19.04.2024

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10.06.00 König Friedrich Wilhelm III. starb vor 160 Jahren

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 10. Juni 2000


Vom Zauderer zum Reformer Preußens
König Friedrich Wilhelm III. starb vor 160 Jahren

Nach 43jähriger Regierungzeit endete am 7. Juni 1840 das Leben eines Preußenkönigs, der es schwer hatte, im Vergleich zu seinen großen Vorgängern zu bestehen. Die hohe ritterliche Gestalt – so jedenfalls beschreibt ihn Heinrich von Treitschke – besaß alle Tugenden, die den guten Menschen ausmachen. Andererseits lähmte eine schwer zu überwindende Schüchternheit seine Tatkraft. Das Auftreten in der Öffentlichkeit war dem in Potsdam geborenen Kronprinzen lästig. Vor jedem großen Entschluß zauderte er und überlegte lange, doch wenn er entschieden hatte, folgte er überall nur seinem Gewissen.

Die glücklichste Zeit verlebte der junge Fürst in dem Schlößchen Paretz am Havelsee an der Seite seiner lieblichen Gemahlin Luise, einer geborenen Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz, die zur Stütze seiner schwersten Herrscherjahre geworden ist. Das leichtfertige Treiben am Berliner Hof unter Friedrich Wilhelm II. (1786–1797), einem Neffen Friedrichs des Großen, war für ihn eine Quelle des Ärgernisses. Er entließ die Ratgeber seines Vaters, hob das verhaßte Religions- und Zensuredikt auf, das jede Abweichung vom kirchlichen Lehrbegriff verbot, dem auch Kant sich beugen mußte, und verwandelte den Berliner Hof in ein Vorbild rechten Familienlebens. Für die Huldigung am 5. Juni 1798 im Königsberger Schloß durch die Deputierten der Stände und Professoren der Universität galt für den "germanischen Gemütsmenschen" noch das alte Zeremoniell.

Während Friedrich Wilhelms III. Regierungszeit hatte das Volk keine Teilnahme an der Regierung des Staates, der König allein besaß im aufgeklärten Absolutismus die gesetzgebende und die vollziehende Gewalt. Trotz allen Pflichtgefühls setzte aber Friedrich Wilhelm seine Machtfülle nicht kühn ein, wie es Friedrich der Große sicher getan hätte, sondern verließ sich lieber auf seine Kabinettsräte. Obwohl Napoleon schon unüberhörbar an den Grundfesten Europas rüttelte, verharrte Preußen in Untätigkeit, nichts geschah, um den Staat im modernen Sinne weiterzuführen. Erst als nach Gründung des Rheinbundes der französische Druck auf Preußens Grenzen zunahm, veranlaßte der König die Mobilmachung. Preußen schloß mit Sachsen und Weimar ein Bündnis und schickte seine Truppen nach Thüringen.

Bei Jena und Auerstedt wurde im Oktober 1806 die preußische Armee vollständig geschlagen. Ein Truppenteil nach dem anderen ergab sich Napoleon fast ohne Widerstand, eine Festung nach der anderen kapitulierte ohne Not. Nur Kolberg, Graudenz und Danzig hielten sich, bis kein Brot und keine Munition mehr vorhanden waren.

Napoleon waltete als Sieger in Berlin, vom Brandenburger Tor ließ er die Siegesgöttin herunternehmen und nach Paris schaffen. Das Land bis zur Oder war in seiner Hand. Da erhielt Preußen von Rußland Hilfe, der König sammelte die Reste der Armee in Ostpreußen, der Krieg wurde 1807 im Weichselgebiet fortgesetzt. Zweimal siegte der Korse unter fruchtbaren Verlusten bei Preußisch Eylau und Friedland. Bald darauf folgte der Friede von Tilsit: Preußen verlor die größere Hälfte seines Gebietes, vergebens versuchte Königin Luise in einer Unterredung mit dem Franzosenkaiser dessen Mitleid anzurufen. Preußen sollte so geschwächt werden, daß es sich nie mehr erheben könne.

Die Niederlage von 1806 hatte eine heilsame Wirkung ausgelöst, denn die Kraft des Volkes war überhaupt noch gar nicht erschlossen. Bürgerschaft und Bauerntum spielten bisher im Staatsgeschehen kaum eine Rolle. Das Heer war großenteils durch fragwürdige Werbemethoden zusammengebracht, seine Offiziere gehörten nur dem Adel an. Erst wenn es gelang, die Masse der Bevölkerung in den Dienst des Staates zu stellen, konnte eine Änderung des Bewußtseins erreicht werden. Dies als richtig erkannt und auch durchgesetzt zu haben war das Werk des Freiherrn vom Stein, der König berief ihn 1807 an die Spitze der Staatsgeschäfte. Die Bauern erhielten freies Verfügungsrecht über ihr Land, die Bürgerschaft der Städte das Recht der Selbstverwaltung. So wurden aus Untertanen national denkende Staatsbürger.

Jetzt konnte auch mit Erfolg die militärische Reform einsetzen, die von Scharnhorst und Gneisenau durchgeführt wurde. Offiziere, die 1806/07 dem Feind die Festungen ausgeliefert hatten, wurden bestraft. Nicht mehr die adelige Geburt allein war maßgebend, sondern die Fähigkeit und Würdigkeit, fortan konnten auch Bürgerliche Offiziere werden. An Stelle des geworbenen Söldnerheeres trat die allgemeine Wehrpflicht. Man erließ sogar eine Landsturmordnung, die eine Volksbewaffnung ermöglichte.

Den Grundstein zu einer neuen Bildung, nach den Idealen der deutschen Klassik, legte der an die Spitze des Unterrichtswesens berufene Wilhelm von Humboldt. Eine sittliche Erneuerung ging durch alle Kreise des Volkes, gefördert durch den Geist unbedingter Pflichterfüllung, den die Philosophie Kants verkündete. An der 1810 gegründeten Berliner Universität trug der Philosoph Fichte mit seinen "Reden an die deutsche Nation" viel zur Erweckung des neuen Geistes bei. Schillers Dramen ("Wilhelm Tell", Jungfrau von Orleans") verherrlichten den Kampf um die nationale Freiheit, ebenso die Schriften von Ernst Moritz Arndt und Heinrich von Kleists Werke, dessen Drama "Die Herrmannsschlacht" an den ersten erfolgreichen Freiheitskampf am Beginn der deutschen Geschichte erinnerte. Kleist schrieb in seinem Gedicht "Germania an ihre Kinder" auch die stürmische Aufforderung, Napoleon aus Deutschland zu vertreiben: "Schlagt ihn tot, das Weltgericht fragt auch nach den Gründen nicht". Man wartete nur noch auf eine günstige Gelegenheit, um loszuschlagen und die Fremdherrschaft zu beenden.

Vom Januar 1808 bis zum Dezember 1809 war Königsberg der eigentliche Mittelpunkt Preußens, bis das Königspaar nach dem Abzug der Franzosen wieder nach Berlin zurückkehrte. Auf Drängen Napoleons, dem der Plan einer Volkserhebung zu Ohren kam, mußte der König den Freiherrn vom Stein entlassen. Frankreich hatte die Kriegsentschädigung auf 20 Millionen Franken festgelegt, bis zu deren Begleichung die Oderfestungen Stettin, Küstrin und Glogau besetzt bleiben sollten. Als sich Österreich gegen den Korsen erhob, haben manche Patrioten die Stunde der Befreiung nahe gesehen. Doch der König zauderte, er blieb bei der Ansicht, nur im Bündnis mit Rußland und Österreich könne der Kampf gewagt werden; im übrigen "müsse der Staat durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren" habe.

Die Wende brachte Napoleons unglücklicher Feldzug nach Rußland. Mit einem Riesenheer von einer halben Million Streitern aus allen von Frankreich abhängigen Staaten, darunter 200 000 Deutschen, marschierte er im Sommer 1812 in das Zarenreich ein. Die Russen wichen ständig zurück, lockten ihn bis Moskau, wo die "Große Armee" infolge eines barbarischen Winters und aus Nachschubmangel scheiterte. Die Gelegenheit war da, auf die man in Preußen lange gewartet hatte.

Den ersten Schritt zur Erhebung tat General York, Befehlshaber des für Napoleon gestellten preußischen Hilfskorps. Aus eigener Verantwortung schloß er mit den Russen am 30. Dezember 1812 im litauischen Tauroggen einen Neutralitätsvertrag. Während der König noch unschlüssig blieb, traf York mit dem inzwischen in russische Dienste getretenen vom Stein zusammen. Ohne ausdrücklichen Befehl stellte man Landwehreinheiten in Stärke von 20 000 Mann auf. Der Zar konnte davon überzeugt werden, daß es nicht genüge, die Franzosen aus dem Land zu vertreiben, sondern daß Napoleon gestürzt werden müsse. Nun wurde auch Friedrich Wilhelm von der nationalen Begeisterung mitgerissen. Ende Januar traf er in Breslau ein, wo er vor den Franzosen sicherer war als in Berlin, und ordnete die Mobilmachung an. Der König schloß mit Rußland ein Bündnis (zu Kalisch), mit dem Ziel der Vernichtung der napoleonischen Macht. Am 10. März, dem Geburtstag der Königin Luise, stiftete er den Orden des Eisernen Kreuzes (das Eisen war ein Zeichen der Armut des von den Franzosen ausgesogenen Staates). In der Proklamation "An mein Volk" sprach Friedrich Wilhelm III. von einem "letzten entscheidenden Kampf", den es "für unsere Existenz, unsere Unabhängigkeit, unsern Wohlstand" zu bestehen gelte.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich der Aufruf in Preußen. "Das Gedränge der Freiwilligen, die zu den Waffen eilten, ist so groß, wie bei einem Bäckerladen vor der Teuerung", berichtete der Gelehrte Niebuhr aus Berlin. Für die Rüstung opferte die Bevölkerung ihr Letztes. Goldene Eheringe gegen eiserne eingetauscht; "Gold gab ich für Eisen" stand auf diesen eingeprägt. In der dreitägigen Völkerschlacht bei Leipzig wurde Napoleon von den verbündeten Preußen, Österreichern und Russen geschlagen, der Rheinbund fiel auseinander. Am 31. März 1814 zogen die Alliierten in Paris ein, an der Spitze ihrer Garden König Friedrich Wilhelm III. und Zar Alexander. Mit Blüchers und Wellingtons Sieg bei Belle-Alliance mußte der Korse, der noch einmal von Elba rückgekehrt war, endgültig abtreten.

Zur Neuordnung Europas fanden sich die führenden Staatsmänner in Wien ein. Talleyrand, der geschickte Vertreter Frankreichs, schürte den Zwist zwischen den Siegern, Frankreich erhielt ungefähr die Grenzen von 1789 und durfte trotz der Forderungen deutscher Patrioten das Elsaß behalten. Preußen bekam von seinen früheren Besitzungen nur Danzig, Thorn und Posen zurück. Es gewann den nördlichen Teil des Königreichs Sachsen, das Rheinland, das Gebiet um Saarbrücken sowie Westfalen, Vorpommern mit Rügen. Die 39 selbständigen deutschen Staaten schlossen sich zum Deutschen Bund zusammen, alle Bundesstaaten blieben souverän, jeder von ihnen betrachtete den anderen als Ausland.

Das deutsche Volk war über die Wiener Ergebnisse tief enttäuscht, das war nicht das geeinte, freie Deutschland, das die Patrioten schaffen wollten. Auch die preußischen Reformer hatten viel mehr erwartet, aber aus übertriebener Sorge vor revolutionären Bewegungen schob der König die mehrfach versprochene Verfassung immer wieder hinaus. Statt der allgemeinen Landesrepräsentation gestattete er lediglich, Provinzialständeversammlungen einzurichten, in denen Adel und Großgrundbesitz den Ton angaben. Seine letzten Regierungsjahre waren gekennzeichnet durch eine ruhige Entwicklung, allenthalben regte sich geistiges Leben in Preußen. Die Berliner Universität wurde zur führenden Hochschule Mitteleuropas, an der Männer wie Hegel, Schopenhauer und Ranke wirkten. Schinkel prägte mit seinen Bauten die Haupt- und Residenzstadt, er schuf mit dem Schauspielhaus am Gendarmenmarkt das Vorbild eines modernen Theaterbaus. Wenn auch der rechtschaffene Friedrich Wilhelm III. noch zu sehr dem dynastischen Denken verhaftet war, so hat er doch versucht, für sein Land das Beste zu erreichen. Im Park des Schlosses Charlottenburg steht in dem von Schinkel gebauten  Mausoleum sein Sarkophag neben dem seiner ersten Gemahlin Luise. Rüdiger Ruhnau