unpolitischen". Über drei Jahre schleppte sich die Niederschrift seines Bekenntnisbuches hin. Diesem Frondienst während des Frontkrieges unterzog er sich in der Regel unrasiert und lediglich mit einer einfachen russischen Litewka bekleidet – die Maskerade von Askese und Zucht. Einer eigenen Aussage zufolge befand sich Thomas Mann während des Ersten Weltkrieges in der "Krise sei-nes Lebens". Mit dem Kaiserreich fürchtete er die Grundzüge seiner gewohnten Lebensordnung zu verlieren. Die "Betrachtungen" lassen sich auf den zu dieser Zeit kulminierenden Bruderstreit zurückführen und stellen zunächst die Antwort auf Heinrichs Zola-Essay dar. Unter Rekurs auf dessen öffentliches Eingreifen in die Dreyfus-Affäre hatte Heinrich Mann von den deutschen Dichtern im Allgemeinen und seinem Bruder im Besonderen zum Kriegsbeginn ein politisches, mithin: linkes Engagement gefordert. Dies führte nun dazu, daß Thomas Mann zur breitgefaßten Verteidigungsrede des unpolitischen, deutschen Künstlertums anhob. Wie gewohnt uferte das Manuskript immer mehr aus; die Arbeit ging dem Romancier schwer von der Hand. Letztlich sind die "Betrachtungen eines Unpolitischen" ein großangelegtes Bekenntnisbuch seinens Denkens und Fühlens der ersten Hälfte seines Lebens. Das Gewissen, so erklärt es Thomas Mann in der Vorrede, trieb ihn zu diesem Dienst für die Nation. Es war die Transformation des Stellungskrieges in die sublime Welt des Geistes: was hier wie da auf die Verteidigung einer spezifisch deutschen Kultur gegen die westliche Idee der Demokratie hinauslief. Parlamentarismus, Egalität, Zivilisation, Freimaurerei – nichts entging dabei seinem kritischen Blick.

Die Ablehnung des Westens führte automatisch zur Sympathie mit Rußland. Mit Versailles hatte im Grunde auch Heinrich gewonnen: dies trieb Thomas Mann nun selbst in die Arme des Kommunismus – allerdings im nationalen Sinne. Den deutschen Zusammenbruch erlebte er als Schock; zahlreiche Tagebucheintragungen aus dem Herbst 1918 zeigen seine Schwankungen. Letztlich blieb nur die Ironie; die deutsche Niederlage sei so komisch, heißt es an einer Stelle, "daß man sie gar nicht ernst nehmen kann". Die Novemberrevolution in Berlin und vor allem vor seiner Haustür in München beobachtete Mann nur mit Widerwillen. Immer wieder mokierte er sich über deren Pöbelhaftigkeit und deren Faschingscharakter.

Um so erstaunlicher dann die berühmte Rede "Von deutscher Republik" im Berliner Beethovensaal. Anläßlich des 60. Geburtstages Gerhart Hauptmanns bekannte sich Thomas Mann erstmals öffentlich zur Republik. Auffällig ist, daß er selbst die Bedeutung dieser Rede nie so hoch gehängt hat wie die Deuter im nachhinein. Mit Sicherheit war nicht nur Heinrichs schwere Erkrankung, die den leidigen Bruderzwist beendete, Auslöser für Thomas Manns Einlenken gewesen. Eher war es die Sucht nach Anerkennung, sein ewiger Narzißmus, der ihn an die Tore Weimars klopfen ließ. Gerhart Hauptmann war der gefeierte Dichter der Republik, auch Heinrich Mann reüssierte nun verspätet mit seinem Vorkriegsroman "Untertan" – wo gesellschaftlicher Lorbeer verteilt wurde, wollte auch Thomas Mann nicht fehlen. Aber er hatte sich ohnehin sukzessive von seinen zum Teil radikalen Nachkriegsvorstellungen gelöst, wollte nicht mehr mit dem Kommunismus gegen den Westen zu Felde ziehen. Deutlich spiegelte sich das im 1924 beendeten Roman "Zauberberg" wider: Hatten 1921 noch seine Sympathien teilweise auf Seiten des kommunistischen Jesuiten Naphta gelegen, so distanzierte er sich zunehmend von seiner ambivalenten Figur. Auch die am Anfang große Begeisterung für Oswald Spengler und andere Vordenker der Konservativen Revolution legte sich immer mehr. Viele seiner alten Weggefährten haben ihm diesen "Verrat" nie verziehen.

Mann hatte nun seinen Frieden mit der Republik gemacht und entfernte sich immer weiter von seinen einstigen, zum Teil radikal demokratiefeindlichen Positionen. Zwar legte er stets Wert darauf, wie vor dem Krieg "sein Deutschtum" zu vertreten, doch auf der anderen Seite ließ er sich gerade in der Spätphase der Weimarer Republik zu deutlichen sozialdemokratischen Bekenntnissen hinreißen – so etwa in seiner berühmten Rede vor Wiener Arbeitern 1929. Auch im amerikanischen Exil während des Dritten Reiches sah er sich als Vertreter der deutschen Kultur ("Wo ich bin, ist Deutschland") in Abgrenzung zu den Nationalsozialisten. Da seine Romane zunächst in Deutschland weiter erschienen, zögerte er lange, bis er sich 1939 im Essay "Bruder Hitler" erstmals öffentlich zu den Vorgängen in seiner Heimat äußerte. Während des Zweiten Weltkriegs folgten dann seine Rundfunkansprachen an die deutschen Hörer, in denen er – politisch naiv wie so oft – ungeprüft die Behauptungen der alliierten Kriegspropaganda verbreitete, etwa die Verharmlosungen des Dresdener Infernos. Bald nach dem Tode Roosevelts 1945 flammte dann jedoch noch einmal wie schon nach dem Ersten Weltkrieg der alte Haß auf den Westen auf. Auslöser war der Feldzug McCarthys gegen den Kommunismus. Angestachelt von seiner Tochter Erika setzte Mann nun zur Verteidigung der Sowjetunion an und entfernte sich wieder von den libertären Idealen des Westens, den er als platt und kulturlos empfand. Die Distanzierung von der antisowjetischen Linie der USA ließ ihn mit seiner Familie wieder nach Europa zurückkehren – nicht mehr nach München, aber in die Schweiz, wo er 1955 starb.

Thomas Mann war zeit seines Lebens ein Schriftsteller des bürgerlichen Zeitalters geblieben, allerdings dauerhaft durch die Ereignisse von 1918 aus der Bahn geworfen. Seine verschiedenen politischen Positionen suchte er bis zum Alter mit dem ewigen Dreigestirn Schopenhauer-Nietzsche-Wagner zu verbinden, um so anzuzeigen, seiner Linie stets treu zu bleiben. Doch damit ging er natürlich auf mehr oder weniger einsamen Wegen. "Mann über Bord" war der bittere Kommentar der Konservativen, die ihm seine Parteinahme für die Republik nie verziehen. Doch auch bei den Linken ist Thomas Mann nie angekommen – Brecht etwa verhöhnte ihn lediglich als "bürgerlichen Autor mit Stehkragen".