28.03.2024

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03.06.00 Führte Deutschland 1999 wirklich einen "gerechten Krieg"?

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 03. Juni 2000


Kosovo: Das Rätsel um "Anhang B"
Führte Deutschland 1999 wirklich einen "gerechten Krieg"?
Neue Erkenntnisse werfen ein zunehmend düsteres Licht (Teil II)
Von HANS-JOACHIM v. LEESEN

Zunächst waren in Deutschland nicht nur die Politiker, sondern ebenso Medien, große Teile der Bundeswehrführung und auch die Bevölkerung fest davon überzeugt, die Nato habe zu Recht mit Luftangriffen auf militärische, dann auch auf zivile Ziele in der jugoslawischen Provinz Kosovo interveniert. Jetzt jedoch macht sich zunehmende Skepsis breit.

Zum einen ist kaum zu übersehen, daß die enormen Zerstörungen, die auch deutsche Kampfflugzeuge in Jugoslawien anrichteten, nicht zur Lösung des Problems beigetragen haben. So stellte der Uno-Sonderberichterstatter für Menschenrechte, der ehemalige tschechische Außenminister Dienstbier fest, die Mission im Kosovo sei bislang ein "totaler Fehlschlag" gewesen. Auch die Aufteilung des Kosovo in von der Nato militärisch besetzte Zonen führte nicht weiter. Auf die Frage, wie lange denn die Soldaten dort noch stationiert werden müßten, antwortete ein Bundeswehrgeneral, Optimisten wie Peter Scholl-Latour rechneten mit 25 Jahren, während Realisten einen wesentlich längeren Zeitraum in Rechnung stellten. Das alles läßt Fragen aufkommen, was dort von Anfang an falsch gelaufen ist.

In die einsetzende kritische Diskussion stößt ein soeben erschienenes Buch des Bundeswehr-Brigadegenerals Heinz Loquai, Mitglied der OSZE-Mission in Wien, unter dem Titel "Der Kosovo-Konflikt – Wege in einen vermeidbaren Krieg". Loquai deckt Hintergründe, die der Öffentlichkeit bislang so nicht bewußt waren, auf und vertritt die Ansicht, dieser Krieg – denn um einen Krieg handelt es sich, auch wenn Politiker mit anderen Vokabeln die Tatsachen kaschieren wollen – hätte vermieden werden können. Er führe auch nicht zu der angestrebten Befriedung. Das Buch hat dem General heftige Kritik des Bundesverteidigungsministers Scharping eingetragen, der neben dem vormals pazifistischen Außenminister Joschka Fischer zu den Hauptverfechtern des deutschen Einsatzes im Kosovo gehört.

Ursprünglich war der Kosovo ein Kerngebiet Serbiens. Aufgrund der wesentlich höheren Geburtenziffern der Albaner in den vergangenen Jahrzehnten aber geriet der serbische Bevölkerungsanteil in eine zunehmend schwächere Position, die noch verschärft wurde, als eine wachsende Zahl von Serben abwanderten, um nicht unter albanischer Mehrheit leben zu müssen. 1991 beheimatete der Kosovo nur noch zehn Prozent Serben gegenüber 82 Prozent Albanern.

Als Serbiens Machthaber erkannten, daß auf diese Weise der Kosovo über kurz oder lang ein rein albanisches Gebiet werden mußte, glaubten sie durch Druck gegensteuern zu können. So hob die Belgrader Regierung die Autonomie des Kosovo auf und zog die Zügel fester. Das aber forderte den verschärften Widerstand der Kosovo-Albaner heraus.

Allmählich formierte sich eine politische Führung der Albaner, die ihr Ziel ungeschminkt propagierte: Der Kosovo sollte sich aus der Bundesrepublik Jugoslawien lösen und ein eigener Staat werden. Kleinere Gruppen gingen noch weiter. Sie forderten den Anschluß an Albanien mit dem Ziel, daß dieses Land zusammen mit den albanisch besiedelten Teilen Mazedoniens und Montenegros eine Konförderation, nämlich Großalbanien, bilden solle.

Zunächst übten die Albaner überwiegend gewaltlosen Widerstand. Doch die harte Hand aus Belgrad trieb zur Eskalation. Die ersten bewaffneten Albanergruppen traten unter der Bezeichnung "Kosovo-Befreiungs-Armee" (UÇK) öffentlich in Erscheinung, Überfälle auf serbische Polizeistationen häuften sich.

1998 mischten sich die USA ein. Washington schickte einen Sonderbotschafter nach Belgrad, der Milosevic´ erklärte, die USA sähen die UÇK als terroristische Organisation und akzeptierten das Vorgehen der serbischen Sicherheitskräfte als polizeiliche Gewalt.

Die serbische Führung betrachteten diese Erklärung des US-Sonderbotschafters Gelbard als Ermutigung, gegen kosovo-albanische Separationsbestrebungen mit Gewalt vorzugehen. Das geschah auch, als UÇK-Kämpfer vier serbische Polizisten erschossen hatten. Die Serben gingen bei Ihrem Gegenschlag brutal und grausam zu Werke und nahmen dabei ebenso wenig auf Zivilisten Rücksicht wie die UÇK-Kämpfer. Die Gewalt explodierte auf beiden Seiten, die Krise geriet zum Bürgerkrieg. Hunderte von Serben flüchteten vor der UÇK. Noch war die Uno unparteiisch und verurteilte 1998 die exzessive Gewaltanwendung aller Beteiligten; der Uno-Sicherheitsrat drohte an, die Vereinten Nationen könnten gewaltsame Maßnahmen gegen beide Bürgerkriegsparteien ins Auge fassen.

Die UÇK wuchs an und verbesserte ihre Bewaffnung erheblich. Dabei ist anzunehmen, daß Waffen und technische Ausrüstung aus westlichen Ländern stammten.

Die Kosovo-Albaner provozierten nun offenbar die Zuspitzung des Konflikts. Die Serben sollten unter Druck gesetzt werden, damit sie die albanischen Forderungen erfüllten. Im Juni 1998 verhandelte zum ersten Mal ein Beauftragter der USA mit bewaffneten UÇK-Kämpfern. Damit waren sie anerkannte Gesprächspartner auf der internationalen Bühne und hatten den ersten diplomatischen Erfolg zu verzeichnen. Die UÇK entwickelte eine perfekte Guerilla-Taktik und unterlief so die Überlegenheit der serbischen Polizei. Die albanische Zivilbevölkerung unterstützte die UÇK-Kämpfer.

Es entbrandte ein Partisanenkampf wie zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Die Serben machten die gleichen Fehler wie seinerzeit die deutsche Wehrmacht. In der Hilflosigkeit, sich gegen Freischärler zu behaupten, nahmen serbische Einheiten bei ihren Großoffensiven keine Rücksicht auf Zivilisten, schreckliche Übergiffe krimineller, paramilitärischer Banden der Serben häuften sich. Die albanische Bevölkerung begann, aus dem Kosovo zu fliehen. Wieder löste die sich zuspitzende humanitäre Lage eine Resolution der Uno aus. Im September 1998 wurde sowohl die exzessive Gewaltanwendung der serbischen Sicherheitskräfte als auch der albanische Terrorismus zur Verfolgung politischer Ziele verurteilt. Der Sicherheitsrat verlangte von beiden Bürgerkriegsparteien eine Feuerpause. Tatsächlich konnte eine für den Frieden positive Entwicklung beobachtet werden. Die serbische Armee und die Spezialpolizei wurden zurückgenommen. Albanische Flüchtlinge kehrten zurück.

Trotz der sich entspannenden Lage erhöhte die Nato ihren militärischen Druck auf Belgrad. Im Oktober hatte die jugoslawische Seite unter der Kriegsdrohung der Nato ihre militärischen Verpflichtungen erfüllt: Die Truppen der Sonderpolizei und der Armee waren aus dem Kosovo abgezogen. Die Nato begann mit der Luftüberwachung.

Die UÇK jedoch setzte ihre Partisanenüberfälle auf die serbische Polizei fort und griff deren Nachschubweg an mit dem Ziel, den Bürgerkrieg zu intensivieren und Bedingungen zu schaffen, die letztendlich das militärische Eingreifen der Nato auf ihrer Seite herbeiführen würden. Unter den Kampfhandlungen litten in erster Linie Zivilisten. Der Flüchtlingsstrom der Albaner schwoll somit wieder an. Die "Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (OSZE) wurde beauftragt, unbewaffnete Beobachter zu entsenden.

Loquai stellt fest, daß die Mitgliedsländer der OSZE nur sehr zögernd der Aufforderung nachkamen, ihre Beobachterkontingente abzustellen. Monate zogen sich hin, in denen sich die Lage verschärfte. Es gelang nicht, die Tätigkeit der UÇK einzudämmen. Die Amerikaner nahmen zudem immer deutlicher Partei für die albanischen Kämpfer. Im Nato-Rat vertrat Washington bereits im Januar 1999 die Auffassung, die OSZE-Mission solle nicht um jeden Preis durchgeführt werden, woraus Beobachter schlossen, daß die USA eine militärische Intervention beabsichtigten. Bundeswehrgeneral Loquai wirft der rot-grünen deutschen Bundesregierung vor, die OSZE nicht eben mit Nachdruck unterstützt zu haben. Angesichts der Partisanenkriegsführung der UÇK verstärkten die serbischen Kräfte ihre Unterdrückungspolitik.

Die Nato-Außenminister erklärten, sie wünschten weder eine totale Abtrennung des Kosovo von Jugoslawien noch die Aufrechterhaltung des augenblicklichen Zustandes. Der Kosovo solle innerhalb Jugoslawiens bleiben, aber einen besseren Status erhalten. Versuche, den jugoslawischen Präsidenten Milosevic´ zu einer Verhandlungslösung zu bewegen, blieben vergeblich. Belgrad verpaßte damit die Chance, einen politischen Prozeß zur friedlichen Konfliktlösung einzuleiten. Es wurde immer deutlicher, daß die Nato die UÇK unterstützte, was die radikalen Albaner zu immer heftigerem Vorgehen ermunterte.

Bekannt ist in der Öffentlichkeit, daß es Anfang 1999 in Rambouillet unter dem Druck der Amerikaner bzw. der Nato zu einem Treffen albanischer und serbischer Delegationen kam. Die USA legten einen Vertragsentwurf vor. Die Albaner akzeptierten, während die Serben erklärten, den Vertrag nicht unterschreiben zu können.

Was damals der Öffentlichkeit verschwiegen wurde, waren Bedingungen der Nato, die kein souveräner Staat hätte akzeptieren können. Nach Artikel 8 des geheimen Anhangs "B" des Vertrages sollten sich die Serben damit einverstanden erklären, daß "Nato-Personal sich mitsamt seiner Fahrzeuge, Schiffe, Flugzeuge, Ausrüstung in der gesamten Bundesrepublik Jugoslawien inklusive ihres Luftraumes und ihrer Territorialgewässer frei und ungehindert sowie ohne Zugangsbeschränkungen bewegen" kann. Das hätte bedeutet, daß ganz Jugoslawien ein Protektorat des Nordatlantischen Bündnisses würde. Kritiker äußerten später den Verdacht, daß der Vertrag so gefaßt war, damit die Nato nach der zwangsläufigen Ablehnung durch die Serben das Recht hätte, militärisch einzugreifen. Das Bündnis wollte – so der unverhohlene Vorwurf – unter der Führung der USA ganz offensichtlich den Krieg.

So begannen dann auch die Nato-Luftangriffe, ohne daß die Uno als Rechtsgrundlage dem Bündnis ein Mandat dafür übertragen hatte. Das war nach der bisherigen Rechtsauffassung die unbedingte Voraussetzung für einen Krieg, wenn er denn kein (verbotener) Angriffskrieg sein sollte.

Über die Motive, die die Amerikaner zu diesem Krieg veranlaßten, schreibt Heinz Loquai wenig. Strategische Denker meinen, es ging Washington darum, den Landgürtel von Wien bis Istanbul unter Kontrolle zu bringen, um den europäischen Anschluß der Handelsroute nach Baku ans Kaspische Meer (wo gewaltige Ölvorräte liegen) zu sichern.

Doch: Was veranlaßte die Deutschen, unverzüglich den Amerikanern zu folgen? Außenminister Joschka Fischer behauptete, damit wolle Deutschland einen Holocaust verhindern. Der deutschen Bevölkerung und dem Bundestag wurde erklärt, daß dieser Krieg absolut notwendig sei, um eine "humanitäre Katastrophe" abzuwenden. Diese Darstellung der Lage war, wie sich jetzt herausstellte, offenbar falsch.

So bleibt als Motiv nur übrig, daß die Bundesregierung alles tun wollte, um den Amerikanern ihre unbedingte Gefolgstreue zu beweisen, auch wenn Rot-Grün die Regierung bildet.

Verteidigungsminister Scharping erwähnte einen sogenannten "Hufeisenplan" der Serben, der angeblich die totale Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo zum Ziel hatte. Nach dem Buch von Loquai und nach zahlreichen inzwischen ans Tageslicht gekommenen Informationen gab es einen solchen serbischen Plan nicht.

Eine Lösung des Kosovo-Konflikts dürfte so lange nicht in Sicht sein, wie die Nato daran festhält, der Kosovo müsse als Gebiet mit multikultureller Gesellschaft krampfhaft am Leben erhalten werden, und das auch, wenn sämtliche Bewohner das Zusammenleben beider Völker auf demselben Gebiet ablehnen. Die Wirklichkeit wird, so scheint es, einer Ideologie geopfert. Es wird noch lange keinen Frieden im Kosovo geben.